US-Präsident Joe Biden spricht zu Farmern in in Northfield (Minnesota)
AP/Andrew Harnik
Krieg in Nahost

Biden fordert erneut „Pause“

US-Präsident Joe Biden plädiert erneut für eine „Pause“ im Krieg zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. „Ich glaube, wir brauchen eine Pause. Eine Pause bedeutet Zeit, um die Gefangenen herauszuholen“, antwortete Biden bei einer Rede auf einen Zwischenruf, wonach er zu einem sofortigen Waffenstillstand aufrufen solle. Die israelische Armee berichtet von „heftigen Kämpfen“ und „Dutzenden getöteten Terroristen“.

Nach Bidens Aussagen stellte das Weißen Haus klar, dass der US-Präsident mit „Gefangenen“ die von der Hamas verschleppten Geiseln meinte. Das Weiße Haus hatte sich bisher geweigert, von einer Waffenruhe zu sprechen, da eine solche nur der Hamas in die Hände spielen würde. Stattdessen forderte es „humanitäre Pausen“, um Hilfslieferungen und Evakuierungen zu ermöglichen.

Angesprochen wurde Biden auf das Thema bei einer Wahlkampfveranstaltung in Minnesota, wo ihn eine Frau im Publikum aufforderte, zu einem Waffenstillstand aufzurufen. Die Lage für Israel und auch für die muslimische Welt sei momentan „unglaublich kompliziert“, so Biden. Er habe stets eine Zweistaatenlösung unterstützt. Tatsache sei aber, „dass die Hamas eine terroristische Organisation ist. Eine durch und durch terroristische Organisation.“

Bereits Ende vergangener Woche hatten sich die USA für „humanitäre Pausen“ für den Gazastreifen ausgesprochen. „Wir würden humanitäre Pause unterstützen, damit Sachen hineinkommen und Menschen herauskommen“, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby, vor knapp einer Woche.

Hunderte konnten nach Ägypten ausreisen

Mit der Öffnung des Grenzübergangs Rafah am Mittwoch konnten unterdessen Hunderte Menschen den Gazastreifen Richtung Ägypten verlassen. Dutzende palästinensische Doppelstaatsbürger, darunter viele Schwerverletzte, wurden zu Behandlungen nach Ägypten gebracht. Auch zahlreiche Ausländer und Ausländerinnen, darunter 31 Menschen aus Österreich, reisten aus.

Ägypten spricht von „etwa 7.000“ Ausländern

Ägypten kündigte an, bei der Evakuierung zu helfen. Der stellvertretende ägyptische Außenminister Ismail Chairat sprach am Donnerstag bei einem Treffen mit ausländischen Diplomaten von „etwa 7.000“ Ausländern mit „mehr als 60“ Staatsbürgerschaften. Ägypten bereite sich darauf vor, „den Empfang und die Evakuierung ausländischer Bürger aus dem Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah zu ermöglichen“, sagte Chairat. Weitere Details oder einen Zeitplan nannte er nicht.

Es war das erste Mal seit dem 7. Oktober, dass Menschen über den einzigen Grenzübergang, der nicht von Israel kontrolliert wird, ausreisen konnten. Zunächst wurden Verletzte zur Behandlung über die Grenze nach Ägypten gebracht, ägyptische TV-Sender zeigten Bilder von Krankenwagen, die den erstmals für Personen geöffneten Grenzübergang Rafah überquerten. Laut einer Mitteilung der Grenzbehörde in Gaza sollten am Mittwoch 81 Verletzte über die Grenze gebracht werden.

Ägypten hat ein Feldlazarett in Scheich Suweid eingerichtet, etwa 15 Kilometer von Rafah entfernt. Die schwersten Fälle sollen in Krankenhäuser in der Region Sinai und bis nach Ismailia gebracht werden. 19 Personen der ersten Gruppe sollen in kritischem Zustand sein. Laut der radikalislamischen Hamas wurden mehr als 20.000 Menschen bisher im Gazastreifen verletzt. 1,4 Millionen Menschen sind nach UNO-Angaben auf der Flucht.

Ägyptischer Arzt prüft die Temperatur bei einem Kind
Reuters/The Egyptian Health Ministry
Die Ausreisenden wurden am Übergang einem kurzen medizinischen Test unterzogen

Ministerium „erleichtert“ über Ausreisen

Ausreisen konnten auch Hunderte Ausländer und Ausländerinnen, darunter 31 Österreicher und Österreicherinnen. Dabei handle es sich hauptsächlich um Doppelstaatsbürger, die in Gaza ihren Lebensmittelpunkt haben oder auf Familienbesuch waren, darunter zehn Minderjährige, teilte das Außenministerium am Abend mit. Man sei „sehr erleichtert, dass es heute am späten Nachmittag gelungen ist, eine erste Gruppe von 31 Österreicher:innen (…) in Sicherheit zu bringen“.

Auch ein Mitarbeiter des österreichischen Vertretungsbüros Ramallah samt Familie sowie zwei österreichische Ärztinnen, die für eine internationale Organisation in Gaza tätig waren, seien darunter. Den Menschen gehe es „den Umständen entsprechend gut, sie sind physisch wohlauf“. An Ort und Stelle sei noch eine Handvoll ausreisewilliger Österreicher und deren Angehörige. Man werde nichts unversucht lassen, „um auch ihnen eine rasche und vor allem sichere Ausreise zu ermöglichen“, so das Außenministerium.

„In den letzten Wochen sind die diplomatischen Kanäle heiß gelaufen, um bei Partnern in der Region auf eine Öffnung des Grenzübergangs Rafah hinzuwirken“, so Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Sein Dank gelte „den ägyptischen und israelischen Partnern, dass sie die Ausreise ermöglicht haben“, sowie seinen Mitarbeitern in Ramallah, Tel Aviv und Kairo. Die Ausgereisten werden von einem Krisenteam der österreichischen Botschaft in Ägypten empfangen, die Botschaft hilft auch bei der Organisation der Weiterreise.

Menschen überqueren den Grenzübergang in Rafah
APA/AFP/Mohammed Abed
Zahlreiche Menschen kamen zum Grenzübergang Rafah

Ausreisen konnten auch Menschen aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien. Laut Augenzeugen und dem Roten Halbmond sind unter den Ausreisenden auch Bürgerinnen und Bürger aus Kanada, Finnland, Tschechien, Bulgarien, Japan, Australien und Indonesien. Auch Menschen aus Ägypten, Jordanien und Algerien warteten auf eine Ausreise. Offen ist bisher, ob und wann die Grenze für Ausreisen erneut geöffnet wird.

Internationale Vermittlung

Schon seit Dienstagabend hatten sich Berichte verdichtet, wonach Ägypten den Grenzübergang öffnen könnte. Kairo wolle verwundete Palästinenserinnen und Palästinenser in Ägypten medizinisch versorgen, wie mehrere Quellen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP angaben. Am Dienstagabend hatte ein Sprecher des US-Außenministeriums von „sehr guten Fortschritten“ bei der Frage der Ausreise von US-Bürgerinnen und -Bürgern aus dem Gazastreifen gesprochen.

Ägypten, Israel und die Hamas hatten sich einem Insider zufolge unter Vermittlung Katars darauf geeinigt, Inhaberinnen und Inhabern ausländischer Pässe und einigen Schwerverletzten zu erlauben, den Gazastreifen zu verlassen. Ägypten soll eine Liste mit 4.000 Verletzten übermittelt worden sein, zitierte AFP einen Hamas-Sprecher. US-Präsident Joe Biden dankte Mittwochabend explizit Katar für seine Vermittlungsrolle.

Heftige Kämpfe gemeldet

In der Nacht auf Donnerstag kam es im Gazastreifen zu heftigen Gefechten zwischen israelischen Soldaten und Kämpfern der Hamas. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, berichteten von Konfrontationen im Nordwesten des Küstenstreifens. Die Kassam-Brigaden hätten Soldaten dort und südöstlich von der Stadt Gaza mit Panzerabwehrgranaten angegriffen.

Die israelische Armee teilte mit, im Verlauf der Nacht seien Soldaten auf Terrorzellen gestoßen, die mit Panzerabwehrraketen, Sprengsätzen und Handgranaten angegriffen hätten. Es kam demnach zu langen Kämpfen, bei denen die Soldaten Unterstützung durch Artillerie und Luftwaffe bekamen. „Dutzende Terroristen“ seien dabei getötet worden. Es sei auch Infrastruktur der Hamas zerstört worden.

Tote bei Angriff auf Flüchtlingslager

Unterdessen soll es bei neuen Angriffen Israels auf das Flüchtlingslager Dschabalja im Gazastreifen laut Hamas Dutzende Tote und Verletzte gegeben haben. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig bestätigt werden. Schon am Dienstag gab es einen Angriff mit zahlreichen Toten. Die israelische Armee erklärte, Ziel des Angriffs seien Hamas-Stellungen gewesen, unter den Toten sei ein Hamas-Kommandeur. UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths verurteilte den Angriff vom Dienstag scharf.

Laut eigenen Angaben kann Israels Armee noch nicht sagen, wie viele Zivilisten und Zivilistinnen im Flüchtlingslager Dschabalja getötet wurden. Die im Gazastreifen herrschende Hamas verschanze sich dort absichtlich hinter ziviler Infrastruktur, sagte Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch vor Journalisten. „Sie wollen dieses Bild der Zerstörung.“ Er sprach von einem Dilemma für die Armee. Bei den Angriffen am Dienstag und Mittwoch seien jeweils hohe Hamas-Kommandanten getötet worden, so das israelische Militär.

UNO schließt Kriegsverbrechen nicht aus

Zahlreiche Staaten kritisierten den Angriff auf das Flüchtlingslager. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen schloss unterdessen nicht aus, dass der Luftangriff auf das Flüchtlingslager ein Kriegsverbrechen darstellen könnte. „Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und des Ausmaßes der Zerstörung (…) sind wir ernsthaft besorgt, dass es sich um unverhältnismäßige Angriffe handelt, die Kriegsverbrechen darstellen könnten“, so das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte auf Twitter (X).

Erste Verletzte aus Gaza in Ägypten

Erste Verletzte aus dem Gazastreifen sind am Mittwoch zur Behandlung über die Grenze nach Ägypten gebracht worden. Auch Ausländer konnten ausreisen.

Aufnahmen zeigen die verheerenden Folgen des Angriffs vom Dienstag, bei dem Armeeangaben zufolge auch Tunnel der Hamas einstürzten und einen Krater hinterließen. Unter den Opfern sind nach palästinensischen Angaben viele Zivilisten. Die Kämpfe im Gazastreifen richteten sich aber nicht gegen die dortige Zivilbevölkerung, so Hagari, der erneut an die Menschen in Dschabalja und anderen Gebieten im Norden des Küstengebiets appellierte, sich in den Süden zu begeben. Die Armee schaffe dafür weiterhin „sichere Korridore“.

Ägypten hatte Grenzen dichtgemacht

Ägypten hatte bisher eine Grenzöffnung abgelehnt. In der ägyptischen Führung gestaltet sich die Unterstützung für die „palästinensische Sache“ anders als in anderen arabischen Ländern. Einerseits werden die Angriffe Israels auf Palästinenserinnen und Palästinenser als Zwangsmaßnahmen eines „Besatzungsstaates“ verurteilt.

Andererseits wird aber laut betont, dass man Ägyptens Sicherheit und Interessen verteidigen werde – damit ist auch die Verweigerung weiterer Aufnahmen gemeint, im Land sind bereits neun Millionen Geflüchtete. Man will Hilfe für Gaza ermöglichen, aber die Grenze soll dicht bleiben. Dazu, so meldete die Nachrichtenagentur AP, ergreife Ägypten derzeit auch „beispiellose Maßnahmen“, um die Grenze zu sichern.