Tabletten
ORF.at/Zita Klimek
Medikamentenengpässe

Regierung lässt Wirkstoffe einlagern

Um in diesem Winter Medikamentenengpässen entgegenzuwirken, will die Regierung nun Wirkstoffe einlagern. Gemeinsam mit dem Pharmagroßhandel einigte man sich auf die Beschaffung besonders gefragter Wirkstoffe, wie das Gesundheitsministerium am Donnerstag ankündigte. Das soll zumindest kurzfristig Engpässe verhindern, längerfristig brauche es aber eine Lösung auf europäischer Ebene, heißt es.

Der vergangene Winter brachte die Versorgung mit Medikamenten hierzulande an die Grenzen. Zahlreiche Arzneien waren praktisch nicht aufzutreiben, im März etwa sorgte ein zusätzlicher Anstieg bei Infektionskrankheiten zu einem akuten Mangel an Antibiotikasäften für Kinder. Auch aktuell sind laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) 582 Medikamente nicht oder kaum verfügbar.

Mit dem bereits deutlich sichtbaren Start in die Erkältungssaison ist die Sorge vor einer Wiederholung diesen Winter entsprechend groß. Dem will Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) offenbar entgegenwirken. Mit den eingelagerten Wirkstoffen sollen bei Bedarfsspitzen die heimischen Apotheken wichtige Medikamente selbst zubereiten, heißt es in einer Aussendung.

Vergangener Winter „unzumutbar“

Der vergangene Winter sei „unzumutbar für die Patientinnen und Patienten“ gewesen, so Rauch im Ö1-Mittagsjournal. Man benötige „jetzt“ die „richtigen“ Medikamente, weshalb man sich mit dem Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler (PHAGO) auf die Schaffung eines Wirkstofflagers geeinigt habe, sagte Rauch weiter.

Konkret gehe es um „rund zehn Wirkstoffe“, so Thomas Brosch von den Pharmahändlern in Ö1. Es gehe „im Wesentlichen um fiebersenkende Wirkstoffe wie Paracetamol und Ibuprofen und verschiedene Antibiotika“, so Brosch weiter. Es seien „genau diese Wirkstoffe“ gewesen, bei denen es „zu Engpässen im letzten Winter gekommen ist“. Die Wirkstoffe würden jetzt bestellt und seien wohl „in wenigen Wochen“ verfügbar.

Pharmahändler bekommen 28 Cent für günstige Präparate

Verantwortlich für die Beschaffung und Lagerung der Wirkstoffe, Hilfsstoffe und Packmittel ist der Pharmagroßhandel, der die Produkte bei Bedarf sofort an die Apotheken zur Weiterverarbeitung ausliefert, heißt es vom Ministerium. „Bei Lieferausfällen werden die Wirkstoffe von 23 Standorten in ganz Österreich an die Apotheken verteilt, damit die Bevölkerung, aber insbesondere auch kranke Kinder versorgt werden können“, so PHAGO-Präsident Andreas Windischbauer.

Auch bei besonders günstigen Medikamenten greift der Bund ein: Künftig erhalten die Pharmahändler 28 Cent für Medikamente, die weniger als 3,93 Euro kosten, um sicherzustellen, dass diese verfügbar sind. Andernfalls hätte die „Gefahr bestanden, dass diese nicht mehr ökonomisch vertretbar anzubieten sind und vom Markt verschwinden“, so Rauch. So soll auch verhindert werden, dass die Patientinnen und Patienten die Mehrkosten tragen müssten, sagte Rauch. Die Kosten dafür werden auf 23 Millionen Euro geschätzt.

Lob von Apothekern und Pharmaindustrie, Kritik von FPÖ

Die Apothekerkammer begrüßte die Rohstofflager mit wichtigen Arzneimitteln. „Damit haben Apothekerinnen und Apotheker ein nützliches Werkzeug, um bestimmten Lieferengpässen bei Medikamenten effizient entgegenwirken zu können“, so Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr. Nun sei die Sozialversicherung am Zug, die der Apothekerschaft zugesicherte inflationskonforme Anpassung der Herstellungskosten umzusetzen.

Auch der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs begrüßte die „gute Maßnahme“, forderte aber weitere Schritte von Rauch, etwa die „Inflationsanpassung bei jenen Medikamenten, deren Preise unter der Rezeptgebühr liegen“. Für den Fachverband der chemischen Industrie Österreichs (FCIO) ist der Plan „bei Weitem nicht ausreichend“ – wie auch die pharmazeutische Industrie forderte er, die Abhängigkeit von Asien zu reduzieren.

„Die bereits im Juni angekündigte Arzneimittelbevorratung ist wie zu erwarten zu einer Farce verkommen“, sagte indes FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak. Das Ganze komme zu spät und werde die Probleme in der Versorgung bestenfalls zu einem kleinen Teil lindern können.

Langfristige Lösung auf europäischer Ebene

Als „für diesen Winter nicht zweckmäßig“ habe sich die ursprünglich geplante Aufstockung der Vorräte von Medikamenten herausgestellt, so Rauch. „Die Bestellung von Medikamenten hat teils lange Vorlaufzeiten. Zudem hätten nationale Lager die europaweite Knappheit noch verschärft“, sagte Rauch.

Er verwies stattdessen auf den neu geschaffenen europäischen Solidaritätsmechanismus, der die Medikamentenversorgung längerfristig sichern könne. Die EU-Kommission rief erst vergangene Woche diesen freiwilligen Mechanismus ins Leben. Wenn ein Land nicht genug von einem bestimmten Medikament hat, könnten andere Staaten aushelfen, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bei der Präsentation.

Lieferketten sollen untersucht werden

Die EU-Mitgliedsstaaten wurden ermutigt, bei Engpässen die Regeln flexibel anzuwenden. Sie könnten beispielsweise erlauben, dass Medikamente länger verkauft werden und Alternativen schneller auf den Markt kommen.

Weiters werde die Kommission eine Liste mit kritischen Medikamenten erstellen und deren Lieferketten bis April 2024 untersuchen. Danach soll entschieden werden, ob weitere Maßnahmen zur Verhinderung von Engpässen nötig sind. Ähnlich wie bei fertigen Medikamenten ist Europa durch jahrzehntelange Auslagerung auch bei Rohstoffen, vor allem bei den aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen (API), mittlerweile großteils von China und Indien abhängig.