Lichtermeer gegen Antisemitismus am Wiener Heldenplatz
Reuters/Julia Geiter
Lichtermeer in Wien

Zeichen gegen Antisemitismus

Auf dem Wiener Heldenplatz hat am Donnerstagabend ein Lichtermeer stattgefunden, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Hass zu setzen. Bei der Kundgebung erinnerten Angehörige zudem an die Geiseln, die sich noch in den Händen der Hamas in Gaza befinden. Die Versammlung wurde angesichts erhöhter Terrorgefahr streng bewacht.

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) und die zivilgesellschaftliche Initiative „#YesWeCare“ hatten zu dem Lichtermeer in der Wiener Innenstadt geladen. Die Teilnehmenden wollten gegen Antisemitismus, Terror, Gewalt und Hass auftreten sowie an die Geiseln erinnern.

Die Polizei machte zur Teilnehmerzahl gegenüber der APA keine Angaben. Laut Mitorganisator Daniel Landau nahmen über 20.000 Menschen teil. „Gerade in diesen Zeiten, wo wir alle das Gefühl haben, es droht rundherum so vieles zu zerbrechen, umso wichtiger, wenn wir hier versuchen, unverändert das Gemeinsame über das Trennende zu stellen, wir brauchen dieses Zeichen der Solidarität“, so Landau, der bereits das Lichtermeer für ukrainische Kinder im Februar 2023 organisiert hatte.

Landau wies in seiner Einleitungsrede auf die 220 neben der Rednerbühne platzierten Sessel hin, die für die von der Hamas Entführten standen, sowie auf deren Bilder, die auf einen Trakt der Hofburg projiziert waren.

„‚Nie wieder‘ gilt für alle“

IGK-Präsident Oskar Deutsch verglich die Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, den islamistischen Anschlägen in Paris im November 2015 sowie mit dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Jänner desselben Jahres. „Es war das grausamste Massaker an Jüdinnen und Juden, das die Welt nach 1945 gesehen hat“, so Deutsch.

Leere Stühle mit Bildern entführter Israelis während des Lichtermeers gegen Antisemitismus am Wiener Heldenplatz
Reuters/Julia Geiter
Auf dem Heldenplatz wurden 220 leere Sessel aufgestellt, um an die Geiseln zu erinnern

„Sie alle zeigen, dass wir für eine offene Gesellschaft einstehen, eine liberale Demokratie“, sagte er zu den Kundgebungsteilnehmern. „Es ist die Aufgabe von uns allen, von jedem Menschen auf dieser Welt, auf die Befreiung der Geiseln zu drängen.“

Der designierte Botschafter Israels in Österreich, David Roet, dankte Mitorganisator Landau: „Sie haben eine inspirierende Arbeit geleistet.“ Der Heldenplatz erinnere ihn an die dunkelsten Kapitel der Geschichte. Doch „ich erkläre, dass ‚Nie wieder‘ jetzt ist, ‚Nie wieder‘ gilt für alle“. Kritik übte Roet an UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Vor Kurzem habe dieser „beide Seiten verurteilt“ und Israel und die Hamas gleichgesetzt.

Angehörige fordern Freilassung

Auch Angehörige von Geiseln reisten nach Wien und sprachen bei der Kundgebung über ihre entführten Verwandten, darunter auch ein österreichisch-israelischer Doppelstaatsbürger. Alexandra Arayev, Eli Albag und Tal Yeshurun warben auch um Unterstützung westlicher Staaten und untermauerten ihre zentrale Forderung: „Tut alles, um sie nach Hause zu bringen.“

Angehörige israelischer Geiseln in Wien mit Fotos ihrer entführten Verwandten
APA/Eva Manhart
Angehörige der Geiseln kamen nach Wien, um international Druck für die Freilassung zu erzeugen

Das Hostages and Missing Families Forum wurde nur Stunden nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober gegründet, um Familien dabei zu unterstützen, ihre Verwandten aus Gaza zurück nach Israel zu bringen. „Nach 26 Tagen weiß ich noch immer nichts von meiner Schwester“, sagte die 24-jährige Arayev im Gespräch mit der APA. Die 19-jährige Karina Arayev wurde am 7. Oktober von der Militärbasis Nahal Os entführt. Als ihre Schwester ihr von Bombenangriffen in der Nähe des Gazastreifens am Telefon erzählte, habe sie das Ausmaß erst nicht realisiert, da „im Süden des Landes regelmäßig Bomben fallen“.

Terroristen seien in den Luftschutzbunker eingedrungen, in dem ihre Schwester Schutz gesucht hatte, sagte Arayev, die selbst in Jerusalem lebt. Über Politik oder Militärstrategien wollte sie nicht sprechen. Das einzige, was sie als Angehörige tun könne, sei „die Geschichte meiner Schwester zu erzählen und um Hilfe zu bitten“.

Unterstützung der Politik

Via Twitter (X) tat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seine Unterstützung für die Veranstaltung kund: „Österreich ist eine freie und starke Demokratie. Wir werden uns dem Terror nie beugen. Die Geiseln müssen von der Hamas freigelassen werden. Als Zeichen der Unterstützung für das Lichtermeer stehen heute in den Fenstern des Bundeskanzleramtes Kerzen.“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der tags zuvor seine Teilnahme am Lichtermeer angekündigt hatte, postete: „Es gilt, unsere Demokratie und unser friedliches Miteinander mit allen Mitteln zu verteidigen. Hass, Hetze und Sympathien für extremistischen Terror haben in unserem Land keinen Platz!“

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich solidarisch. Er bezeichnete das Lichtermeer als „leuchtendes Bekenntnis gegen Antisemitismus, Terror, Gewalt, Hass und Menschenverachtung“.

Zweithöchste Warnstufe

Am Donnerstag fanden schon untertags verschiedenste Kundgebungen und Veranstaltungen im gesamten Wiener Stadtgebiet statt. Neben den traditionellen Gedenkveranstaltungen und Kranzniederlegungen zu Allerseelen gab es auch Gedenkveranstaltungen anlässlich des Jahrestages des Terroranschlages vom 2. November 2020 – mehr dazu in wien.ORF.at. Sämtliche Kundgebungen wurden nach Gefährdungseinschätzungen des Verfassungsschutzes überwacht.

Beim Lichtermeer waren sowohl zivile als auch uniformierte Beamtinnen und Beamte im Einsatz, so die Polizei zur APA. Vorkommnisse gab es nicht.

Wegen der jüngsten Eskalation im Nahen Osten und des Terroranschlags in Brüssel sehen die Sicherheitsbehörden auch in Österreich eine „konkrete Gefährdungslage und erhöhte Anschlagsgefahr“. Deshalb wurde die Terrorwarnung auf die zweithöchste Stufe angehoben. Nicht nur jüdische Einrichtungen, sondern auch öffentliche Plätze und Veranstaltungen werden mit ausreichend Polizeikräften verstärkt bewacht.

Brandanschlag und Schmierereien

Der Bedarf zeigte sich klar: Nicht nur das Beschädigen israelischer Fahnen in mehreren Städten konnte nicht verhindert werden. Auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs gab es in der Nacht auf Allerheiligen einen Brandanschlag. Auf der Außenmauer wurden von dem oder den Tätern auch nationalsozialistische Zeichen – ein Hakenkreuz und der Schriftzug „Hitler“ – aufgesprüht.

Laut IKG wurden die Schmierereien mittlerweile bereits übermalt. Ermittelt wird wegen des Verdachts der Brandstiftung, der Sachbeschädigung und wegen Wiederbetätigung. Diesbezüglich wurden Anzeigen gegen Unbekannt erstattet. Wie die Täter auf den Friedhof und in den Vorraum der Halle gekommen sind, ist noch unklar.

Betroffenheit groß

Der betroffene Friedhofsteil beim IV. Tor wurde auch – wie alle anderen jüdischen Einrichtungen – überwacht, hieß es seitens der Polizei. Das werde jetzt von den zuständigen Behörden ausgewertet. Auch wurden Spurenträger sichergestellt, die nun kriminaltechnisch untersucht werden, gab die Polizei am Donnerstag bekannt. Die Ermittlungen liefen „auf Hochtouren“.

Baumgartner (ORF) vom Lichtermeer in Wien

Christine Baumgartner (ORF) war beim Lichtermeer auf dem Wiener Heldenplatz dabei und meldete sich vom Ort des Geschehens.

IKG-Präsident Oskar Deutsch und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigten sich in einer gemeinsamen Stellungnahme „bestürzt“ über den Vorfall. Deutsch betonte auch, dass seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober in Österreich 165 antisemitische Vorfälle zu verzeichnen gewesen seien. „Das sind Zeichen, die wir zu lesen gelernt haben“, sagte Deutsch. Umso wichtiger sei die Teilnahme am Lichtermeer.