Israelische Panzer
AP/Ariel Schalit
Armee

Israel meldet Umzingelung von Gaza-Stadt

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben Gaza-Stadt umzingelt, wie ein Militärsprecher am Donnerstagabend sagte. Außerdem seien mehr als 130 Terroristen „eliminiert“ worden. Gleichzeitig hat laut Medien eine großangelegte Operation zur Zerstörung von Hamas-Tunneln in Gebieten des Gazastreifens begonnen.

Israel hatte in den vergangenen Tagen seine Angriffe auf den Gazastreifen verstärkt und auch immer häufiger Bodentruppen in das von der radikalislamischen Hamas kontrollierte Palästinensergebiet eindringen lassen. Das Militär führe „erbitterte Kämpfe“ gegen Terroristen der Hamas im Gazastreifen, hieß es am Donnerstagabend.

Bei ihren Bodeneinsätzen im Gazastreifen hätten Streitkräfte auch Militäranlagen und Infrastruktur der Hamas sowie viele Waffen zerstört. Flugzeuge hätten die Angriffe flankiert und mehrere militärische Kommando- und Kontrollzentren hochrangiger Hamas-Mitglieder angegriffen. Die „terroristische Infrastruktur“ sei gezielt in zivilen Gebieten angesiedelt worden, hieß es weiter von der Armee.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor bereits bestätigt, dass die Truppen bei ihrem Vormarsch auf Gaza-Stadt die Außenbezirke erreicht hätten. „Wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Schlacht“, ließ Netanjahu durch sein Büro erklären. Der militärische Arm der Hamas drohte seinerseits, dass der Einmarsch in den Gazastreifen sich für die israelischen Truppen zum „Fluch“ entwickeln werde. „Noch mehr ihrer Soldaten werden in Leichensäcken nach Hause zurückkehren“, erklärte ein Sprecher der Essedin-al-Kassam-Brigaden.

Österreicher aus Gaza evakuiert

31 Österreicherinnen und Österreicher, die aus dem Gazastreifen evakuiert wurden, sind in Kairo angekommen. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary hat mit ihnen gesprochen.

12.000 Ziele angegriffen

Seit Kriegsbeginn griff die israelische Armee nach eigenen Angaben mehr als 12.000 Ziele im Gazastreifen an. Darunter seien Waffenlager, Gebäude von führenden Mitgliedern der islamistischen Hamas, Hamas-Terroristen und Raketenarsenale gewesen, teilte Armeesprecher Daniel Hagari am Donnerstag auf Twitter (X) mit.

Bei einem mutmaßlichen Angriff der israelischen Armee nahe einer UNO-Schule in dem Flüchtlingslager Dschabalja wurden nach Angaben der Hamas mindestens 27 Menschen getötet. Die Zahlenangaben ließen sich nicht unabhängig verifizieren. Weder der Betreiber der Schule, das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), noch die israelische Armee äußerten sich zunächst zu dem Vorfall. Israel wirft der Hamas vor, UNO-Schulen und Krankenhäuser als Waffenlager zu missbrauchen.

Schutt auf den Straßen von Gaza-Stadt
AP/Abed Khaled
Trümmer nach dem Bombardement durch Israel

Armee sieht Befreiung der Geiseln als „Verpflichtung“

Israel hatte die Zivilbevölkerung aufgefordert, den Norden des Gebiets zu verlassen. Die Regierung hatte als Reaktion auf den 7. Oktober angekündigt, die Hamas zu vernichten.

Vor knapp vier Wochen hatten Hamas-Kämpfer in Israel mehr als 1.400 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten, und Dutzende Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Das israelische Militär gab die Zahl der Geiseln am Donnerstag mit 242 an. Armeechef Herzi Halevi sagt, die Armee habe die „Verpflichtung“, alle Geiseln, die von der Hamas und anderen Terrorgruppen im Gazastreifen festgehalten werden, nach Hause zu bringen.

Treibstoff für Spitäler in Aussicht gestellt

Halevi signalisierte Bereitschaft für eine Lockerung des Kriegsembargos gegen den Gazastreifen unter bestimmten Bedingungen. Krankenhäuser, denen der Treibstoff für Notstromaggregate ausgehe, könnten unter Aufsicht wieder beliefert werden, so Halevi im israelischen Fernsehen auf eine Reporterfrage. Bis jetzt sei der Treibstoff aber noch nicht ausgegangen. Wenn es so weit sei, werde er unter Beobachtung in die Krankenhäuser gebracht.

„Wir werden alles Notwendige tun, um sicherzustellen, dass der Treibstoff nicht in die Infrastrukturen der Hamas gelangt und dass er nicht für Kriegszwecke, sondern für die wirklichen Bedürfnisse der Krankenbehandlung verwendet wird“, sagte Halevi. Aus Netanjahus Büro hieß es kurz nach der Ankündigung, es gebe derzeit keine Erlaubnis für Treibstofflieferungen.

Bitte um Lazarettschiffe

Unterdessen wurde bekannt, dass Israel einige Länder zur Behandlung von Verletzten aus dem Gazastreifen um Lazarettschiffe bat. Diese sollten in Ägypten anlegen und dort verletzte Palästinenser und Palästinenserinnen aufnehmen, sagte der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem israelischen Radiosender Kan. Ägypten hat ein Feldlazarett in Scheich Suwaid eingerichtet, etwa 15 Kilometer von Rafah entfernt. Die schwersten Fälle sollen in Spitäler gebracht werden.

Frankreich schickt im Bemühen um die medizinische Versorgung Verletzter einen zweiten Hubschrauberträger an die Küste des Gazastreifens. Die „Dixmude“ werde so ausgerüstet, dass sie in ein Krankenhausschiff umgewandelt werden könne, sagte Verteidigungsminister Sebastien Lecornu dem Sender France Info.

Frankreich hat bereits die „Tonnerre“ ins östliche Mittelmeer entsandt. Laut Präsident Emmanuel Macron sollen damit Krankenhäuser in Gaza unterstützt werden. Doch die Aufgabe der beiden Schiffe ist Experten zufolge nicht klar, weil sie für eine große Zahl von Verletzten aus Gaza zu klein sind und der Sinn einer Verlegung von Patienten von Land auf See ohnehin als fraglich gilt. Lecornu erklärte, das Vorhaben befinde sich noch in der Planungs- und Abstimmungsphase mit den Behörden in Israel und Ägypten.

WHO will Sicherheitsgarantien

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte Sicherheitsgarantien für medizinische Hilfslieferungen an Kliniken im Gazastreifen. Der Transport von Hilfsgütern innerhalb des Palästinensergebietes werde von den Konfliktparteien behindert, da es fast unmöglich sei, von ihnen Sicherheitszusagen zu erhalten, kritisierte der oberste Krisenmanager der WHO, Mike Ryan, am Donnerstag in Genf.

Laut Ryan liegen der WHO keine Informationen über Hamas-Stützpunkte in Krankenhäusern vor. Was sich eventuell unterhalb dieser Kliniken abspiele, sei der WHO nicht bekannt. Falls Krankenhäuser im Gazastreifen auf Wunsch Israels evakuiert werden sollen, müsse Israel als Besatzungsmacht in Abstimmung mit den palästinensischen Gesundheitsbehörden einen sicheren Abtransport der Patienten in alternative Behandlungszentren ermöglichen, betonte Ryan.

Tunnelsystem im Visier

Laut israelischer Armee werden indes bereits „verschiedene Arten von Robotern und Sprengkörpern“ eingesetzt, um die Tunnel zu zerstören, die von der Hamas als Versteck genutzt werden. Dafür sei es nötig, die Eingänge in das Tunnelnetz ausfindig zu machen.

Jair Golan, ehemaliger stellvertretender Chef des israelischen Generalstabs, stellte in einem Interview mit dem Armeeradio klar, dass israelische Soldaten unter keinen Umständen die Tunnel betreten würden. „Es wäre ein großer Fehler, in die Tunnel zu gehen“, in denen sich die Hamas versteckt und wartet. Abgesehen von Sprengfallen sei es praktisch unmöglich, sich bei Kämpfen in den Tunnelsystemen nicht zu verletzen. Aber ab dem Moment, in dem die Eingänge gefunden werden, seien die Angreifer voll im Vorteil. Die Tunnel würden für die Hamas zur Todesfalle werden.

Laut Armeeangaben wurden seit Beginn der Kämpfe schon über 100 Tunnel zerstört – jene, die bei Luftangriffen getroffen wurden, nicht mitgezählt. Wie weit das Netz unter dem schmalen Küstenstreifen verbreitet ist, ist unklar. 2021 gaben die israelischen Streitkräfte an, mehr als 100 Kilometer Tunnel zerstört zu haben. Die Hamas hingegen behauptete, ihre Tunnel erstreckten sich über 500 Kilometer, und nur fünf Prozent seien getroffen worden.

Weitere Ausländer konnten Gaza verlassen

Nach der Öffnung des Grenzübergangs Rafah am Mittwoch verließen auch am Donnerstag Hunderte Ausländerinnen und Ausländer und Doppelstaatsbürgerinnen und -bürger den Gazastreifen Richtung Ägypten. Laut Angaben aus Kairo sollen insgesamt „etwa 7.000“ Ausländer mit „mehr als 60“ verschiedenen Staatsbürgerschaften nach Ägypten kommen können.

Weitere Ausländer konnten Gaza verlassen

Nach der Öffnung des Grenzübergangs Rafah am Mittwoch haben auch am Donnerstag weitere Ausländerinnen und Ausländer und Doppelstaatsbürgerinnen und -bürger den Gazastreifen Richtung Ägypten verlassen. Bereits am Mittwoch konnten 31 Österreicherinnen und Österreicher die Region verlassen.

Die 31 Österreicherinnen und Österreicher – die meisten davon Doppelstaatsbürger –, die am Mittwoch aus dem Gazastreifen gebracht worden sind, kamen indes in Begleitung eines Krisenteams nach einer langen Busfahrt in der Nacht auf Donnerstag in Kairo an. „Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut, sie sind jedoch außerordentlich erschöpft“, teilte eine Sprecherin des Außenministeriums Donnerstagnachmittag auf APA-Anfrage mit. Unter den Evakuierten befinden sich zehn minderjährige Kinder.