Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
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Sobotka

Antisemitismus „kein Phänomen des Randes“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat sich angesichts steigender antisemitischer Vorfälle seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel für einen stärkeren Kampf gegen Judenfeindlichkeit und Terror ausgesprochen. Israel sei ein „Schutzversprechen“, sein Existenzrecht dürfe man nicht infrage stellen, sagte Sobotka in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag. Antisemitismus habe eine lange Tradition und komme aus der Mitte der Gesellschaft. Um diesen zu bekämpfen, müsse man vor allem bei der Bildung junger Menschen ansetzen.

Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass Antijudaismus und Antisemitismus seit Tausenden Jahren Tradition hätten. Der Antisemitismus sei nie weg gewesen, er habe sich aber in den letzten Jahren „deutlich manifestiert“, sagte Sobotka in der „Pressestunde“. Er sei zudem „kein Phänomen des Randes“, sondern käme aus der Mitte der Gesellschaft.

Gleichzeitig ortete Sobotka „importierten Antisemitismus“ in Österreich, anderswo gehöre dieser „zur Staatsräson“, so die Auffassung des Nationalratspräsidenten. Die PR-Strategie der radikalislamischen Hamas sei aufgegangen. Er würde sich wünschen, dass es eine stärkere internationale Kraftanstrengung gebe, um diese wie den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, so Sobotka. Bei der Hamas würden viele anfangen zu relativieren, „das geht nicht“.

Antisemitismus in Österreich

„Der Antisemitismus war nie weg, er hat sich aber in den letzten Jahren sehr deutlich manifestiert“, sagte Wolfgang Sobotka in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag. Man kenne Antisemitismus aus der rechten, aber auch aus der linken Szene.

Irreguläre Migration „größte Geißel“

Es brauche eine „klare Haltung der Politik“, der auch Taten folgen müssten. „Es nutzt nichts, wenn man sagt, man hat importierten Antisemitismus und andererseits, es braucht weitere Fluchtkorridore (aus dem Gazastreifen, Anm.).“ Aus seiner Sicht dürfe nicht wieder wie im Jahr 2015 eine „Refugees welcome“-Stimmung entstehen. „Die irreguläre Migration ist die größte Geißel“, so Sobotka. Das Asylrecht stelle er aber „sicher nicht“ infrage, sehr wohl aber die „irreguläre, illegale Zuwanderung“.

Zuwanderung und Asylrecht

Sobotka sieht einen „importierten Antisemitismus“ in Österreich. Aus seiner Sicht dürfe nicht wieder wie im Jahr 2015 eine „Refugees welcome“-Stimmung entstehen.

Er wolle nicht „den Fehler machen, alle in einen Topf zu werfen“, aber nicht von rechter, sondern auch auf der linken Seite hätte sich in den letzten Jahren Antisemitismus ausgebreitet, durch Migration sei das verstärkt worden, sagte Sobotka. Von islamischen Glaubensgemeinschaften erwarte er sich daher „größeres Engagement“, gegen Antisemitismus vorzugehen.

„Müssen junge Menschen erreichen“

Die deutlichste Maßnahme, die hier greife, sei nachhaltige Bildung bei jungen Menschen, so die Überzeugung des Nationalratspräsidenten. Es brauche eine andere Haltung in Teilen der Bevölkerung, deshalb sei Erziehung so wichtig, so Sobotka. Junge Menschen mit guter Ausbildung seien „deutlich weniger antisemitisch“, das würden Studien zeigen. Junge Menschen würden sich unter anderem auch auf Social Media radikalisieren, befand Sobotka, der falsche Narrative in sozialen Netzwerken generell als großes Problem ortete.

Antisemitismus lasse sich aber nicht nur mit Worten bekämpfen, es brauche auch strengere Maßnahmen vonseiten der Politik. Man brauche hier eine „langfristige, konsequente Haltung“, diese habe Österreich „wie kaum ein anderer Staat. Unser Ziel muss sein, zu deeskalieren.“ So handle es sich etwa bei propalästinensischen Demonstrationen zwar immer um eine Abwägung wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, jeder Tote in dem Krieg sei einer zu viel, und es gebe berechtigte Anliegen. Aber: „Es kann nie das Existenzrecht Israels infrage gestellt werden, weil das ist ein Sicherheitsversprechen.“

Laut einer Unique-Research-Umfrage für das „profil“ befürworten aktuell fast drei Viertel der Österreicherinnen und Österreicher mehr Initiativen von Politik und Sicherheitsbehörden gegen Antisemitismus. Der Aussage, dass diese mehr gegen Antisemitismus tun müssen, stimmen 49 Prozent der Befragten mit „ja, unbedingt“ zu, weitere 25 Prozent wählten „eher ja“ als Antwort. 15 Prozent sprachen sich „eher“ oder „sicher“ dagegen aus.

Kritik an Koalition mit der FPÖ

Angesprochen auf Kritik an seiner ÖVP, die ja in Niederösterreich mit der FPÖ zusammenarbeitet, sagte Sobotka, er wolle kein politisches Kleingeld wechseln. Außerdem sei es in Niederösterreich lediglich ein Arbeitsübereinkommen.

„Notwendig, Symbole zu schützen“

Sobotka verteidigte zudem die zuletzt von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angekündigte Ausweitung des Verbots der Schändung staatlicher Symbole als Reaktion auf Angriffe gegen israelische Fahnen in mehreren Städten Österreichs. In einer Demokratie dürften gewisse Symbole nicht herabgewürdigt werden. „Wenn das Gewaltmonopol nicht mehr beim Staat liegt, ist es auch notwendig, Symbole zu schützen.“

Zudem plädierte der Nationalratspräsident für einen stärkeren Außengrenzschutz, die EU müsse stärker gegen irreguläre Migration vorgehen. Sie müsse auch bei Abschiebungen „robuster“ vorgehen, „aber es braucht Abkommen. Es braucht europäische Initiativen“, man müsse etwa in Afrika mehr investieren.

Kritik an Kickl

Dass SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder Bundeskanzler Nehammer zuletzt aufforderte, dafür zu sorgen, dass die Volkspartei in Niederösterreich die Regierungszusammenarbeit mit den Freiheitlichen beende, weil das einen glaubhaften Kampf gegen Antisemitismus torpediere, konnte Sobotka nicht nachvollziehen. Man dürfe „nicht alle FPÖler als Nazis beschimpfen, da gibt es ganz normale Leute wie in anderen Parteien“.

Sollte es antisemitische Zwischenfälle geben, müsse eine Partei sofort handeln, diese habe er aber nicht beobachtet, zudem wolle er kein „politisches Kleingeld“ wechseln. Gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl in Regierungsverantwortung sprach er sich jedoch einmal mehr aus. „Kickl hat den Apparat des Staatsschutzes zerstört“, er sei in dieser Frage kein verlässlicher Partner mehr.

Sinkendes Vertrauen in Politik als europaweites Phänomen

Angesprochen auf den Vertrauensverlust in politische Institutionen wie das Parlament erklärte Sobotka, man beobachte dieses Phänomen europaweit und könne sich dem „schwer entziehen“. Was helfe, sei Transparenz, „Fake News“ müssten eingegrenzt und soziale Netzwerke stärker reguliert werden.

Zudem müsse man bei der medialen Berichterstattung über laufende Verfahren „nüchterner“ umgehen, so die Ansicht Sobotkas, der diesbezüglich Deutschland als Vorbild nannte. Er sprach sich zudem für eine Reform der U-Ausschüsse aus, etwa ein Rotationsprinzip beim Vorsitz. Er sei „für alle Vorschläge offen, die zu besserem Ergebnis führen“, denn seiner Meinung nach sei der U-Ausschuss als scharfe Waffe der Opposition „entglitten“.

Zum Zustand der Koalition im Bund mit den Grünen und den schlechten Umfragewerten der ÖVP sagte Sobotka, das Problem sei, dass die ÖVP „mit den Leistungen, die gemeinsam mit den Grünen erbracht wurden“, kommunikativ nicht durchkomme. Die Arbeit von Bundesparteiobmann und Kanzler Nehammer bewerte er als „sehr gut“, ein Comeback von Ex-ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz schloss Sobotka aus.

Kritik von FPÖ

Kritik kam von der FPÖ. Generalsekretär Christian Hafenecker bezeichnete Sobotkas Aussage, wonach die irreguläre Migration die „größte Geißel“ sei, als „Gipfel der Scheinheiligkeit“: „Seit Jahren haben gerade die ÖVP und ihre Innenminister – als solcher auch Wolfgang Sobotka von 2016 bis 2017 selbst – Österreich zum ‚Zielland Nummer eins‘ für Hunderttausende illegale Einwanderer aus islamischen Ländern gemacht“, sagte er in einer Aussendung. Kritik übte Hafenecker auch an Aussagen Sobotkas zur Bekämpfung von „Fake News“ in sozialen Netzwerken, die der FPÖ-Generalsekretär als „Zensurfantasien“ brandmarkte.