Siebenmöser Hochmoor im Naturschutzgebiet Kitzbüheler Alpen
IMAGO/Rainer Mirau
Verhandlungsrunde endet

EU-Naturschutzpläne auf dem Prüfstand

Die zweite Verhandlungsrunde von EU-Kommission, Rat und Europaparlament zum umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz steht vor dem Abschluss. Die Rolle landwirtschaftlich genutzter Flächen hatte im Vorfeld für einen heftigen Schlagabtausch gesorgt. Im Juli stimmten die EU-Abgeordneten für den Gesetzesvorschlag – allerdings mit Änderungen. Umweltschutzvertreter warnten zuletzt, dass „das Herzstück“ des Vorhabens noch ausgehöhlt werden könnte. Scharfe Kritik kommt weiter aus der Landwirtschaft.

In den Verhandlungen zum zuletzt heftig debattierten Naturschutzgesetz sollten Änderungsanträge diskutiert werden, die unter anderem Verpflichtungen zur Wiederherstellung der Natur auf das Natura-2000-Schutzgebietsnetz der EU beschränken und landwirtschaftliche Gebiete von den Zielen ausnehmen sollen.

Das veranlasste die österreichischen Umweltanwälte und -anwältinnen, die überparteilich und frei von Weisungen die Interessen von Natur und Umwelt vertreten, in einem offenen Brief Ende Oktober dazu, an „sämtliche Entscheidungsträger“ zu appellieren, sich weiter für ein „starkes“ Renaturierungsgesetz einzusetzen. Dieses müsse der Einigung des Rates vom 20. Juni 2023 entsprechen.

Trilog

Als Trilog werden informelle Verhandlungstreffen zwischen Vertretern der drei am EU-Gesetzgebungsprozess beteiligten Organe – Kommission, Parlament und Ministerrat – bezeichnet. Sie sollen unter Vermittlung der Kommission zu einer Einigung zwischen Europäischem Parlament (EP) und Ministerrat und zu einem Gesetzesvorschlag führen.

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gilt als einer der wesentlichen noch offenen Bausteine des „Green Deal“, dem wohl wichtigsten politischen Projekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Damit möchte die EU auf Klimawandel und Artensterben reagieren und die bis 2050 angestrebte Klimaneutralität erreichen. Geplant sind etwa die Versetzung von Flüssen in ihren Naturzustand und die Wiederherstellung von Mooren und Wäldern.

Landesumweltanwälte: „Zahnloser Papiertiger“

Dass die Verpflichtung zur Wiederherstellung auf Natura-2000-Gebiete beschränkt werden könnte, „ist aus der Sicht der Landesumweltanwälte sinnbefreit, weil es hier bereits Maßnahmen und Vorgaben gibt – diese Änderung hätte keinen wirklichen Mehrwert für die Natur“, kritisiert die steirische Landesumweltanwältin Ute Pöllinger gegenüber ORF.at.

Sollte zudem der geplante Artikel 9 vollständig gestrichen und somit die landwirtschaftliche Renaturierung ganz herausgenommen werden, „wäre das aus Sicht der Landesumweltanwälte dramatisch, weil gerade durch die industrielle Landwirtschaft ganz viel Fläche verloren geht“. Sollten diese beiden Änderungen tatsächlich kommen, würde das aus Sicht der Landesumweltanwälte „das Herzstück des Renaturierungsgesetzes“ zerstören, „es wäre ein zahnloser Papiertiger“, so Pöllinger.

Blick in einen Wald
ORF/Georg Hummer
Das geplante Gesetz sieht unter anderem die Wiederherstellung von Mooren und Wäldern vor

Zwar gebe es auch Wiederherstellungspotenziale innerhalb der Natura-2000-Gebiete, sagt auch WWF-Biodiversitätssprecher Joschka Brangs gegenüber ORF.at. Allerdings sei es eine „große Verwässerung“ des ursprünglichen Vorschlags, Ziele für die Wiederherstellung von Landgebieten für 2030, 2040 und 2050 seien gestrichen worden. Und „ohne Artikel 9 wird es kein effektives EU-Renaturierungsgesetz geben können“.

Landwirtschaftskammer: Sorge vor Importabhängigkeit

Die österreichische Landwirtschaftskammer (LK) sprach sich einmal mehr gegen den Gesetzesvorschlag in seiner jetzigen Form aus. „Ich sehe die Lebensmittelversorgungssicherheit Europas durch diese und ähnliche EU-Strategien massiv gefährdet, gut gemeint ist nicht immer gut“, so Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger gegenüber ORF.at. Nachhaltige Bewirtschaftung und vielfältige Lebensräume seien in der Landwirtschaft in Österreich seit jeher wichtig, sagte er mit Verweis auf Biodiversitätsflächen.

In seiner jetzigen Form nutze der EU-Vorschlag aber weder dem Klima noch der Nachhaltigkeit. „Dieser Vorschlag nützt nur dem klimaschädlichen Lebensmittelimport, weil wir unseren europäischen Bäuerinnen und Bauern ständig Produktionsflächen wegnehmen und damit die Abhängigkeit von Importen, etwa aus abgebrannten Regenwaldregionen Südamerikas, erhöhen. Das ist aus meiner Sicht falsch und sicher nicht umweltfreundlich.“ Die Ausgangssituation in den Mitgliedsstaaten sei unterschiedlich, man dürfe nicht alle über einen Kamm scheren.

Dem Argument, dass der Vorschlag der Kommission die Ernährungssicherheit bedrohen würde, kann die österreichische Umweltanaltschaft hingegen nichts abgewinnen. „Studien belegen, dass die Böden, die im Rahmen der industriellen Landwirtschaft bewirtschaftet werden, noch 60 Jahre Ernten hergeben. Das ist der Grund, weshalb wir sagen: Agrarische Ökosysteme dürfen nicht ausgenommen werden.“ Auch die Landwirtschaft sei auf intakte Ökosysteme angewiesen, argumentiert auch der WWF.

Verhärtete Fronten im EU-Parlament

Kaum ein Gesetzesvorhaben der vergangenen Zeit hatte im Vorfeld für einen derart heftigen Schlagabtausch gesorgt, die Fronten im EU-Parlament waren verhärtet. Das zeigte sich im Juni auch im Umweltausschuss des EU-Parlaments. 44 zu 44 ging die Abstimmung im Ausschuss aus – was wegen einer fehlenden Mehrheit einer Ablehnungsempfehlung für das Parlamentsplenum gleichkam.

Proteste gegen das EU-Renaturierungsgesetz in Straßburg (Frankreich)
AP/CTK/Kupec Petr
Bäuerinnen und Bauern protestierten im Juli für das EU-Renaturierungsgesetz in Straßburg

Vor allem die Europäische Volkspartei (EVP), zu der die ÖVP gehört, wetterte gegen das Vorhaben. Im Juli stimmten die EU-Abgeordneten dann doch in Straßburg mit knapper Mehrheit für den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission ab. Der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber bezeichnete das Ergebnis der Abstimmung jedoch als „inhaltliche Fehlentscheidung“ und sah „einen massiven Eingriff in das Eigentum der Grundbesitzer“.

Das Vorhaben enteigne Bauern und verursache Nahrungsmittelknappheit, sagte auch der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider. Sozialdemokraten, Grüne und Teile der Liberalen warben hingegen dafür. Auch äußerten Umweltschutzorganisationen und teils sogar große Konzerne wie Ikea und Nestle sowie Tausende Wissenschaftler ihre Unterstützung.

Experte: Nationale Umsetzung wird schwierig

Die Zustimmung des EU-Parlaments zum Renaturierungsgesetz wurde von Forschenden der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien grundsätzlich begrüßt, zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten eine derartige Initiative in einem offenen Brief gefordert. Die nationale Umsetzung des Renaturierungsgesetzes werde in Österreich laut Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik, aber schwierig. Problematisch seien vor allem die föderalistischen Strukturen.

Wie auch die anderen Mitgliedsstaaten muss Österreich der Kommission innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung nationale Wiederherstellungspläne vorlegen, aus denen hervorgeht, wie die Ziele erreicht werden sollen. Außerdem müssen die Länder ihre Fortschritte überwachen und darüber berichten.

Der Gesetzesvorschlag sieht vor, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete in der EU zu renaturieren. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme, die einer Renaturierung bedürfen, wiederhergestellt werden. Die Verhandlungen am Donnerstag könnten sich bis tief in die Nacht ziehen. Einem von den Unterhändlern ausgehandelten Gesetz müssen am Ende noch Mehrheiten der EU-Staaten und des Europaparlaments zustimmen.