Menschen fliehen aus al-Maghazi
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Kritik an Lage in Gaza

UNO sieht „Krise der Menschheit“

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat die Situation im Gazastreifen als „Krise der Menschheit“ bezeichnet. Er forderte erneut eine sofortige Freilassung der nach Gaza verschleppten Geiseln und einen humanitären Waffenstillstand. „Gaza wird zu einem Friedhof für Kinder“, sagte Guterres am Montag in New York. Neue Hoffnung gibt es unterdessen an der Grenze zu Ägypten.

In den vergangenen Wochen seien Berichten zufolge mehr Journalisten und Journalistinnen sowie mehr UNO-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen ums Leben gekommen als in anderen Konflikten der vergangenen Jahrzehnte in vergleichbaren Zeiträumen, sagte er. Es gebe klare Verstöße gegen Menschenrechte.

Guterres beklagte die bei Weitem nicht ausreichende humanitäre Hilfe. Nur rund 400 Lastwagen mit Hilfsgütern hätten in den vergangenen zwei Wochen in den Gazastreifen hineinfahren können – im Vergleich zu etwa 500 pro Tag vor Ausbruch des Krieges. Dringend benötigter Treibstoff habe gar nicht hineingebracht werden können.

Guterres-Appell für „kühle Köpfe“

„Ohne Treibstoff werden Neugeborene in Inkubatoren und an lebensrettende Maschinen angeschlossene Patienten sterben, Wasser kann nicht gepumpt oder gereinigt werden.“ Die Vereinten Nationen wollten nun rund 1,2 Milliarden Dollar (etwa 1,1 Milliarden Euro) für humanitäre Hilfe für die Palästinenser einsammeln.

Antonio Guterres
Reuters/Caitlin Ochs
Guterres warnte, dass Gaza zu „einem Friedhof für Kinder“ werde

Der UNO-Chef zeigte sich zutiefst besorgt angesichts von zunehmendem Antisemitismus und zunehmendem Hass gegen Muslime und warnte vor einer Ausweitung des Konflikts. „Wir sehen bereits eine Spirale der Eskalation vom Libanon über Syrien in den Irak und den Jemen. Diese Eskalation muss aufhören“, sagte Guterres. „Kühle Köpfe und diplomatische Anstrengungen müssen sich durchsetzen.“

Der israelische UNO-Botschafter Gilad Erdan kritisierte die Äußerungen scharf. „Es sind mehr als 30 Tage vergangen, seit die Kinder im Süden Israels absichtlich von Hamas-Terroristen abgeschlachtet wurden, aber Sie haben nichts über einen ‚Friedhof für Kinder‘ gesagt, in den der Süden Israels verwandelt wurde“, schrieb er auf Twitter (X). Guterres habe seinen „moralischen Kompass verloren“ und müsse zurücktreten.

Grenzübergang Rafah erneut geöffnet

Nach einer zweitägigen Schließung wurde unterdessen der Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten am Montag wieder für die Ausreise von Ausländern, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft und Verletzte geöffnet. Laut einem ägyptischen Grenzbeamten kamen zunächst sechs Krankenwagen mit Verletzten aus dem Gazastreifen in Ägypten an. Wenig später beobachtete er die Ankunft einer ersten Gruppe von Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft.

„Gaza wird zu einem Friedhof für Kinder“

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat die Situation im Gazastreifen als „Krise der Menschheit“ bezeichnet. Er forderte erneut eine sofortige Freilassung der nach Gaza verschleppten Geiseln und einen humanitären Waffenstillstand. „Gaza wird zu einem Friedhof für Kinder“, sagte Guterres in New York.

In der vergangen Woche hatten bereits Dutzende verletzte Palästinenser und Hunderte Ausländer den Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah verlassen können. Am Wochenende war dieser geschlossen worden, nachdem die israelische Armee einen Krankenwagen im Gazastreifen beschossen hatte.

Israel verstärkte Angriffe auf Tunnelsysteme

Ungeachtet der Aufrufe zu einer humanitären Waffenruhe verstärkte Israel am Montag seine Angriffe auf den von der islamistischen Terrororganisation Hamas beherrschten Gazastreifen. Die israelische Armee will sich verstärkt den Tunneln der Hamas widmen. Es werde die „nächste Stufe der Offensive“ zur geplanten Vernichtung der Hamas gestartet, kündigte Militärsprecher Richard Hecht an.

Möglicher Eingang in das unterirdische Tunnelsystem in Gaza
Reuters/Israel Defense Forces
Ein möglicher Eingang in das Tunnelsystem in Gaza

Die Streitkräfte seien bereit, Hamas-Kämpfer in deren unterirdischen Tunneln und Bunkern im nördlichen Gazastreifen anzugreifen. „Jetzt werden wir anfangen, uns ihnen zu nähern“, sagte Hecht. Das bedeute, dass sie oberirdisch und unterirdisch angegriffen würden. Laut Angaben der Armee von vor einigen Tagen werden bereits „verschiedene Arten von Robotern und Sprengkörpern“ eingesetzt, um die Tunnel zu zerstören, die von der Hamas als Versteck genutzt werden. Dafür sei es nötig, die Eingänge in das Tunnelnetz ausfindig zu machen.

Ehemaliger Generalstabschef warnte vor Tunneln

Jair Golan, ehemaliger stellvertretender Chef des israelischen Generalstabs, sagte allerdings bereits am Donnerstag in einem Interview mit dem Armeeradio, dass israelische Soldaten unter keinen Umständen die Tunnel betreten sollten, wie etwa die Times of Israel berichtete. „Es wäre ein großer Fehler, in die Tunnel zu gehen“, in denen sich die Hamas versteckt und wartet.

Abgesehen von Sprengfallen sei es praktisch unmöglich, bei Kämpfen in den Tunnelsystemen nicht verwundet zu werden. Aber ab dem Moment, in dem die Eingänge gefunden werden, seien die Angreifer voll im Vorteil. Die Tunnel würden für die Hamas zur Todesfalle werden.

Blinken: „Konkrete Möglichkeiten“ für humanitäre Hilfe

US-Präsident Joe Biden und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erörterten einem Sprecher zufolge mögliche taktische Pausen bei den Angriffen auf den Gazastreifen. Die USA und Israel würden über solche vorübergehenden Unterbrechungen aus humanitären Gründen und wegen möglicher Geiselbefreiungen in Kontakt bleiben, sagte heute John Kirby, Sprecher des Weißen Hauses.

Die beiden hätten vereinbart, die Gespräche in den kommenden Tagen fortzusetzen. „Sie können davon ausgehen, dass wir uns weiterhin für zeitlich und örtlich begrenzte Pausen in den Kämpfen einsetzen werden“, sagte Kirby weiter. „Wir sehen uns am Anfang dieses Gesprächs, nicht am Ende.“

Blinken traf türkischen Amtskollegen

Die USA bemühen sich nach Angaben ihres Außenministers Antony Blinken darum, die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen auszuweiten. „Wir arbeiten mit Nachdruck daran, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen, und wir haben sehr konkrete Möglichkeiten, das zu tun“, sagte Blinken am Montag nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan in Ankara. Weitere Details nannte er nicht.

Israelische Panzer im Norden Gazas
APA/AFP/Israeli Army
Israelische Panzer im nördlichen Gazastreifen

Das rund zweieinhalbstündige Gespräch zwischen Blinken und Fidan fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Aus türkischen Diplomatenkreisen hieß es im Anschluss, Fidan habe von Blinken eine „sofortige“ Feuerpause im Gazastreifen gefordert. Israel müsse daran gehindert werden, „Zivilisten ins Visier zu nehmen“ und Menschen innerhalb des palästinensischen Küstengebiets zu vertreiben, sagte der türkische Außenminister laut den Quellen. Im Hinblick darauf erklärte Blinken, Washington sei sich der „großen Besorgnis“ in der Türkei „über die schrecklichen Opfer“ im Gazastreifen bewusst.

Borrell bringt Rotes Kreuz ins Spiel

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlug unterdessen einen vorübergehenden Stopp der israelischen Angriffe im Gazastreifen vor, wenn die Hamas im Gegenzug Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Zugang zu den seit einem Monat im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gewährt. Ein solches Vorgehen könne „ein erster Schritt“ zur Freilassung der Geiseln sein, sagte Borrell am Montag vor EU-Diplomaten in Brüssel.

„Wir müssen sicherstellen, dass die Gewalt zurückgeht und internationales humanitäres Recht geachtet wird“, so Borrell. Es gebe „keine militärische Lösung für den Konflikt“. Der EU-Außenbeauftragte warnte, eine „Überreaktion“ Israels in seinem Vorgehen gegen die Hamas könne letztlich dazu führen, dass das Land „die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft verliert“. Der Hamas-Angriff auf Israel vor einem Monat sei „ein Wendepunkt in der Geschichte“ und werde die Zukunft der Region auf Jahrzehnte beeinflussen.