Israelische Soldaten in Gaza
APA/AFP/Israel Army
Israel

Armee „operiert“ im Zentrum von Gaza-Stadt

Laut Israels Premier Benjamin Netanjahu „operiert“ die Armee des Landes in Gaza-Stadt. Auch Verteidigungsminister Joav Galant erklärte, die Streitkräfte seien „im Herzen von Gaza-Stadt“. Israel gedachte am Dienstag der Opfer des Terrorangriffs der islamistischen Hamas am 7. Oktober. Nach UNO-Angaben sind seit Beginn des Krieges im Gazastreifen 70 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht.

„Gaza-Stadt ist eingekreist, wir operieren innerhalb der Stadt“, sagte Netanjahu am Dienstag. „Wir erhöhen jede Stunde, jeden Tag den Druck auf die Hamas. Bisher haben wir Tausende von Terroristen getötet, sowohl über als auch unter der Erde.“ Insgesamt sollen seit Kriegsbeginn laut Angaben des israelischen Militärs mehr als 14.000 Ziele angegriffen worden sein.

Netanjahu bekräftigt Haltung zu Waffenruhe

Unter anderem seien im vergangenen Monat mehr als 100 Zugänge zu Tunneln zerstört und zahlreiche Hamas-Kommandeure getötet worden, hieß es von der israelischen Armee. Zudem seien über 4.000 Waffen zerstört worden. Viele seien in Moscheen, Kindergärten und Wohngebieten versteckt gewesen. „Das ist ein Beweis für den zynischen Missbrauch von Zivilisten als menschliche Schutzschilde durch die Hamas“, sagte Militärsprecher Daniel Hagari.

Erneut schloss Netanjahu eine Waffenruhe aus, solange die Hamas nicht die über 240 Geiseln freilässt – in einem Telefonat mit dem israelischen Premier hatte US-Präsident Joe Biden eine solche erneut gefordert. Es werde „keine humanitäre Waffenruhe geben ohne eine Rückkehr der Geiseln“, bekräftigte auch Verteidigungsminister Galant. Der Chef der Hamas im Gazastreifen, Jahja Sinwar, sei in seinem Bunker isoliert, so Galant weiter. Die Stadt sei „der größte je errichtete Terroristenstützpunkt der Welt“, sagte er.

G-7 für „humanitäre Pausen und Korridore“

Unterdessen sprachen sich die G-7-Staaten für „humanitäre Pausen“ aus. Humanitäre „Pausen und Korridore“ seien nötig, um die Lieferung von Hilfsgütern und die Freilassung von Geiseln zu ermöglichen, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Abschlussdokument eines zweitägigen G-7-Außenministertreffens in Tokio. Die Minister verurteilten „unmissverständlich die Terroranschläge der Hamas“ vom 7. Oktober und betonten das Recht Israels, sich „im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen“.

Minister: Gazastreifen wird nicht erneut besetzt

Minister Galant sagte, weder Israel noch die Hamas würden die palästinensische Enklave regieren, sobald der laufende Krieg beendet sei. Auch der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, sagte am Dienstag in einem Interview mit dem US-Fernsehsender MSNBC, dass Israel den Gazastreifen „nicht erneut besetzen“ werde. Nachdem die Hamas „nicht mehr an der Macht“ und ihre „Infrastruktur zerschlagen“ sei, werde Israel aber „für unbestimmte Zeit“ eine „allgemeine Verantwortung für die Sicherheit“ tragen.

Zuvor hatte sich US-Außenministeriumssprecher Vedant Patel gegen eine israelische Besetzung des Gazastreifens ausgesprochen. „Generell unterstützen wir die Wiederbesetzung des Gazastreifens nicht und Israel auch nicht“, sagte Patel. Washington sei der Ansicht, dass „der Gazastreifen palästinensisches Land ist und bleiben wird“.

ORF-Korrespondenten zur Lage in Gaza

Es scheint, als wolle Israel den Gazastreifen dauerhaft erobern und wieder besetzen – ist dieser Eindruck richtig? Und gibt es auch Stimmen, die noch über Frieden und Aussöhnung sprechen? Die ZIB-Korrespondenten Tim Cupal (Israel) und Karim El-Gawhary (arabischer Raum) antworten.

Dermer sagte am Dienstag zudem, dass Netanjahu habe „nicht davon gesprochen (habe), Gaza zu besetzen“. Der Regierungschef hatte am Montag in einem Interview mit dem US-Sender ABC gesagt, Israel wolle für unbestimmte Zeit die Verantwortung für die Sicherheit im Gazastreifen übernehmen, um weitere Angriffe zu unterbinden. „Wir haben gesehen, was passiert, wenn wir sie nicht haben“, sagte Netanjahu. „Denn wenn wir die Kontrolle über die Sicherheit nicht haben, wird der Terror der Hamas in einem Ausmaß ausbrechen, das wir uns nicht vorstellen können.“

Israels Armee: Hamas-Waffenentwickler getötet

Unterdessen hieß es vom israelischen Militär, dass in der Nacht auf Mittwoch einer der führenden Waffenentwickler der Hamas getötet worden sei. Muhsin Abu Sina war den Angaben des Militärs und des Inlandsgeheimdiensts Schin Bet zufolge „einer der Leiter der Waffenproduktion“ der Hamas und auf die Herstellung „strategischer Waffen und Raketen“ spezialisiert.

Israel gedachte der Opfer des Terrorangriffs

Während der Krieg gegen die Islamisten im Gazastreifen andauerte, hielt Israel am Dienstag um 11.00 Uhr (Ortszeit) inne. „Die Gräueltaten haben einen schrecklichen Einschnitt hinterlassen“, sagte der Präsident der Hebräischen Universität in Jerusalem, Ascher Cohen, bei einer Trauerzeremonie für die 1.400 Opfer des Hamas-Terrorangriffs am 7. Oktober. „Aber es gibt Hoffnung. Es wird eine Wiedergeburt geben.“

Es gebe „keinen einzigen Menschen, der nicht von diesen schrecklichen Angriffen betroffen“ sei, sagte die 52-jährige Scharon Balaban bei der Gedenkveranstaltung. „Jeder kennt jemanden, der verletzt, getötet, ermordet wurde oder betroffen ist.“ Der um seine beiden Brüder trauernde Jossi Rivlin sagte, er hoffe, dass die Menschen die Toten und Verschleppten „nicht vergessen“ und nicht einfach zur Tagesordnung übergingen. Rivlins Brüder waren bei dem Musikfestival getötet worden.

USA könnten weitere Truppen in Region verlegen

Die USA schließen unterdessen angesichts der Situation in Nahost nicht aus, weitere militärische Unterstützung in die Region zu schicken. Das sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby.

John Kirby
AP/Evan Vucci
Kirby stellte weitere Truppenverlegungen in Aussicht

Die USA forderten auch Ruhe an der Grenze zum Libanon. Der US-Gesandte und Vermittler Amos Hochstein appellierte bei einem überraschenden Besuch im Libanon an die „Wiederherstellung der Ruhe an der Südgrenze“ zu Israel. Sie sei „von größter Bedeutung für die Vereinigten Staaten“, so Hochstein nach einem Treffen mit dem libanesischen Parlamentssprecher Nabih Berri. Das sollte sowohl für den Libanon als auch für Israel „höchste Priorität“ haben.

Über zwei Drittel auf der Flucht

Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen sind dort nach UNO-Angaben etwa 70 Prozent der Bevölkerung vertrieben worden. Das teilte das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) am Dienstag mit.

Auf die innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht befindliche Bevölkerung warten UNRWA-Angaben zufolge unmenschliche Bedingungen, die sich mit jedem Tag verschlechtern. Von den rund 2,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Gazastreifens kamen laut UNRWA mittlerweile rund 1,2 Millionen Menschen in etwa 240 UNO-Einrichtungen unter.

Israels Armee im „Herzen von Gaza-Stadt“

Es war das größte Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Zweiten Weltkrieg – am Dienstag ist es einen Monat her, seit die Hamas rund 1.400 Menschen in Israel brutal ermordet hat. Israel schlägt seitdem mit aller Härte zurück – die Hamas spricht von mehr als 10.000 Toten. Jetzt sind israelische Soldaten nach den Worten von Israels Verteidigungsminister ins Zentrum von Gaza-Stadt eingerückt.

In einer Unterkunft stünden pro Person weniger als zwei Quadratmeter zur Verfügung. Mindestens 600 Menschen würden sich dort eine Toilette teilen. Es gebe Tausende Fälle von Infektions- und Durchfallerkrankungen sowie Windpocken.

„Es sind jetzt 30 Tage. Genug ist genug. Es muss jetzt enden“, teilten weitere UNO-Organisationen wie das Nothilfebüro (OCHA), das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), das Kinderhilfswerk (UNICEF), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Welternährungsprogramm (WFP) sowie etwa die Hilfsorganisationen CARE und Save the Children mit.

Rotes Kreuz meldet Beschuss von Hilfskonvoi

Ein Konvoi des Roten Kreuzes mit medizinischen Hilfsgütern ist nach Angaben der Organisation unterdessen in Gaza-Stadt unter Beschuss geraten. Wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mitteilte, wurden am Dienstag zwei der fünf Lastwagen beschädigt und ein Fahrer leicht verletzt. Der Transport sei unter anderem zum Al-Kuds-Krankenhaus des Palästinensischen Roten Halbmondes unterwegs gewesen.

„Unter diesen Umständen können humanitäre Helfer nicht arbeiten“, sagte IKRK-Vertreter William Schomburg. Er wies darauf hin, dass Konfliktparteien nach internationalem Recht verpflichtet seien, die Versorgung von Gesundheitseinrichtungen mit lebenswichtigen Gütern zu ermöglichen.

Erneut Raketen aus Gaza auf Israel

Die Hamas feuerte unterdessen Dienstagabend erneut Raketen auf Israel. Im Großraum Tel Aviv heulten mehrfach die Warnsirenen. Der militärische Arm der Hamas, die von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft wird, reklamierte die Attacken auf Telegram für sich.

WHO: Alles bereit für Hilfslieferungen

Von der WHO hieß es unterdessen, dass alles für weitere Hilfslieferungen bereit sei: „Alles ist bereit, die Logistik ist da, die Konvois sind da, die Lieferungen sind da, was nicht da ist, ist der Zugang“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier. Nach aktuellen Zahlen der UNO haben seit Ausbruch des Krieges vor einem Monat insgesamt 500 Lastwagen den Gazastreifen erreicht, benötigt würden aber 500 solcher Ladungen pro Tag, hieß es.

Hoffnung gibt es zumindest für jene Menschen im Gazastreifen mit einem ausländischen Pass. Insidern zufolge verlassen deutlich mehr Ausländer das Gebiet über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten. Im Laufe des Dienstags seien es mindestens 320 Ausländerinnen und Ausländer mit ihren Angehörigen sowie 100 ägyptische Staatsangehörige gewesen, hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen.