Israelischer Panzer vor zerstörtem Gebäude im nördlichen Gazastreifen
APA/AFP/Israel Army
Feuerpausen und Gazas Zukunft

USA erhöhen Druck auf Israel

Eine kurzfristige und eine eher längerfristige Frage stehen derzeit im Mittelpunkt der diplomatischen Bemühungen im Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas: Zum einen geht es um den Ruf nach Feuerpausen, zum anderen um die Frage, wie und vom wem der Gazastreifen nach der israelischen Offensive kontrolliert und verwaltet wird. Zu beiden Fragen äußern die USA klare Vorstellungen – und erhöhen damit den Druck auf Israel.

Unterstrichen wurde das Drängen der USA zu Feuerpausen in einem Telefonat zwischen US-Präsident Joe Biden und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, wie am Mittwoch bestätigt wurde. Es sei um „taktische Pausen“ aus humanitären Gründen und Geiselbefreiungen gegangen, hieß es. Dem US-Nachrichtenportal Axios zufolge habe Biden Netanjahu gesagt, dass eine dreitägige Feuerpause zur Freilassung von Geiseln führen könne – dieses Detail blieb aber unbestätigt.

Zuletzt schloss Netanjahu eine Waffenruhe aus, solange die Hamas nicht die über 240 Geiseln freilässt. Es werde „keine humanitäre Waffenruhe geben ohne eine Rückkehr der Geiseln“, bekräftigte auch der israelische Verteidigungsminister Joav Galant.

G-7 für „humanitäre Pausen und Korridore“

Druck auf Israel kommt nun auch von den G-7-Staaten, auch sie forderten am Mittwoch „humanitäre Pausen“. Solche Pausen sowie „Korridore“ seien nötig, um die Lieferung von Hilfsgütern und eine Geiselfreilassung zu ermöglichen, hieß es in dem Abschlussdokument eines zweitägigen G-7-Außenministertreffens in Tokio.

G-7-Staaten berieten zu Krieg

Um die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen und Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu bringen, fordern die G-7-Länder bei ihrem Treffen in Tokio nun humanitäre Kampfpausen.

Die Minister verurteilten „unmissverständlich die Terroranschläge der Hamas“ vom 7. Oktober und betonten das Recht Israels, sich „im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen“. Zu den G-7-Ländern gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien.

Blinken: „Keine gewaltsame Vertreibung aus Gaza“

Auch zur Phase nach der israelischen Offensive in Gaza gibt es zunehmend Stimmen, auch hier nahmen die USA klar Stellung: US-Außenminister Antony Blinken sprach sich gegen eine erneute israelische Besetzung des Gazastreifens aus. Zu den Voraussetzungen für „dauerhaften Frieden und Sicherheit“ solle gehören, „dass die Palästinenser nicht gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieben werden“, so Blinken – „nicht jetzt, nicht nach dem Krieg“.

US-Außenminister Antony Blinken am G7-Treffen in Tokio
APA/AFP/Richard A. Brooks
Blinken unterstrich nach dem G-7-Treffen in Tokio die Vorstellungen der USA zur Zukunft Gazas

„Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens“

Blinken betonte: „Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens nach Beendigung des Konflikts, kein Versuch, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern, keine Verkleinerung des Gebiets von Gaza.“ Zudem dürfe der Gazastreifen nicht „als Plattform für Terrorismus oder andere gewalttätige Angriffe“ genutzt werden, sagte Blinken. „Wir müssen auch sicherstellen, dass keine terroristischen Bedrohungen vom Westjordanland ausgehen können“, fügte er hinzu.

Jene, die einen sofortigen Waffenstillstand forderten, hätten die Pflicht zu erklären, wie man mit dem Schicksal der Geiseln umgehen solle und der erklärten Absicht der Hamas, den 7. Oktober immer zu wiederholen. Israel habe wiederholt gesagt, dass es kein Zurück zur Zeit vor dem Angriff der islamistischen Hamas am 7. Oktober gebe, sagte Blinken. „Wir stimmen voll und ganz zu.“

Netanjahu-Aussagen warfen Fragen auf

Davor hatte Netanjahu mit vagen Äußerungen zur Zukunft des Gazastreifens Fragen aufgeworfen. Er hatte am Montag in einem Interview mit einem US-Medium gesagt, Israel wolle für „unbestimmte Zeit“ die Verantwortung für Sicherheit im Gazastreifen übernehmen, um weitere Angriffe zu unterbinden. Von einer Wiederbesetzung sprach er zwar nicht dezidiert, dennoch rückten ein Minister und ein ranghoher Berater aus, um Erklärungen zu den Aussagen nachzureichen.

„Zwischen Präsenz und Kontrolle unterscheiden“

Eine dauerhafte Besetzung werde es nicht geben, doch müsse es eine Sicherheitspräsenz Israels geben, damit das Militär je nach Bedrohungslage für Einsätze „hineingehen“ könne, stellte Mark Regev am Dienstag (Ortszeit) im US-Sender CNN klar. „Wir müssen zwischen Sicherheitspräsenz und politischer Kontrolle unterscheiden.“

„Wenn das vorbei ist und wir die Hamas besiegt haben, ist es entscheidend, dass es dort kein wiederauflebendes terroristisches Element, keine wiederauflebende Hamas gibt“, sagte Regev dem US-Fernsehsender CNN. Auch der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, sagte in einem Interview mit dem US-Fernsehsender MSNBC, dass Israel den Gazastreifen „nicht erneut besetzen“ werde.

Armee „operiert“ im Zentrum von Gaza-Stadt

Zugleich hieß es aus Israel, dass die Armee in Gaza-Stadt „operiert“ – die Stadt sei eingekreist, so Netanjahu. Verteidigungsminister Galant sagte, die Streitkräfte seien „im Herzen von Gaza-Stadt“. Insgesamt sollen seit Kriegsbeginn laut Angaben des israelischen Militärs mehr als 14.000 Ziele angegriffen worden sein.

Unter anderem seien im vergangenen Monat mehr als 100 Zugänge zu Tunneln zerstört und zahlreiche Hamas-Kommandeure getötet worden, hieß es von der israelischen Armee. Zudem seien über 4.000 Waffen zerstört worden. Viele seien in Moscheen, Kindergärten und Wohngebieten versteckt gewesen. „Das ist ein Beweis für den zynischen Missbrauch von Zivilisten als menschliche Schutzschilde durch die Hamas“, sagte Militärsprecher Daniel Hagari.

Armee: Tunnel zerstört, Waffenentwickler getötet

Beim Vormarsch im Norden des Gazastreifens habe man sich in der Nacht auf Mittwoch nach eigenen Angaben darauf konzentriert, das Tunnelnetz zu zerstören, wie es hieß. Zugleich wurde die Tötung eines führenden Hamas-Waffenentwicklers gemeldet: Muhsin Abu Sina war den Angaben des Militärs und des Inlandsgeheimdiensts Schin Bet zufolge „einer der Leiter der Waffenproduktion“ der Hamas und auf die Herstellung „strategischer Waffen und Raketen“ spezialisiert.

Israel: Soldaten bei Beschuss durch Hisbollah verletzt

Gleichzeitig gehen die Gefechte zwischen der Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon und israelischen Soldaten weiter. Zwei Soldaten seien bei einem Beschuss durch eine Panzerabwehrrakete in der Gegend von Dovev verletzt worden, teilte die israelische Armee am Mittwoch mit. Das Militär habe zurückgeschossen. Soldaten hätten zudem mehrere Hisbollah-Stellungen zum Abschuss von Panzerabwehrraketen angegriffen.

Auch seien zwei weitere Geschoße aus dem Libanon abgefeuert worden. Die Armee habe ebenfalls mit Beschuss reagiert. Die Hisbollah teilte mit, sie habe israelische Soldaten beschossen und auch getroffen. Mehrere israelische Geschoße seien im Süden des Libanons niedergegangen. Die Hisbollah habe mehrere Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert, hieß es.

USA könnten weitere Truppen in Region verlegen

Die USA schließen unterdessen nicht aus, weitere militärische Unterstützung in die Region zu schicken. Das sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby.

John Kirby
AP/Evan Vucci
Kirby stellte weitere Truppenverlegungen in Aussicht

Die USA forderten auch Ruhe an der Grenze zum Libanon. Der US-Gesandte und Vermittler Amos Hochstein appellierte bei einem überraschenden Besuch im Libanon an die „Wiederherstellung der Ruhe an der Südgrenze“ zu Israel. Sie sei „von größter Bedeutung für die Vereinigten Staaten“, so Hochstein nach einem Treffen mit dem libanesischen Parlamentssprecher Nabih Berri. Das sollte sowohl für den Libanon als auch für Israel „höchste Priorität“ haben.

Tausende weitere Zivilisten nach Südgaza geflüchtet

Unterdessen sind am Mittwoch Tausende weitere palästinensische Zivilisten aus Nordgaza in Richtung Süden geflohen. Palästinensische Augenzeugen bestätigten entsprechende offizielle Mitteilungen Israels. Die Armee teilte mit, seit Beginn des Krieges vor einem Monat hätten bereits mehr als 900.000 Menschen den Norden verlassen. Das UNO-Nothilfebüro (OCHA) spricht von rund 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen im Gazastreifen.

Der Küstenstreifen, der flächenmäßig kleiner als Wien ist, hat mehr als 2,2 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen. Israels Armee hatte den Zivilisten im nördlichen Gazastreifen zuvor ein neues mehrstündiges Zeitfenster für die Flucht auf einer Verbindungsstraße in den Süden genannt.

Zeitfenster verlängert

Gegen Mittag teilte der Sprecher mit, aufgrund der starken Inanspruchnahme des Fluchtkorridors werde das Zeitfenster um eine Stunde auf fünf Stunden verlängert. Dazu wurde eine Karte veröffentlicht, auf der die Straße eingezeichnet war. „Der Norden des Gazastreifens wird als erbittertes Kampfgebiet betrachtet, und die Zeit zur Evakuierung läuft ab“, schrieb er zusammen mit dem Aufruf, sich möglichst schnell in den Süden zu bewegen.

Wie viele Menschen über die Route am Mittwoch in Richtung Süden flüchteten, ist noch unklar. Für Dienstag gab die UNO die Gesamtzahl der Geflüchteten mit 15.000 an. Es ist davon auszugehen, dass sich noch Hunderttausende Menschen im nördlichen Teil des Gazastreifens aufhalten.

Rettungskräfte: Al-Kuds-Spital geht Treibstoff aus

Unterdessen droht dem Al-Kuds-Spital im Gazastreifen nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds voraussichtlich noch im Tagesverlauf der knappe Treibstoff für die Notstromaggregate auszugehen. Das Krankenhaus habe am Mittwoch die meisten Operationen eingeschränkt, um den Treibstoffverbrauch zu rationieren und den Betrieb in den nächsten Tagen zu einem Mindestmaß sicherzustellen, teilte die Hilfsorganisation via Twitter (X) mit.

Zugleich entsendet Italien ein Lazarettschiff vor die Küste des Gazastreifens zur Behandlung von Verletzten. Das Schiff sollte noch am Mittwoch auslaufen, wie der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto ankündigte. 30 der 170 Besatzungsmitglieder an Bord seien für medizinische Notfälle ausgebildet. Italien arbeite zudem daran, ein Feldlazarett in den Gazastreifen zu verlegen.

WHO: Alles bereit für Hilfslieferungen

Von der WHO hieß es davor, dass alles für weitere Hilfslieferungen bereit sei: „Alles ist bereit, die Logistik ist da, die Konvois sind da, die Lieferungen sind da, was nicht da ist, ist der Zugang“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier. Nach aktuellen Zahlen der UNO haben seit Ausbruch des Krieges vor einem Monat insgesamt 500 Lastwagen den Gazastreifen erreicht, benötigt würden aber 500 solcher Ladungen pro Tag, hieß es.