Tunnel in Giftmülldeponie Stocamine
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Arsen und Quecksilber

Giftmülldeponie als Zeitbombe im Elsass

In Frankreich, nicht weit von der deutschen Grenze entfernt, lagern in der Tiefe eines früheren Bergwerks über 40.000 Tonnen Giftmüll: Arsen, Quecksilber und unbekannte Stoffe. Strafrechtliche Ermittlungen dazu laufen. Trotzdem hätte laut Plan der Pariser Regierung die Deponie Stocamine bis 2027 verschlossen werden sollen, bis ein Gericht nun erneut die Bremse zog. Das Argument: die Rechte künftiger Generationen.

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Straßburg schrieb die französische Tageszeitung „Le Monde“ von einer Art „Präzedenzfall“. Bei dem Dauerstreit geht es um die Giftmülldeponie Stocamine auf dem Gelände des früheren Kalisalzbergwerks Mines de Potasse in der Gemeinde Wittelsheim im Elsass, Departement Haut-Rhin, Region Grand Est.

In dem früher von der Mine de Potasse d’Alsace (MDPA) betriebenen Bergwerk wurde von 1999 bis zur Schließung 2002 Giftmüll eingelagert, darunter laut französischen Medienberichten Arsen, Asbest, Chrom, Quecksilber, Cyanide, Pflanzenschutzmittel, Verbrennungsrückstände – vor allem aber sollen dort auch unbekannte Substanzen mit folglich unbekanntem Gefahrenpotenzial lagern.

„Pflicht zu nachhaltigen Entscheidungen“

In seiner Entscheidung gegen die Genehmigung für ein Endlager in der Deponie Stocamine argumentierte das Gericht in Straßburg nun, die Genehmigung dafür verstoße gegen Umweltrecht und die Pflicht zu nachhaltigen Entscheidungen, die künftige Generationen nicht belasteten. Initiativen, die schon Jahre gegen die Pläne der Regierung und für eine Entschärfung der Umweltzeitbombe kämpfen, sprachen von einem „großen Sieg für künftige Generationen“.

Arbeiter in bei Bauarbeiten in Giftmülldeponie Stocamine
APA/AFP/Sebastien Bozon
Drei Jahre wurde unter den Salzstollen Giftmüll der Klasse eins wie Asbest eingelagert

Allerdings richtete sich die Entscheidung nur gegen die Betriebserlaubnis der Region Haut-Rhin. Forderungen, die Deponie zu räumen, sind davon nicht betroffen. Das Gericht verwies mit seiner Begründung auf Artikel 2 der französischen Umweltcharta von 2005.

Es äußerte weiters „ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung“, ein Endlager zu genehmigen. Die Tageszeitung „Dernierers Nouvelles d’Alsace“ („DNA“) sprach von „dreifachen Zweifeln“ des Gerichts. Das Urteil war bereits das vierte gegen die Deponiepläne. Eine endgültige gerichtliche Entscheidung soll in den nächsten Monaten fallen.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen Einlagerungen

Stichwort Recht: Wegen der Einlagerung unbekannter Substanzen in die Stollen von Stocamine, die Hunderte Meter unter der Erde liegen, laufen seit Jahren strafrechtliche Ermittlungen. Der Verdacht lautet, dass in dem früheren Bergwerk nicht deklarierte bzw. nicht genehmigte giftige Substanzen eingelagert wurden.

Menschen protestieren gegen Giftmülldeponie Stocamine
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Proteste und Klagen begleiten das Projekt Endlager seit Jahren: „Stocamine, vergiftete Weihnachten“

Laut einem Bericht des deutschen Südwestrundfunks vom September gibt es dazu entsprechende Aussagen früherer Mitarbeiter der MDPA. Untertag lagern aktuell – soweit bekannt – 42.000 Tonnen Problemstoffe in Tonnen oder, wie auf Bildern zu sehen ist, in großen Plastiksäcken (Big Bags), die meist zum Transport oder für die Lagerung von Schüttgut verwendet werden. Eingelagert wurden sie unter dem Salzbergwerk.

Zweifel an Stabilität der Deponie

Das große Problem der Deponie ist, dass die Stollen nach einem Brand in 535 Meter Tiefe 2002 als instabil gelten. Das Feuer wurde damals erst nach Tagen gelöscht, Bergarbeiter konnten nicht mehr in die Stollen, die Anlage wurde geschlossen. Von 1910 bis zum Brand war in dem Bergwerk Kalisalz, das hauptsächlich als Mineraldünger und in der chemischen Industrie verwendet wird, abgebaut worden.

Luftaufnahme der  Giftmülldeponie Stocamine
APA/AFP/Sebastien Bozon
Das frühere Bergwerk steht seit einem Brand in der Tiefe 2002 still

Von der französischen Regierung wurde im September die Versiegelung der Deponie bis 2027 verfügt. Sie soll laut Plan mit einer dicken Betonschicht verschlossen und überwacht werden. Ein Bescheid der Präfektur Haut-Rhin wurde am 28. September erlassen. Nun stehen die Vorbereitungsarbeiten still.

Differenzen um langfristige Sicherheit

Der Hauptgrund dafür, dass unterschiedliche Initiativen wie Alsace Nature und Destocamine seit Jahren gegen die Deponie Sturm laufen, sind Sicherheitsbedenken. Das Argument lautet, niemand wisse, ob und wie lange die Stollen dicht sein würden. Destocamine (ein Wortspiel aus „Stocamine“ und dem Wort „destocker“, „entladen“) fordert eine Räumung. Sie fürchten, dass in einigen Jahrzehnten Gift aus den Stollen austreten könnte.

Stocamine ist auch in Deutschland ein großes Thema, nicht nur, weil es von der französischen Gemeinde Wittelsheim mit ihren knapp über 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in der Oberrheinischen Tiefebene nur wenige Kilometer bis zur deutschen Grenze sind. Der Rheingraben gilt zudem als eines der bedeutendsten Reservoirs für Trinkwasser für mehrere Millionen Menschen im Grenzgebiet zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz.

Klage gegen Deponiebetreiber

Die einstweilige Verfügung gegen das Endlager hatte Alsace Nature erwirkt. „Es ist das erste Mal, dass eine Entscheidung der öffentlichen Behörde aufgrund der Missachtung des Rechts zukünftiger Generationen sanktioniert wird“, zitierte „Le Monde“ den Rechtsanwalt der Initiative, Francois Zind. „Es ist die erste Anwendung seit der jüngsten Entscheidung des Verfassungsrats, dass der Staat verpflichtet ist, dieses Recht zu berücksichtigen.“

Alsace Nature erstattete kürzlich gegen MDPA Strafanzeige. Der Betreiber des Geländes täusche die Öffentlichkeit, lautete der Vorwurf. Zind argumentierte auch damit, dass der Grund für den schlechten Zustand der Mine seit Jahren nicht mehr durchgeführte Instandhaltungsarbeiten seien.