Flaggen der Ukraine und der Europäischen Union
IMAGO/Zoonar/Valerio Rosati
Ukraine, Moldawien

EU-Kommission empfiehlt Beitrittsgespräche

Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihren mit Spannung erwarteten Bericht über die Fortschritte der Beitrittsbewerber vorgestellt. Darin werden Beitrittsgespräche mit der Ukraine empfohlen – ein Novum für ein Land im Krieg. Auch Moldawien soll nach Ansicht der Kommission Beitrittsgespräche führen. Bosnien-Herzegowina muss hingegen weiter warten.

Der Überfall Russlands hatte auf den Annäherungsprozess der Ukraine an die EU wie ein Katalysator gewirkt – noch Anfang 2022 schienen baldige Beitrittsgespräche unmöglich. Nun, nach 21 Monaten Krieg, hat sich Lage gedreht. Wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gemeinsam mit Erweiterungskommissar Oliver Varhely am Mittwoch bekanntgab, empfiehlt die Kommission Beitrittsgespräche mit der Ukraine, ebenso mit Moldawien. Es sei ein „historischer Tag“, so von der Leyen.

Georgien soll nach dem Wunsch der Kommission den Kandidatenstatus erhalten. Dieser war der Ukraine und Moldawien bereits im Vorjahr gewährt worden. Für Bosnien-Herzegowina ändert sich vorerst wenig: Das Land ist und bleibt Beitrittskandidat. „Sobald die Kommission zur Auffassung gelangt, dass Bosnien und Herzegowina die Beitrittskriterien erfüllt hat, wird die Kommission die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen empfehlen“, so der Bericht.

Entscheidung im Dezember möglich

Die Kommission sieht die Voraussetzungen der Ukraine als weitgehend erfüllt an. Die Gespräche sollten beginnen, sobald Kiew die letzten Bedingungen erfüllt habe, hieß es im am Mittwoch vorgelegten Fortschrittsbericht. Darin wird erfasst, wie weit die Ukraine bei der Umsetzung von sieben Reformauflagen gekommen ist.

Ursula von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission) und Oliver Varhelyi (Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik) bei einer Pressekonferenz in Brüssel
Reuters/Yves Herman
Von der Leyen und Varhely legten den Fortschrittsbericht vor

Die EU verlangt von der Ukraine unter anderem eine stärkere Korruptionsbekämpfung, die Einhaltung von Standards im Kampf gegen Geldwäsche und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen. Zudem geht es beispielsweise um Medienfreiheit und den Schutz von nationalen Minderheiten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die Empfehlung der Kommission. „Das ist ein starker und historischer Schritt, der den Weg für eine stärkere EU mit der Ukraine als Mitglied ebnet“, schrieb er auf Twitter (X). Die Ukraine werde den Reformpfad weitergehen.

Die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten könnte damit wie von der Regierung in Kiew erhofft auf dem EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember erfolgen. Sollte die Ukraine bei den Reformen nicht liefern, riskiert sie, dass es Vetos gibt. Alle relevanten Entscheidungen zum Beitrittsprozess erfordern Einstimmigkeit unter den EU-Staaten. Der nächste Schritt wäre dann die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen.

Noch weiter Weg

Kiew und Brüssel wollen den mehr als 40 Millionen Ukrainern zeigen, dass sie eine Perspektive haben, EU-Bürgerinnen und -Bürger zu werden. „Sie kämpfen nicht nur für Ihre eigene Freiheit, Demokratie und Zukunft, sondern auch für unsere“, sagte von der Leyen jüngst an die Adresse der ukrainischen Bevölkerung gerichtet.

Robert Zikmund und Christian Wehrschütz über die Beitrittsverhandlungen

Robert Zikmund und Christian Wehrschütz sprechen über die geplanten Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine.

Es gilt aber als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor Kriegsende EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern – die EU wäre offiziell Kriegspartei.

In der Warteschleife

Wie lange der Beitrittsprozess dauert, kann ohnehin niemand sagen. Die Türkei etwa wurde 1999 EU-Kandidat, auch die Länder auf dem Westbalkan warten schon seit rund zehn Jahren. Serbien, Montenegro, Albanien und Nordmazedonien erhielten zwar den Kandidatenstatus, stecken aber seitdem in schleppenden Beitrittsverhandlungen fest.

Die bereits begonnenen Verhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien schreiten laut dem am Mittwoch vorgelegten Bericht voran. Die Kommission attestiert Albanien deutliche Fortschritte, unter anderem im Justizbereich. Etwas zurückhaltender schaut sie auf Nordmazedonien, wo sie unter anderem große Sorgen mit Bezug auf Änderungen im Strafrecht hat.

Neben dem Erweiterungsbericht hat die Kommission auch einen Wachstumsplan für den Westbalkan vorgelegt. Dieser baut auf vier Säulen auf. Die Ziele sind eine verstärkte wirtschaftliche Integration in den EU-Binnenmarkt, die Förderung der wirtschaftlichen Integration innerhalb der westlichen Balkan-Staaten auf Grundlage von EU-Vorschriften und -Standards, die Beschleunigung grundlegender Reformen sowie die Aufstockung der Finanzhilfe.

Eine neue Reform- und Wachstumsfazilität für die westlichen Balkan-Staaten soll sechs Milliarden Euro in Form von nicht rückzahlbaren Unterstützungen sowie Darlehen mobilisieren.

Kritik an Verzögerung für Bosnien-Herzegowina

Der Forderung von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), bis Jahresende Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina zu starten, kam die Brüsseler Behörde am Mittwoch aber nicht nach. Verhandlungen werden erst nach Umsetzung mehrerer Schritte empfohlen. „Die Tür für Bosnien ist jetzt weit offen für Beitrittsgespräche“, so von der Leyen. Es gebe große Fortschritte beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität und Geldwäsche. Sorgen gebe es aber wegen „verfassungswidriger“ Entscheidungen in der Republika Srpska, dem serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina.

„Die Fortschrittsberichte der Kommission zum Westbalkan sind leider saft- und kraftlos“, kritisierte der ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl den Bericht. Mandl weist auf Versuche autoritärer Staaten hin, den Westbalkan zu beeinflussen. Die EU dürfe sich „nicht in regulatorischem Klein-Klein erschöpfen“. Die Integration der Westbalkan-Staaten müsse „mit Courage“ vorangetrieben werden.

FPÖ will Veto Österreichs

Kritik von SPÖ und FPÖ kam wiederum an „Abkürzungen“: „Jedes Kandidatenland muss ausnahmslos alle Kopenhagen-Kriterien erfüllen, um Mitglied der Europäischen Union zu werden. Fortschritte müssen belohnt werden, trotzdem darf es keine Schnellverfahren, Ausnahmen oder Abkürzungen im EU-Erweiterungsprozess geben“, so SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder in einer Aussendung.

Die FPÖ tritt offen gegen Beitrittgespräche mit der Ukraine auf. Diese seien eine „politische Wahnsinnstat auf Kosten der Bürger“, so Parteichef Herbert Kickl, der die Bundesregierung aufforderte, ein Veto einzulegen. Die FPÖ werde bei der nächsten Gelegenheit einen entsprechenden Antrag im Nationalrat einbringen.

NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon appellierte hingegen „an alle Staats- und Regierungschefs, beim EU-Gipfel auch grünes Licht für die Beitrittsgespräche mit der Ukraine zu geben und damit ein deutliches Signal an Moskau zu senden: Europa lässt sich nicht spalten, sondern rückt in Krisenzeiten näher zusammen.“