Kämpfer der Ta’ang National Liberation Army (TNLA)
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Rebellen vereint

Myanmars Junta erstmals in Bedrängnis

Seit die Militärjunta in Myanmar 2021 die demokratisch gewählte Regierung gestürzt und die Kontrolle übernommen hat, versinkt das Land in Chaos und Gewalt. Besonders der Shan-Staat im Nordosten des Landes an der Grenze zu China gleicht einer gesetzlosen Gegend. Zuletzt hatten sich dort bewaffnete Rebellengruppierungen ethnischer Minderheiten zusammengeschlossen und dem Militär erstmals schwere Verluste zugefügt. Zudem spielt die Region auch für China aufgrund seiner geografischen Nähe eine nicht unbedeutende Rolle.

Ende Oktober hatten drei bewaffnete Rebellengruppierungen im Zuge ihrer Offensive „1027“ (die Offensive wurde am 27. Oktober gestartet, Anm.) im Shan-Staat im Nordosten mehr als 150 Militärstützpunkte der Armee des südostasiatischen Landes erobert. Zudem übernahmen sie die Kontrolle über mehrere Städte in der Region, wie Mitglieder der Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA), einer der drei Gruppierungen, mitteilten.

Gemeinsam mit der Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und der Arakan Army (AA) habe man zudem mehrere Grenzübergänge – darunter Chinshwehaw, den zweitgrößten Grenzposten zwischen Myanmar und dem benachbarten China – und Straßen erobert und blockiert, über die der größte Teil des für Myanmar so wichtigen Landhandels mit China abgewickelt wird. Außerdem seien mehrere Polizeistationen besetzt und mehrere Armeepanzer beschlagnahmt worden. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht.

Basierend auf BBC- und anderen Medienberichten (Stand 7. November 2023)

UNO: Zehntausende Vertriebene

Nach Angaben des UNO-Nothilfebüros (OCHA) wurden seit Beginn der Kämpfe bereits Zehntausende Menschen vertrieben, rund 50.000 seien allein im nordöstlich gelegenen Shan-Staat zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen worden. Weitere 40.000 Menschen seien in der Nachbarregion Sagaing und im Kachin-Staat vertrieben worden.

Zudem seien mindestens 17 Zivilistinnen und Zivilisten seit Ausbruch der heftigen Kämpfe ums Leben gekommen, 40 weitere seien verletzt worden. Durch die Blockierung wichtiger Transportwege sei es außerdem zu Engpässen bei lebenswichtigen Gütern gekommen. Außerhalb von Lashio, der größten Stadt im Shan-Staat, in der sich auch das Militärkommando für den Nordosten Myanmars befindet, sind laut OCHA zudem alle Internet- und Telefonverbindungen unterbrochen.

Präsident warnt vor Spaltung des Landes

Die von der Militärjunta kontrollierte Armee reagierte mit Luftangriffen und Artilleriebeschüssen, konnte jedoch keinen verlorenen Boden zurückgewinnen. Auch eine ganze Kompanie soll laut der MNDAA kapituliert haben. Der Präsident der Junta-Regierung, Myint Swe, hatte am Donnerstag vor einem Zerfall des Landes gewarnt.

„Wenn die Regierung die Vorfälle in der Grenzregion nicht wirksam bewältigt, wird das das Land in verschiedene Teile spalten“, zitierte ihn die staatlich kontrollierte Zeitung „Global New Light of Myanmar“. Zudem bezichtigte er die Rebellen der MNDAA, ihre Offensive mit Drogenhandel finanziert zu haben, was diese jedoch verneinten.

Kämpfer der Myanmar National Democratic Alliance Army hissen auf einem Panzer eine Flagge
AP/"The Kokang" online media
Kämpfer der MNDAA posieren mit ihrer Fahne auf einem eroberten Panzerfahrzeug der Armee

Schwerster Rückschlag seit Putsch

Die heftigen Kämpfe sind für die Militärjunta der schwerste Rückschlag seit dem Putsch im Februar 2021, als die demokratisch gewählte Regierung gestürzt und Regierungschefin Aung San Suu Kyi festgenommen wurde.

Seitdem herrschen im Land chaotische und gewaltvolle Zustände. Bei darauffolgenden Protesten wurden Hunderte Menschen getötet und Tausende verhaftet. Der Junta werden seitdem von NGOs immer wieder Gräueltaten gegen Zivilistinnen und Zivilisten vorgeworfen.

Menschen in Yangon (Myanmar) protestieren im Jahr 2021 mit Fackeln gegen den Militärcoup
Reuters
Nach dem Militärputsch 2021 formierten sich massenhaft Proteste, die brutal niedergeschlagen wurden

Drogenproduktion und „Betrugsfabriken“

Besonders die Region des Shan-Staates im Nordosten von Myanmar gleicht einer gesetzlosen Zone. Sie umfasst fast ein Viertel der Gesamtfläche des Landes und gilt als eine der weltweit größten Produzenten illegaler Drogen, wie das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in einem Bericht festhielt. Seit Kurzem boomt dort auch das Geschäft mit Casinos und „Betrugsfabriken“, in denen von illegalen Onlineglücksspielen bis zum Betrug mit Kryptowährungen alles abgewickelt wird.

Laut einem Bericht des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) würden 120.000 Menschen allein in Myanmar zum Arbeiten in solchen „Betrugsfabriken“ gezwungen. Seit der Unabhängigkeit Myanmars im Jahr 1948 steht die Region neben Konflikten und Armut auch unter der Kontrolle verschiedener Warlords und von Drogenbossen, die sich gegenseitig und die Armee bekämpfen.

Momentum für Opposition

Neben vielen weiteren kleinen ethnischen Gruppierungen ist die United Wa State Army (UWSA) ein weiterer Player in der Region. Sie ist ebenfalls eine Rebellengruppierung, die sich wegen eines 1989 mit dem Militär vereinbarten Waffenstillstandes aber im Allgemeinen aus bewaffneten Zusammenstößen heraushält und laut eigenen Angaben eine neutrale Position zwischen Junta und oppositionellen Kräften einnimmt.

Und dann gibt es noch die Nationale Einheitsregierung (NUG), die sich aus der vor dem Putsch gewählten Regierung formiert hat und nun oppositionell zur Militärjunta auftritt. Sie agiert aus dem Exil heraus, verfügt aber auch über einen militärischen Arm in Myanmar, die People’s Defence Forces. Aufgrund der Fortschritte der Rebellengruppierungen haben zuletzt auch diese Kämpfer wieder Angriffe gegen die Regierungstruppen gestartet und von einem neuen Momentum in ihrem schon lange verzweifelten Versuch, die Junta zu stürzen, gesprochen.

Eine Rakete wird von einer Militärbasis in Lashio (Myanmar) abgefeuert
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In der Stadt Lashio befindet sich das Militärkommando der Armee für den Nordosten von Myanmar

Etwas, das diese Angriffe jedoch vor allem bedeutsam macht, ist – wie die BBC schrieb – die Tatsache, dass sich die Rebellengruppierungen der MNDAA, der TNLA und der AA im Shan-Staat zum ersten Mal zusammengeschlossen haben, um die Militärjunta zu stürzen und die demokratische Ordnung wiederherzustellen. Festzumachen sei das auch daran, dass sie sich selbst als „Brotherhood Alliance“ bezeichnen.

China will „Betrugsfabriken“ schließen

International gesehen ist das Land allerdings fast völlig isoliert. In der nordöstlichen Region des Shan-Staates teilt man sich jedoch unter anderem eine Grenze mit Thailand und China. Letzteres ist auch eines der wenigen Länder, die diplomatische Kontakte zur Militärjunta pflegen und daher Distanz zur NUG halten.

Seit einem Jahr drängt die chinesische Regierung allerdings die Militärjunta dazu, mehr gegen die vielen „Betrugsfabriken“ zu tun, die größtenteils von chinesischen Kartellen betrieben werden. Sie sind für Peking zu einer Unbequemlichkeit geworden, nachdem die brutale Behandlung von in den Fabriken gefangenen Menschenhandelsopfern publik geworden war.

Kontakte zu Junta und Rebellen

China selbst steckt zudem auch in anderer Hinsicht in einer schwierigen Situation. Einerseits unterhält es zwar Verbindungen zur Militärjunta, andererseits pflegt es aber traditionell gute Kontakte zu den Rebellengruppierungen, allen voran zur UWSA.

In manchen Gruppierungen sind zudem – vor allem aufgrund der geografischen Nähe – ethnische Minderheiten Chinas vertreten. Um China für sich zu gewinnen, haben die Rebellengruppierungen dem östlichen Nachbarn daher versprochen, in ihrem Vorgehen auch die „Betrugsfabriken“ zu schließen.

Mopedfahrer in Muse (Myanmar) fahren am Grenzübergang zu China vorbei
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Einer der Grenzübergänge zu China nahe der Stadt Muse

Das längerfristige Ziel der Rebellengruppierungen ist es aber, so viel Boden wie möglich zu gewinnen, um im Fall eines möglichen Zusammenbruchs der Militärregierung die bestmögliche Ausgangsposition für die von der NUG zugesagten Verhandlungen über eine neue Struktur für Myanmar zu erreichen.