FPÖ-Chef Herbert Kickl
IMAGO/Rudolf Gigler
Blaues Hoch

„Selbstsicher“ in Zeiten der Extreme

Das Wahljahr 2024 treibt seine ersten Knospen. Neben den Versprechen, die bereits medial ventiliert werden, suchen die Parteien den Kontakt zur Bevölkerung, indem sie quer durch das Land touren. Auch die in Umfragen deutlich führende FPÖ bereitet sich schon auf den Intensivwahlkampf vor – und profitiert von der aufgeheizten Stimmung und der Konkurrenz.

Mit der „Heimattour“ wolle man „unsere Heimat mit ihrer reichhaltigen Kultur, mit ihren Traditionen und Bräuchen in den Mittelpunkt“ stellen, so die FPÖ. Dafür wurden Veranstaltungen mit und ohne FPÖ-Chef Herbert Kickl organisiert. Zu den Traditionen und Bräuchen gehörte etwa die Möglichkeit, sich an Ort und Stelle die stumpfen Messer schleifen zu lassen. Traditionsgemäß sind aber auch scharfe Kritik und verbale Spitzen, die für Aufregung sorgen, Teil der Veranstaltungen.

So ließ etwa der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner in Micheldorf mit der Aussage aufhorchen, dass unter einem Kanzler Kickl „einige das Benehmen lernen werden, und zwar vom Journalisten bis zum Islamisten“. Bei der „Heimattour“-Station im Kärntner Kappel am Krappfeld kündigte FPÖ-Landeschef Erwin Angerer an, dass man eine Landesrätin im Landtag „herprügeln“ werde. Im Burgenland sagte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz mit Blick auf die Regierung: Kickl werde „geraderücken, was die Verrückten verruckt haben“.

Umfragehoch der FPÖ

Dass die FPÖ mit der politischen Konkurrenz nicht zimperlich umgeht und Zuspitzungen an der Tagesordnung stehen, ist nicht neu. Schon unter FPÖ-Chef Jörg Haider wurde in Bierzelten gegen Parteien und Medien gewettert. Das Niveau sei heute anders, sagt Expertin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ORF.at. Unter Parteichef Norbert Hofer hätten die Freiheitlichen noch angenommen, man müsse die gesellschaftliche Mitte ansprechen, um die 30-Prozent-Marke zu erreichen. „Aber das gilt jetzt nicht mehr“, betont sie.

Grafik zu Umfragewerten der FPÖ seit 2019
Grafik: ORF; Quelle: APA

Aktuell liegt die FPÖ in Umfragen mit rund 30 Prozent deutlich vor der SPÖ und der ÖVP. Der „Standard“ veröffentlichte zuletzt eine Umfrage, wonach Kickl in der Kanzlerfrage führt. An zweiter Stelle findet sich Andreas Babler (SPÖ), an dritter Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP). Stainer-Hämmerle führt die Umfragewerte auf die Stimmung in der Bevölkerung zurück. Durch die Sicht auf die Coronavirus-Pandemie, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die hohe Inflation hätte sich die Ausgangsposition der Parteien „enorm verändert“.

Die Freiheitlichen würden gar nicht erst versuchen, auf die „Gruppe der Gemäßigten“ einzugehen. „Die Partei merkt, dass sie von diesen Krisen profitiert“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Die Freiheitlichen könnten mit Emotionen und Polarisierung ihre Zielgruppe aktuell am besten erreichen. „Die FPÖ fühlt sich durch die Umfragewerte bestätigt und selbstsicher genug, um diese Schiene auch weiterhin zu fahren.“

Politikberater Thomas Hofer pflichtet seiner Kollegin insofern bei, als die FPÖ „rhetorisch ein Zahn zugelegt hat, um der gesellschaftlichen Entwicklung zu folgen“. Insgesamt sei die Diskussionskultur schärfer geworden. Das komme den Freiheitlichen entgegen, sagt der Experte im Gespräch mit ORF.at. „In Zeiten der Polarisierung und Extreme wird das Unsagbare wieder sagbar. Dass die FPÖ wieder Vokabel der rechtsextremen Identitären verwendet wie ‚Bevölkerungsaustausch‘, stößt heute auf weniger Widerstand als noch vor einigen Jahren.“

Herbert Kickl auf seiner FPÖ-Heimattour
IMAGO/Rudolf Gigler
Kickl ist bekannt für seine verbalen Zuspitzungen Richtung Regierung

Konkurrenz normalisiert rechtspopulistische Positionen

Grundsätzlich seien Krisen der ideale Nährboden für Populisten, sagt Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller. 2015 stand die Migration im Vordergrund, aktuell würden ein sozioökonomischer Pessimismus und das mangelnde Vertrauen in die regierenden Parteien und Politik generell hinzukommen. Ein wesentlicher Faktor, warum etwa die FPÖ so stark ist, liege auch am Verhalten der anderen Parteien, sagt die Forscherin der Universität Wien im Gespräch mit ORF.at.

In einem jüngst publizierten Beitrag hat sich Partheymüller mit dem Wahlerfolg der FPÖ und der AfD in Deutschland auseinandergesetzt. Der Grund, warum die Freiheitlichen mehr Zuspruch erfahren als die deutsche Partei, liege unter anderem an der Wahrnehmung, sagt die Forscherin. Inhaltlich sei der Unterschied zwischen FPÖ und AfD nicht markant. Dennoch werde die AfD als radikaler wahrgenommen als die FPÖ. „Die AfD gilt unter Wählerinnen und Wähler als rechtsextrem, die FPÖ als rechtskonservativ.“

FPÖ-AfD-Studie

Unter dem Titel „Voting for the Populist Radical-Right in Austria and Germany“ haben Julia Partheymüller und Stefanie Walter untersucht, welche Faktoren für die Wahlerfolge der FPÖ und AfD im Jahr 2017 ausschlaggebend waren. 2017 konnte die FPÖ bei der Nationalrat deutlich zulegen, die AfD bei der deutschen Bundestagswahl.

In Österreich werde der Rechtspopulismus normalisiert, weil sich die politische Konkurrenz an den Rechtspopulismus annähere. Teils würden Positionen und Themen übernommen, um zu zeigen, dass man ein Problem kompetenter lösen kann. Partheymüller verweist auf andere Studien, wonach diese Normalisierung zu einer erhöhten Akzeptanz von Rechtspopulismus führt. „Wähler und Wählerinnen werden für rechtspopulistische Positionen empfänglicher, obwohl sie zuvor dafür nicht empfänglich waren“, sagt die Wissenschaftlerin.

„Mediales Paralleluniversum“

Aussagen wie jene von Haimbuchner und Angerer wurden während der eigenen Veranstaltungen geäußert. Freilich hält sich FPÖ-Chef Kickl auch im Parlament nicht zurück und teilt im Hohen Haus scharf gegen die Regierung aus – insbesondere wenn es um den Krieg in der Ukraine, die Coronavirus-Maßnahmen und die Bewältigung der hohen Inflation geht. Doch in der „eigenen Medienwelt“ könnten sich die Freiheitlichen noch weiter rauslehnen, sagt Stainer-Hämmerle.

Die Politikwissenschaftlerin spricht nicht nur die sozialen Netzwerke an, an denen heute kein Politiker bzw. keine Politikerin mehr vorbeikommt, um Zielgruppen zu adressieren. Auch Parteimedien wie FPÖ-TV dienen den Freiheitlichen als Multiplikatoren. Parteichef Kickl vor gut einem Jahr dementsprechend über FPÖ-TV: „Das ist ein maßgeblicher Erfolgsfaktor auch für unsere politische Arbeit, weil wir rasch und ungefiltert unsere politischen Positionen nach außen bringen können.“

Die FPÖ könne mittlerweile auf journalistische Medien verzichten, weil sie ein „mediales Paralleluniversum“ aufgebaut habe, sagt Hofer. Dadurch würde sich die rhetorische Zuspitzung verschärfen: „In den eigenen Medien muss man den Ton nicht mehr mäßigen, wie es in klassischen Medien der Fall ist, wo zum Teil auch Menschen mithören oder mitlesen, die die Partei vielleicht ablehnen“, so der Experte, der an das diesjährige ORF-„Sommergespräch“ mit Kickl erinnert. „Er sagte mehrmals, dass man das oder jenes nicht rausschneiden dürfe.“

Dass nicht nur die FPÖ gegen Medien austeilen kann, sondern auch die SPÖ, bewies Parteichef Babler am Parteitag in Graz, als er auf seine bisherige Zeit als Vorsitzender zurückblickte: „Gerade wenn ich mir den Schlamm anschaue, der in den letzten Wochen und Monaten von sogenannten Politikexperten, Politikexpertinnen, Kommentatoren und Kommentatorinnen, Analysten und Analystinnen mit voller Härte auf uns herabgeprasselt ist: Das war eine richtige Kampagne.“

Von Zuspitzung und Dramatisierung

Derzeit befinden sich alle Parteien bereits im Vorwahlkampf. 2024 wird das EU-Parlament und der Nationalrat gewählt. Die Parteien beziehen Positionen, grenzen sich von der Konkurrenz ab und zeigen Kante. Das Nachrichtenmagazin „Profil“ kommentierte aber jüngst anlässlich der FPÖ-Rhetorik: „Die Eskalationsspirale dreht sich derart schnell, dass sich sogar die Empörung über die wachsende Radikalität in Blau in überschaubaren Grenzen hält. Die FPÖ sieht offenbar keinerlei Anlass mehr, sich zurückhaltend oder gar staatsmännisch zu geben.“

Politikberater Hofer verweist darauf, dass die FPÖ nicht die gesamte Bevölkerung erreichen will. „Klassische FPÖ-Wähler, jene, die mit den Inhalten sympathisieren, und Personen, die sagen, man benötige die Politik nicht: Das reicht für die FPÖ, und dafür greift sie auf Zuspitzung und Dramatisierung zurück“, sagt der Experte. Selbst wenn die FPÖ auf eigene Medien setzt, müsse sie durch den „Wust an einströmenden Nachrichten“ vorbeikommen, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Bis zur EU-Wahl sind es noch sechs Monate, der künftige Nationalrat wird in elf Monaten gewählt. Bis dahin erwarten Stainer-Hämmerle und Hofer eine Verschärfung der Rhetorik. Die Parteien müssten dabei aber langsam aufpassen, dass die Wortgewalt am Ende nicht zu einer physischen Gewalt führt, sagt der Politikberater. „In der Politik gibt es auch eine gewisse Vorbildwirkung. Die Gefahr ist groß, dass das im Wahlkampf vergessen wird.“