Rauch über dem Gazastreifen
APA/AFP/Said Khatib
Israel

Nur kurze lokale Feuerpausen

Israel hat sich nach Angaben der USA zu täglichen Feuerpausen bereiterklärt. Diese würden ab Donnerstag jeweils für vier Stunden im nördlichen Gazastreifen gelten, teilte das US-Präsidialamt in Washington mit. Die israelische Armee betonte allerdings, dass es sich dabei nur um „taktische, lokale Pausen für humanitäre Hilfe“ und keine längere Feuerpause oder gar Waffenruhe handle.

Die Feuerpausen würden drei Stunden im Voraus angekündigt, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstag. „Israel ist verpflichtet, das Völkerrecht in vollem Umfang einzuhalten, und wir glauben, dass diese Pausen ein Schritt in die richtige Richtung sind“, so Kirby weiter. Das gelte insbesondere, um sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung die Möglichkeit habe, sich in sicherere Gebiete abseits der aktiven Kämpfe zu begeben.

US-Präsident Joe Biden habe sich für diese Pausen starkgemacht, hieß es weiter. Während dieser Pausen werden es etwa möglich sein, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen. Sie könnten auch ein „ausreichendes Zeitfenster bieten, um den Menschen zu helfen, aus der Gefahrenzone zu kommen“, sagte Kirby. Außerdem seien sie eine Möglichkeit, Geiseln sicher aus dem Gazastreifen zu bringen. Nähere Details dazu nannte das Weiße Haus allerdings nicht. Die erste Pause solle bereits am Donnerstag von den Israelis angekündigt werden.

Israel: „Taktische, lokale Pausen“

Der israelische Armeesprecher Richard Hecht betonte kurz darauf, dass die Ankündigung nicht mit einer längeren Feuerpause oder gar Waffenruhe gleichzusetzen sei. „Es gibt keine Waffenruhe (engl. ceasefire), ich wiederhole, es gibt keine Waffenruhe. Was wir tun, dieses Vierstundenfenster, das sind taktische, lokale Pausen für humanitäre Hilfe“, sagte Hecht.

Von der UNO hieß es überdies am Donnerstagabend, dass jede Einstellung der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas aus humanitären Grunden mit den Vereinten Nationen koordiniert und von allen Konfliktparteien gebilligt werden müsse. Nur so könne eine Feuerpause „wirklich wirksam sein“, sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric.

Einig sind sich Israel und die USA weiterhin hinsichtlich eines tatsächlichen Waffenstillstands. Einen solchen schließen beide Länder kategorisch aus, wie Biden auch am Donnerstag noch einmal bekräftigte. Auf die Frage, ob es entsprechende Aussichten gebe, sagte Biden am Donnerstag: „Keine. Keine Möglichkeit.“

Berichte: Verhandlungen über Freilassung von Geiseln

Mit Blick auf die Situation der von der islamistischen Hamas festgehaltenen Geiseln sagte der US-Präsident, er sei noch optimistisch. Neben den Gesprächen zu den Feuerpausen laufen zurzeit auch Verhandlungen über die Freilassung von etwa einem Dutzend Geiseln in Gewalt der Hamas im Gazastreifen. Das bestätigte ein Insider der dpa am Donnerstag. Die Verhandlungen darüber liefen unter Vermittlung Katars und in Absprache mit den USA, hieß es. Es gehe um die Freilassung von zehn bis 15 Geiseln im Gegenzug für eine 48 bis 72 Stunden lange humanitäre Kampfpause.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu
Reuters/Israeli Government Press Office/Haim Zach
Israels Ministerpräsident Netanjahu mit Soldaten am 7. November

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Mittwochabend erneut die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen als Bedingung für eine Waffenruhe genannt. „Ich möchte alle Arten von falschen Gerüchten, die wir aus allen möglichen Richtungen hören, beiseitelegen und eines klarstellen: Es wird keine Waffenruhe ohne die Freilassung unserer Geiseln geben“, sagte Netanjahu. Alles andere sei falsch. Unklar war jedoch, ob er damit erneut die Freilassung aller 239 Hamas-Geiseln auf einmal meinte.

Israelische Zeitung berichtete von möglichem Deal

Die israelische Zeitung „Jediot Achronot“ hatte bereits im Vorfeld von einem möglichen Deal unter Vermittlung Katars und unter Beteiligung von CIA-Chef William Burns berichtet. Es war die Rede von der Freilassung von 50 bis 60 Geiseln, vor allem von älteren Frauen, Kindern und Müttern. Nach Angabe israelischer Repräsentanten sei dieser aber „noch weit entfernt vom Abschluss“.

CIA-Direktor Burns, aber auch Mossad-Chef David Barnea erörterten mit dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman Al Thani mögliche Szenarien zur Freilassung der Geiseln im Gazastreifen sowie eine Feuerpause, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person auch der Nachrichtenagentur Reuters.

Berichte: Sorge vor Neugruppierung der Hamas

Israel bestehe auf klaren Abmachungen, um sicherzustellen, dass es nicht zu einer längeren Waffenruhe gedrängt wird, die als Sieg der Hamas gelten könnte. Nach Medienberichten befürchtet Israel, die angeschlagene Hamas könnte sich während einer längeren Feuerpause neu gruppieren. Diese könnte dann israelische Truppen im Gazastreifen gefährden. Unklar sei auch, ob im Rahmen einer Geiselfreilassung auch palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden sollen, schrieb die Zeitung.

Parallel gebe es auch unabhängige Verhandlungen zwischen der Hamas und Thailand über die Freilassung von 23 thailändischen Geiseln, bei denen der Iran vermittle. Die Angehörigen in Israel fordern eine Freilassung aller Geiseln im Rahmen jeder Vereinbarung über eine Waffenruhe.

Macron: Schutz der Zivilbevölkerung „unabdingbar“

Im Vorfeld der US-Ankündigung einer täglichen Feuerpause hatten humanitäre Organisationen auf einer internationalen Konferenz in Paris zwecks humanitärer Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf eine sofortige Feuerpause und die Öffnungen weiterer Grenzübergänge für Hilfslieferungen gepocht. Die humanitäre Lage verschlechtere sich zusehends, und eine Feuerpause sei notwendig, damit grundlegende Hilfe die Menschen erreichen könne, sagten Verantwortliche internationaler Organisationen am Donnerstag.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer Friedenskonferenz in Paris
AP/Michel Euler
Der französische Präsident Macron auf einer Friedenskonferenz in Paris

Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte zu Beginn der Konferenz, dass die Länder auf eine Waffenruhe hinarbeiten müssten. Die Zivilbevölkerung dort müsse geschützt werden, „das ist unabdingbar und nicht verhandelbar und eine unmittelbare Notwendigkeit“, so Macron. Er kündigte an, dass Frankreich seine Hilfen für die palästinensische Bevölkerung dieses Jahr von 20 Millionen auf 100 Millionen Euro erhöhe.

Österreich stellt weitere zwei Millionen Euro für humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung zur Verfügung, wie das Außenministerium in Wien bekanntgab. Die Gelder fließen an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften.

UNRWA fürchtet Eskalation auch im Westjordanland

Der Generalsekretär des UNO-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini, sagte in Paris, dass dringender Bedarf an sinnvoller, kontinuierlicher humanitärer Hilfe für den Gazastreifen bestehe, dazu gehöre auch die Lieferung von Treibstoff. Die über den ägyptisch-palästinensischen Grenzübergang Rafah eingehende Hilfe für die Zivilbevölkerung sei unzureichend. Alle Übergänge in den Gazastreifen müssten geöffnet werden, forderte Lazzarini. Die UNRWA fürchte auch ein Übergreifen der Eskalation auf das Westjordanland – „das Westjordanland kocht“, so Lazzarini.

Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric Egger, rief die internationale Gemeinschaft auf, in Gaza Menschenleben zu retten und humanitäre Hilfe möglich zu machen. Es drohe eine humanitäre Katastrophe. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen äußerte sich kritisch zu den bestehenden Sicherheitszonen im Süden des Gazastreifens. Das seien „Fake-Zonen“, sagte die Vorsitzende der Hilfsorganisation, Isabell Defourny.

Paris: Hilfskonferenz für Gazastreifen

Vertreterinnen und Vertreter von rund 80 Staaten und Organisationen haben sich in Paris getroffen, um die Unterstützung für den Gazastreifen zu koordinieren. 1,2 Milliarden Euro werden laut UNO für die Hilfe benötigt.

Palästinenser fordern Schutz

Der Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mohammed Schtajjeh, forderte internationalen Schutz für die palästinensische Bevölkerung. „Das Leid der Palästinenser hat nicht am 7. Oktober begonnen“, so Schtajjeh.

Teilnehmer der Konferenz sind unter anderem Ägypten, Jordanien und die arabischen Golfstaaten sowie westliche Staaten und G-20-Mitglieder mit Ausnahme Russlands. Allerdings sind nur wenige Staats- und Regierungschefs oder Außenminister dort. Internationale Institutionen und im Gazastreifen tätige Nichtregierungsorganisationen (NGO) schickten ebenfalls Vertreter. Israel war zu dem Treffen nicht eingeladen, wird nach französischen Angaben aber über die Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.

Beispielloser Terrorakt am 7. Oktober

Hamas-Kämpfer waren am 7. Oktober in den Süden Israels eingedrungen und überraschten mit ihrem Angriff Militär und Regierung Israels. Nach israelischen Angaben wurden bei dem Angriff rund 1.400 Menschen getötet und über 240 weitere von Hamas-Kämpfern als Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt. Israel hat darauf mit schweren und ununterbrochenen Luftangriffen auf den Gazastreifen reagiert und ist auch mit Bodentruppen eingerückt. Bei den israelischen Angriffen wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 10.500 Menschen getötet, etwa 40 Prozent von ihnen Kinder.