Satellitenbild von Rauchwolke über Gazastadt
AP/Planet Labs PBC
Israel

Waffenruhe in weiter Ferne, nur Feuerpausen

Einen generellen Waffenstillstand im seit vier Wochen tobenden Gaza-Krieg lehnt Israel weiter ab. Gewährt werden nur tägliche Feuerpausen, die jeweils für vier Stunden im nördlichen Gazastreifen gelten, teilte das US-Präsidialamt am Donnerstag mit. Weitere Zugeständnisse könnte nur die Freilassung der knapp 239 Geiseln seitens der islamistischen Hamas bewirken, betonte Israels Regierung.

Die Feuerpausen würden drei Stunden im Voraus angekündigt, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. „Israel ist verpflichtet, das Völkerrecht in vollem Umfang einzuhalten, und wir glauben, dass diese Pausen ein Schritt in die richtige Richtung sind“, so Kirby. Während der Pausen könnte nach seinen Worten humanitäre Hilfe geliefert und ein Zeitfenster geschaffen werden, damit Menschen aus der direkten Gefahrenzone entkommen können.

Einen generellen Waffenstillstand lehnen die US-Regierung und auch Israel dagegen weiter ab. Ohne die Freilassung der 239 von der islamistischen Hamas festgehaltenen Geiseln werde es keinen Waffenstillstand geben, hieß es dazu aus dem Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu
Reuters/Israeli Government Press Office/Haim Zach
Israels Ministerpräsident Netanjahu mit Soldaten am 7. November

Netanjahu: Wollen sicheren Fluchtkorridor

Netanjahus Büro verwies überdies auf einen schon bestehenden Fluchtkorridor für Zivilpersonen im Gazastreifen vom Norden in den Süden, auf dem Israel den Menschen zurzeit regelmäßig für einige Stunden eine sichere Passage zusagt. Am Mittwoch hätten 50.000 Menschen die Fluchtroute genutzt, hieß es.

Grafik zur Lage im Gazastreifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: ISW/WarMapper

„Die Kämpfe gegen die Hamas, die Hamas-Terroristen, gehen weiter, aber wir wollen an bestimmten Orten für einen bestimmten Zeitraum, ein paar Stunden hier, ein paar Stunden dort, eine sichere Passage von Zivilisten aus der Kampfzone ermöglichen. Und das machen wir auch“, sagte Netanjahu dem US-Sender Fox News.

„Taktische, lokale Pausen“

Das israelische Militär hatte zuvor auf Twitter (X) darauf hingewiesen, dass es keinen Waffenstillstand gebe, aber „taktische, lokale Pausen für humanitäre Hilfe für Zivilisten in Gaza“. Auch US-Präsident Joe Biden bekräftigte, dass es „keine Möglichkeit“ für eine Waffenruhe gebe. Die US-Regierung argumentiert, ein Waffenstillstand würde nur der im Gazastreifen herrschenden Terrororganisation Hamas in die Hände spielen und der Gruppe Zeit geben, sich neu aufzustellen für weitere Attacken.

Israel stimmt Feuerpausen zu

Im Nahen Osten gehen die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas unvermindert weiter. Israel ist weiter gegen eine generelle Waffenruhe, stimmte aber kleineren humanitären Feuerpausen zu.

Der US-Präsident sprach sich außerdem für die Lieferung von deutlich mehr Hilfsgütern in den Gazastreifen aus. „Vor zwei Tagen waren es 96 Lastwagen mit Hilfsgütern und gestern 106 Lastwagen. Aber wir brauchen mehr, und zwar bald. Unser Ziel sind mindestens 150 pro Tag, jeden Tag“, schrieb er auf Twitter.

Biden sagte weiter, es werde „ab heute“ zwei humanitäre Passagen geben, die es den Menschen ermöglichen sollen, aus den Kampfgebieten im Norden des abgesperrten Küstenstreifens zu fliehen. Biden fügte mit Blick auf die angestrebten humanitären Pausen hinzu, diese würden dazu beitragen, die Zivilbevölkerung in sicherere Gebiete zu bringen. „Sie sind ein Schritt in die richtige Richtung.“

Türk: „Unverhältnismäßig“

Von der UNO hieß es am Donnerstagabend, dass jede Einstellung der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas aus humanitären Gründen mit den Vereinten Nationen koordiniert und von allen Konfliktparteien gebilligt werden müsse. Nur so könne eine Feuerpause „wirklich wirksam sein“, sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric.

Der österreichische UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, rief Israel indes auf, die Angriffe mit besonders explosiven Waffen auf dicht besiedelte Gegenden im Gazastreifen umgehend zu stoppen. „In Anbetracht der vorhersehbar hohen Zahl ziviler Opfer und großen Zerstörung ziviler Objekte haben wir ernsthafte Bedenken, dass es sich um unverhältnismäßige Angriffe handelt“, sagte Türk am Freitag in der jordanischen Hauptstadt Amman.

Menschen flüchten aus Gazastadt in den Süden
APA/AFP/Mahmud Hams
Hunderttausende sind mittlerweile von Nordgaza in den südlichen Teil des Küstenstreifens geflüchtet

Türk hatte zuvor nach einem Besuch am Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen bereits von Kriegsverbrechen auf beiden Seiten des Konflikts gesprochen. Er bezog sich dabei auf den Hamas-Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober und auf die israelischen Gegenschläge.

Armee: 9.500 Geschoße Richtung Israel

Seit Beginn des Gaza-Kriegs wurden nach Angaben der israelischen Armee rund 9.500 Raketen und Mörsergranaten sowie Dutzende Drohnen Richtung Israel abgefeuert. Seit den Bodeneinsätzen im Gazastreifen sei die Zahl der Abschüsse aber deutlich zurückgegangen, teilte die Armee mit. Ob auch Geschosse aus dem Libanon, aus dem Jemen und Syrien mitgezählt wurden, teilte das Militär nicht explizit mit. Demzufolge landeten zwölf Prozent aller Geschoße im Gazastreifen selbst. Rund 900 seien von zivilen Standorten, darunter Moscheen, Schulen und Krankenhäuser, aus abgefeuert worden.

Verteidigungsminister: Krieg notfalls über Jahre

Nach den Worten von Verteidigungsminister Joav Galant ist Israel dazu bereit, den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen auch jahrelang zu führen. Die Armee werde alle an dem Massaker vom 7. Oktober in Israel Beteiligten finden. „Egal ob es eine Woche, einen Monat, ein Jahr und gegebenenfalls sogar Jahre dauert.“ Er sprach sich auch gegen einen Kompromiss mit der Hamas und anderen extremistischen Gruppen im Gazastreifen aus, denn diese hätten den israelischen Bürgern Schaden zugefügt und sie ermordet. „Wir werden sie alle eliminieren.“

Die Armee habe auch damit begonnen, neue Methoden zu nutzen, um die Tunnel im Gazastreifen zu zerstören. Wie genau diese aussehen, ließ Galant offen. Israel geht davon aus, dass sich die militärische und politische Führung der Hamas in dem unterirdischen Tunnelsystem im Gazastreifen versteckt hält. Auch zumindest ein Teil der Geiseln, die die Hamas und andere extremistische Gruppen bei dem Massaker in Israel verschleppt haben, wird dort vermutet.

Berichte: Verhandlungen über Freilassung von Geiseln

Dennoch sollen derzeit Verhandlungen über die Freilassung von etwa einem Dutzend Geiseln in Gewalt der Hamas im Gazastreifen laufen. Das bestätigte ein Insider der dpa am Donnerstag. Die Verhandlungen darüber liefen unter Vermittlung Katars und in Absprache mit den USA, hieß es. Es gehe um die Freilassung von zehn bis 15 Geiseln im Gegenzug für eine 48 bis 72 Stunden lange humanitäre Kampfpause.

Die israelische Zeitung „Jediot Achronot“ hatte bereits im Vorfeld von einem möglichen Deal unter Vermittlung Katars und unter Beteiligung von CIA-Chef William Burns berichtet. Es war die Rede von der Freilassung von 50 bis 60 Geiseln, vor allem von älteren Frauen, Kindern und Müttern. Nach Angabe israelischer Repräsentanten sei dieser aber „noch weit entfernt vom Abschluss“.

CIA-Direktor Burns, aber auch Mossad-Chef David Barnea erörterten mit dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman Al Thani mögliche Szenarien zur Freilassung der Geiseln im Gazastreifen sowie eine Feuerpause, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person auch der Nachrichtenagentur Reuters.

Paris: Hilfskonferenz für Gazastreifen

Vertreterinnen und Vertreter von rund 80 Staaten und Organisationen haben sich in Paris getroffen, um die Unterstützung für den Gazastreifen zu koordinieren. 1,2 Milliarden Euro werden laut UNO für die Hilfe benötigt.

Macron: Schutz der Zivilbevölkerung „unabdingbar“

Im Vorfeld der US-Ankündigung einer täglichen Feuerpause hatten humanitäre Organisationen auf einer internationalen Konferenz in Paris zwecks humanitärer Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf eine sofortige Feuerpause und die Öffnungen weiterer Grenzübergänge für Hilfslieferungen gepocht. Die humanitäre Lage verschlechtere sich zusehends, und eine Feuerpause sei notwendig, damit grundlegende Hilfe die Menschen erreichen könne, sagten Verantwortliche internationaler Organisationen am Donnerstag.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei einer Friedenskonferenz in Paris
AP/Michel Euler
Macron bei Beratungen über humanitäre Hilfe für den Gazastreifen in Paris

Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte zu Beginn der Konferenz, dass die Länder auf eine Waffenruhe hinarbeiten müssten. Die Zivilbevölkerung dort müsse geschützt werden, „das ist unabdingbar und nicht verhandelbar und eine unmittelbare Notwendigkeit“. Er kündigte an, dass Frankreich seine Hilfen für die palästinensische Bevölkerung dieses Jahr von 20 Millionen auf 100 Millionen Euro erhöhe.

Österreich stellt weitere zwei Millionen Euro für humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung zur Verfügung, wie das Außenministerium in Wien bekanntgab. Die Gelder fließen an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften.