Derzeit deuten die Daten nicht darauf hin, dass sich die Magmaaktivität der Oberfläche nähert. Angesichts der hohen Bebenaktivität – in den vergangenen Tagen waren es Tausende – gehen die Forscherinnen und Forscher aber davon aus, dass eine große Eruption bevorsteht. Die Frage sei nur mehr, wann und wo.
Nach einem mehrtägigen Erdbebenschwarm – einer bestimmten Form einer Erdbebenserie – hatten die Behörden den Ort Grindavik mit etwa 3.700 Einwohnern evakuiert und auch die nahe Blaue Lagune geschlossen, die bekannteste Touristenattraktion der Insel im Nordatlantik. Fotos aus der Gegend zeigen tiefe Risse in den Straßen und meterbreite Erdlöcher. Es wird von erheblichen Schäden an Häusern ausgegangen. Die Regierung beriet am Sonntag über Schutzmaßnahmen.
Magmatunnel unter Halbinsel
Der erneute Erdbebenschwarm hatte vor rund zweieinhalb Wochen begonnen. Auf der Reykjanes-Halbinsel war es bereits 2021, 2022 sowie in diesem Sommer zu Vulkanausbrüchen gekommen. Sie hatten sich jeweils mit längeren Erdbebenserien angekündigt. Eine Gefahr für bevölkerte Gegenden bestand bei allen drei Eruptionen nicht.
Nun aber richten sich alle Augen auf Grindavik, rund 40 Kilometer Luftlinie südwestlich der Hauptstadt Reykjavik. Unter dem Ort auf der Reykjanes-Halbinsel verläuft ein rund 15 Kilometer langer Magmatunnel von Nordosten nach Südwesten ins Meer.
„Unter Berücksichtigung, wie schnell sich das Magma in diesem Kanal gesammelt hat, können wir erwarten, dass die Eruption viel gewaltiger sein wird als die vorigen drei“, sagte der Geophysiker Magnus Tumi Gudmundsson dem Sender RUV. Vulkanologen wiesen darauf hin, dass die Erdbeben der vergangenen Jahre die Erdkruste so stark gebrochen hätten, dass das Magma seinen Weg schneller hindurchfinden könnte. Der neue Zyklus erhöhter Aktivität könne mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte andauern. Gudmundsson äußerte sich am Sonntag zurückhaltender. Der Zufluss habe nachgelassen. Er hoffe, dass eine Eruption ähnlich wie die in den vergangenen Jahren verlaufen werde.
Sorge um Kraftwerk
Mit Sorge blickten die Fachleute auf das angrenzende Geothermiekraftwerk Svartsengi, das Wasser und Strom für die Einwohner der Halbinsel liefert. Der Luftverkehr war aber zunächst nicht beeinflusst.
Präsident Gudni Th. Johannesson rief die Bevölkerung am Samstag zur Einheit auf. „Island ist ein kleines Land“, sagte er. Das könne aber durchaus nützlich sein. „Wir können unsere Kleinheit in Stärke verwandeln. Manchmal sind wir wie eine kleine Familie.“
Island ist die größte und aktivste Vulkanregion Europas. Es liegt auf dem Mittelatlantischen Rücken, der die eurasische und die nordamerikanische Erdplatte trennt.