Ärztin hält Stethoskop
APA/Helmut Fohringer
Ärztekammer

Schwelende Angst vor Einflussverlust

Die Ärztekammer ist in Aufruhr. Vereinbarungen in den laufenden Verhandlungen zum Finanzausgleich sehen vor, dass die Standesvertretung in wichtige Entscheidungen nicht mehr eingebunden wird. Als „Totengräber des solidarischen Gesundheitssystems“ bezeichnet die Kammer Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und kündigt entschiedenen Widerstand an – bis hin zu einer Auflösung des Gesamtvertrages mit der Krankenkasse. Rauch zeigt sich bisher unbeeindruckt.

Das Gesetzesvorhaben aus dem Gesundheitsministerium – Rauch sprach von der „größten Strukturreform der vergangenen Jahrzehnte“ – sieht in mehreren Bereichen die Entmachtung der Ärztekammer vor. So soll es kein Mitspracherecht mehr beim Stellenplan geben, der regelt, an welchem Ort welcher Bedarf von Kassenordinationen notwendig ist.

Kritisiert wird auch der drohende Verlust der Mitsprache bei den Gesamtverträgen. Bisher haben die jeweiligen Landesärztekammern die Kompetenz, mit der Kasse Verträge abzuschließen – diese soll ihnen ab 2026 entzogen, Einzelverträge also auch außerhalb des Gesamtvertrags möglich werden.

Lücken des Gesundheitssystems

Im Sommer hat die Regierung hundert neue Kassenstellen für Ärztinnen und Ärzte versprochen und darüber hinaus eine Gesundheitsreform im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen, die der Ärztekammer künftig weniger Macht und nur noch informelle Mitsprache einräumt. Diese droht mit Widerstand.

Ärztekammer mit zahlreichen Kritikpunkten

Zudem sollen Unternehmen künftig ohne Absegnung der Ärztekammer Ambulatorien gründen dürfen. Einer Privatisierung werde damit „Tür und Tor“ geöffnet, warnte die Standesvertretung. Sorgen bereitet der Kammer zudem eine gesetzliche Codierungspflicht der Krankheitsbilder ihrer Patienten ab 2025 sowie eine E-Card- und ELGA-Pflicht für Wahlärzte ab 2026.

Weiterer Stein des Anstoßes: Ärzte und Ärztinnen sollen künftig Wirkstoffe und nur noch in Ausnahmefällen konkrete Medikamente verschreiben dürfen. Apotheken könnten so auf andere Präparate mit dem gleichen Hauptwirkstoff ausweichen.

Ärztekammerpräsident Johannes Steinhart
APA/Eva Manhart
Steinhart hat turbulente Tage hinter – und wohl auch vor – sich

Konflikt mit Apotheken

Mit den Apotheken hat die Ärztekammer derzeit auch auf anderer Ebene ein Problem: Das Apothekengesetz wird reformiert, die Begutachtung des Entwurfs endete vergangenen Freitag. Es sieht vor, dass Apotheken künftig Medikationsanalysen und einfache Gesundheitstests wie Blutdruckmessungen durchführen dürfen. Zudem wird die Einrichtung von ausgelagerten Abgabestellen und Filialapotheken erleichtert, die Öffnungszeiten werden flexibilisiert.

Johannes Steinhart, Präsident der Ärztekammer Wien und der Österreichischen Ärztekammer, sah darin eine „Qualitätsminderung“ der Gesundheitsversorgung und eine „absolute Kriegserklärung“ für die Hausapotheken von Ärzten im ländlichen Raum. „Verärgert“ zeigte er sich auch darüber, dass seine Kammer nicht in die Reformerarbeitung eingebunden war.

Der Apothekerverband wehrte sich daraufhin gegen die „verbalen Entgleisungen“ und bedauerte „den Reflex der Ärztekammer, jede Reform zu bekämpfen und damit die gedeihliche Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe zu gefährden“.

Hickhack in Wiener Kammer

Die Apotheker sind beileibe nicht die einzigen, die der Ärztekammer eine stete Blockadehaltung vorwerfen. Das und die monatelangen internen Machtkämpfe in der Wiener Standesvertretung – die gewichtigste innerhalb der Bundeskammer – haben dem Ansehen der Kammer nicht gutgetan. Dass die Streitigkeiten in Wien die Kammerführung bei der nun geplanten Reform des Gesundheitswesens zu sehr abgelenkt hätten, stellt man freilich in Abrede.

Wohl auch als Zeichen der Einigkeit gab das Präsidium der Ärztekammer Wien Ende vergangener Woche den einstimmigen Beschluss bekannt, fünf Millionen Euro für Kampfmaßnahmen bereitstellen zu wollen. „Es sind entscheidende Wochen für die medizinische Versorgung ganzer Generationen in Österreich lebender Menschen. Wir sind uns darin einig, dass der Druck auf die Politik erhöht werden muss“, ließ Steinhart wissen.

„Totengräber“ Rauch bleibt gelassen

Am Montag verschärfte die Ärztekammer den Protest gegen ihre befürchtete Entmachtung verbal weiter. In einer Aussendung wurde Rauch als „Totengräber des solidarischen Gesundheitssystems“ bezeichnet, der sich auf Kurs in den Abgrund befinde. Steinhart drohte erneut mit einem vertragslosen Zustand: Patientinnen und Patienten müssten dann, analog zu dem Prozedere bei Wahlärztinnen und Wahlärzten, das Honorar bei einem Arztbesuch vorstrecken und bei ihrer Sozialversicherung einreichen, um 80 Prozent des Kassentarifs refundiert zu bekommen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch
APA/Georg Hochmuth
Rauch lässt die Kritik bisher ins Leere laufen

Der administrative Aufwand wäre für alle Beteiligten – Ärzteschaft, Patienten und Patientinnen sowie Sozialversicherung – freilich kaum zu handhaben. Tatsächlich zu einem – mehrfach von der Ärztekammer angedrohten – vertragslosen Zustand kam es erst einmal, im Jahr 2010. Betroffen waren aber nur Beitragszahlende bei der damaligen Sozialversicherung für Gewerbetreibende, nach zehn Tagen wurde eine Einigung erzielt.

Ressortchef Rauch zeigt sich indes weiter unbeeindruckt. „Die Ärztekammer hat am Wochenende angekündigt, fünf Millionen Euro für eine Kampagne gegen die geplante Gesundheitsreform einzusetzen. Teil der Kampagne ist offenbar auch Desinformation“, gab er in einer Stellungnahme an die APA am Montag zu Protokoll.

„Fakt ist: Wir investieren eine Milliarde Euro zusätzlich ins Gesundheitssystem, während Präsident Steinhart von einem Sparpaket spricht. Wir schaffen Hunderte zusätzliche Kassenstellen, während die Ärztekammer eine Privatisierung des Gesundheitssystems befürchtet.“

Staatssekretär stellt sich hinter Rauch

Unterstützung erhielt Rauch am Dienstag von Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP). „Die nun plötzlich auftauchende Kritik kommt nicht nur viel zu spät, sondern macht den gleichen Fehler wie in der Vergangenheit: Die Bürgerinnen und Bürger müssen im Mittelpunkt unseres Gesundheitswesens stehen und nicht Einzelinteressen“, sagte Tursky in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA.

Die Pläne würden vielmehr „große Chancen“ für die „weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens“ darstellen. Transparenz und Kundenorientierung seien „nichts, vor dem man sich fürchten muss“. Die „Blockadepolitik“ im Gesundheitswesen müsse beendet werden.

ÖGK trägt Reform mit

Unterstützung bekommt Rauch auch von der Sozialversicherung. Andreas Huss, Obmann der auch für die Verhandlung der Arzthonorare und die Schaffung von Kassenarztstellen zuständigen Gesundheitskasse ÖGK, sagte am Freitag im Ö1-Frühjournal, dass in Zukunft Land und Sozialversicherung einen Regionalstrukturplan beschließen sollen, der Ärztekammer solle nur noch informelle Mitsprache möglich sein.

„Die wird natürlich hier miteinbezogen. Aber das, was beschlossen ist, ist dann verpflichtend umzusetzen, und da gibt es dann keine Möglichkeit mehr von irgendwelchen Einsprüchen oder irgendwelchen Möglichkeiten, solche Verfahren dann noch in die Länge zu ziehen“, so Huss.

Hohe Unzufriedenheit bei Spitalsärzten

Die Wiener Ärztekammer machte indes erneut mit einer Umfrage in Spitälern gegen Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) mobil. Nach 42 Prozent im Vorjahr seien nun schon 66 Prozent der Befragten mit Hackers Politik „gar nicht“ oder „eher nicht“ zufrieden. Am 4. Dezember treffen sich die Ärztinnen und Ärzte in der Wiener Innenstadt zu einem Protestmarsch – mehr dazu in wien.ORF.at.