Israelische Fußballteamspieler während des Abspielens der Hymne vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Kosovo in Pristina
AP/Visar Kryeziu
Nähe zu Netanjahu

Israels Heimspiel in Orbans Stadion

Aufgrund des Krieges in Nahost kann das israelische Fußballnationalteam seine Spiele nicht im eigenen Land austragen und muss ausweichen. Wohin, ist durchaus bemerkenswert: Denn der Verband trägt seine Heimspiele in Ungarn aus, das erste der beiden fixierten Spiele findet Mittwochabend statt – als Gegner läuft die Schweiz auf. Bemerkenswert ist auch der Ort des Spiels, denn dieser steht eng in Verbindung mit Ministerpräsident Viktor Orban. Und auch Orbans Nähe zu Israel unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spielt eine Rolle.

Bereits seit Jahren bezeichnet Orban Ungarn gerne als „das sicherste Land Europas für Juden und Jüdinnen“. Nun nimmt ihn der Israelische Fußballverband beim Wort und trägt sein erstes Bewerbsheimspiel nach dem Ausbruch des Krieges in einem kleinen, aber modernen Stadion in der ungarischen Provinz aus. Das EM-Qualifikationsmatch gegen die Schweiz findet in der Kleinstadt Felcsut statt, gut 40 Kilometer westlich von Budapest.

Für einen 1.900-Einwohner-Ort untypisch, verfügt Felcsut mit der Pancho Arena über ein Stadion, das diese Bezeichnung auch verdient. Und das hat einen Grund, denn Ministerpräsident Orban hat seine Kindheit teilweise in Felcsut verbracht. So – und nur so – ist es zu erklären, dass der Ort ein Stadion mit 3.500 Plätzen erhielt, das sogar von einem Erstligateam bespielt wird. Neben dem Club gilt das Stadion daher als persönliches Projekt Orbans, über dessen Finanzierung vieles im Dunkeln liegt.

„Dieselbe Sprache“

Die Entscheidung, die Spiele an einen Ort zu bringen, der sehr eng mit Orban in Verbindung steht, ist als Ausdruck der engen politischen Haltung Orbans zu Israel unter Netanjahu zu werten. Politisch sind zwischen den beiden Parallelen auszumachen. Die von Orban in Ungarn geprägte „illiberale Demokratie“, in der die Grundsätze einer liberalen Demokratie nicht als zentrale Elemente der staatlichen Organisation gesehen werden, passt zu Netanjahus Ausrichtung.

Pancho-Stadion in Felcsut (Ungarn)
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Orbans Stadion in Felcsut

Beide Regierungschefs verfolgten eine ähnliche Herangehensweise an Politik, wie der ungarische Politologe Andras Schweitzer im Gespräch mit ORF.at sagt. „Orban und Netanjahu entstammen demselben politischen Lager, sie haben ähnliche Vorstellungen von Politik, sie verwenden auch dieselbe Sprache“, so Schweitzer. „Beide haben mit Arthur Finkelstein denselben Politikberater gehabt“, sagt der Politologe aus Budapest.

„Relativ neue Freundschaft“

Bemerkenswert sei der Schwenk der ungarischen Rechten hin zu einer deklarierten Pro-Israel-Position – „eine relativ neue Freundschaft“, insbesondere verglichen mit den beiden Jahrzehnten nach 1989, wie Politologe Schweitzer sagt. Er verweist auf das jüngste Beispiel: die Resolution der UNO-Vollversammlung zur Verbesserung der humanitären Lage und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen Ende Oktober. Von 179 Ländern stimmten lediglich 14 dagegen, darunter Ungarn; auch Österreich stimmte dagegen.

Bereits vor einigen Jahren führte Orban eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Antisemitismus ein, was Netanjahu dazu veranlasste, ihn als „wahren Freund Israels“ zu bezeichnen. Und auch weitere Haltungen trugen zum gegenseitigen Verständnis bei, wie Netanjahu 2018 betonte: „Wir beide verstehen, dass die Bedrohung durch den radikalen Islam echt ist.“ Der ungarische Staatschef bezeichnete den israelischen Premier als „einen jüdischen Patrioten“.

„Anti-Soros-Kampagne sollte obskur sein“

Netanjahu bemüht sich seit Längerem um enge Beziehungen zu jenen EU-Staaten, die sein Land auch in strittigen Themen unterstützen. Dazu zählt auch Ungarn. Dem letzten Besuch Netanjahus in Ungarn 2017 war immer wieder politische Rückendeckung vorangegangen – wofür Netanjahu sowohl von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Ungarn als auch der israelischen Opposition kritisiert wurde. Doch es gab weitere Gründe.

Denn im selben Jahr hatte Orban den rechtsautoritären Führer und Hitler-Verbündeten Miklos Horthy als „außergewöhnlichen Staatsmann“ bezeichnet. Horthy hatte von 1919 bis 1944 in Ungarn regiert und sein Land an der Seite Hitlers in den Zweiten Weltkrieg geführt. Unter seiner Herrschaft wurde eine Reihe antijüdischer Gesetze erlassen und Juden und Jüdinnen aus ungarisch besetzten Gebieten vertrieben.

Nach der deutschen Besetzung Ungarns und der Einsetzung einer Marionettenregierung wurde begonnen, Juden und Jüdinnen nach Auschwitz zu deportieren. Auf internationalen Druck ließ Horthy die Deportationen nach etwa zwei Monaten stoppen – zu diesem Zeitpunkt war aber bereits fast eine halbe Million ungarischer deportiert worden. Die Verehrung Horthys unter Orban war auf Kritik in Israel gestoßen – 2017 wurde eine „Klarstellung“ verlangt.

Der ungarische Premierminister Viktor Orban und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
Reuters/ Debbie Hill
Orban und Netanjahu 2018 in Jerusalem

Auch erinnert Politologe Schweitzer an die Kampagne gegen den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros, die von Beobachtern als antisemitisch eingestuft wurde – vieles sei dabei aber stets bewusst im Unklaren gelassen worden: „Diese Anti-Soros-Kampagne wurde erschaffen, um obskur zu sein“, so Schweitzer gegenüber ORF.at. Es sei nie möglich gewesen, die Kampagne als „klar antisemitisch“ einzuordnen, es sei stets „Raum für Interpretation“ gelassen worden.

Mitte der 2010er Jahre wurde Soros von Orban zum Staatsfeind erklärt – und das mit düsterem Vokabular: Mit Nachdruck wurde ihm unterstellt, die Fäden in einer großangelegten Verschwörung zu ziehen. Angebliches Ziel: Orban stürzen, Europas Nationalstaaten auflösen und ihre Bevölkerungen durch Migranten ersetzen. Zu Soros’ „Söldnern“ und „Agenten“ würden NGOs, Journalisten und Wissenschaftler zählen sowie EU und UNO, so die Verschwörungserzählung.

„Liberale sollen für immer schweigen“

Der FIDESZ-Regierung wurde Antisemitismus vorgeworfen, Mittel zur Polarisierung und Mobilisierung von Rechten war es aber jedenfalls. Und mit dem erfolgreichen Bemühen um die Austragung der Heimspiele des israelischen Nationalteams kontert Orban nun jegliche Vorwürfe, wonach einige Vertreter seiner FIDESZ-Regierung antisemitische Tendenzen hegen würden. Die projüdische Haltung seiner Regierung soll damit einmal mehr belegt sein.

Eine Kerbe, in die Orbans politischer Direktor Balazs Orban (es besteht kein Verwandtschaftsverhältnis zu Viktor Orban) schlug, nachdem Ungarn vom Europäischen Fußballverband (UEFA) ohne eine öffentlich dargelegte Begründung den Zuschlag bekommen hatte. „Die Liberalen, die die ungarische Rechte lange Zeit fälschlicherweise des Antisemitismus beschuldigt haben, täten gut daran, von jetzt an für immer zu schweigen“, schrieb Balazs Orban auf Twitter (X).

„Pure Liebe zum Fußball“

Der israelische Botschafter in Ungarn, Jakov Hadas-Handelsman, gab an, dass die enge Beziehung zwischen Orban und Netanjahu sowie Orbans Engagement für den Fußball eine Rolle dabei gespielt hätten, das israelische Team und die Spiele nach Felcsut zu bringen. Ohne politische Umschweife ist er sich sicher: „Wir sehen in der ungarischen Regierung eine sehr gute Kombination aus persönlichen Verbindungen und Beziehungen und purer Liebe zu Sport und Fußball.“