Flüchtlinge auf einem Boot im Ärmelkanal
APA/AFP/Henry Nicholls
Ruanda keine Option

Höchstgericht stoppt Tory-Abschiebeplan

Der rigorose Plan, Asylsuchende unabhängig von ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben, geht für den konservativen britischen Premier Rishi Sunak nicht auf. Der Oberste Gerichtshof in London urteilte am Mittwoch, das Gesetzesvorhaben sei rechtswidrig, die Menschen seien in dem ostafrikanischen Land nicht sicher. Die Entscheidung bedeutet einen weiteren Rückschlag für die gebeutelte Tory-Regierung, doch der Regierungschef will nicht aufgeben.

Die fünf Richter des Supreme Court des Vereinigten Königreichs erklärten, dass Asylwerberinnen und Asylwerbern „ein echtes Risiko der Misshandlung“ drohe, da sie nach ihrem Aufenthalt in Ruanda in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden könnten. Zudem könne ein faires Asylverfahren in Ruanda nicht garantiert werden. Somit könne das ostafrikanische Land nicht als sicherer Drittstaat bezeichnet werden.

Sunak kündigte nach der gerichtlichen Niederlage einen neuen Vertrag mit Ruanda an. „Wir haben das heutige Urteil zur Kenntnis genommen und werden nun weitere Schritte erwägen“, teilte der Premier der Nachrichtenagentur PA zufolge mit. „Das war nicht das Ergebnis, das wir uns erhofft haben, aber wir haben die letzten Monate damit verbracht, für alle Eventualitäten zu planen.“

Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak in der Downing Street
Reuters/Toby Melville
Das Urteil bedeutet einen herben Rückschlag für Sunak und die Torys

London und Kigali hatten im April 2022 noch unter dem damaligen britischen Premierminister Boris Johnson ein auf fünf Jahre ausgelegtes „Asylpartnerschaftsarrangement“ unterzeichnet, wonach Schutzsuchende, die in Großbritannien über den Ärmelkanal ankämen, in das ostafrikanische Land geschickt werden könnten.

Der neue Innenminister James Cleverly sagte am Mittwoch, die Partnerschaft mit Ruanda sei nur ein Teil eines Bündels von Maßnahmen, „um die Boote zu stoppen“ und gegen illegale Migration vorzugehen. Aber es sei klar, dass Interesse an dem Konzept bestehe: „In ganz Europa nimmt die illegale Migration zu, und Regierungen folgen unserem Beispiel: Italien, Deutschland und Österreich prüfen alle Modelle, die ähnlich unserer Partnerschaft mit Ruanda sind“, sagte der vorherige Außenminister laut britischen Medienberichten.

Sunak will „Notfallgesetzgebung“

Mittwochabend kündigte Sunak an, seine Asylpläne doch noch durchsetzen zu wollen – per „Notfallgesetzgebung“. Damit solle ein erneutes Abblocken vor Gericht in Großbritannien oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhindert werden, sagte Sunak. „Ich werde nicht zulassen, dass ein ausländisches Gericht diese Flüge verhindert“, sagte Sunak mit Blick auf geplante Abschiebeflüge nach Ruanda.

Im Sommer 2022 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg den bisher einzigen geplanten Flug mit Asylsuchenden nach Ruanda per einstweiliger Verfügung in letzter Minute gestoppt. Sunak sagte, er werde zudem mit Hilfe der geplanten „Notfallgesetzgebung“ dafür sorgen, dass Ruanda vom Parlament in London als sicheres Drittland eingestuft werde. „Ich werde tun, was nötig ist, um diese Flüge vom Boden zu bekommen“, sagte er.

Rückkehr nach Großbritannien war nicht vorgesehen

In Ruanda würden die Asylanträge der Schutzsuchenden bearbeitet, und sie könnten im Falle eines positiven Bescheids in Ruanda bleiben. Eine Rückkehr in das Vereinigte Königreich war dabei nicht vorgesehen. International hatte das für große Aufmerksamkeit gesorgt. Johnson und der ruandische Präsident Paul Kagame lobten die Vereinbarung laut Downing Street 10 bei einem Treffen in Kigali wenige Monate später als Abkommen, das „gefährliche Schlepperbanden bekämpft und gleichzeitig Menschen die Chance gibt, ein neues Leben in einem sicheren Land aufzubauen“.

Der „innovative Zugang“, der durch „Brexit-Freiheiten“ ermöglicht werde, werde sichere und legale Routen für Asyl bieten und gleichzeitig „das Geschäftsmodell der Banden“ durchkreuzen, so der damalige britische Regierungschef weiter. „Und um es deutlich zu sagen: Ruanda ist eines der sichersten Länder der Welt, global anerkannt für seine Bilanz bei der Aufnahme und Integration von Migranten.“

Eines von fünf Versprechen

Das sah das Höchstgericht am Mittwoch anders und schob dem von Johnson einst als Vorteil des Brexits verkauften Plan wohl endgültig den Riegel vor. Somit kann Sunak eines seiner fünf politischen Versprechen, – „die Boote stoppen“ – nicht einlösen. Der Premier betonte jedoch, absolut daran festzuhalten, dass „die Boote gestoppt“ werden müssten. „Illegale Migration zerstört Leben und kostet britische Steuerzahler Millionen Pfund pro Jahr. Wir müssen das beenden und wir werden alles tun, was dafür nötig ist“, hieß es in der Stellungnahme des Regierungschefs am Mittwoch.

Britischer Asylpakt mit Ruanda ist rechtswidrig

Die britische Regierung ist vor Gericht mit ihren Plänen gescheitert, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben. Der Oberste Gerichtshof in London nannte das Vorhaben von Premierminister Rishi Sunak rechtswidrig und bestätigte eine Entscheidung des Berufungsgerichts vom Juni.

Seine weiteren Versprechen: die Inflation auf die Hälfte senken, für Wirtschaftswachstum sorgen, die Staatsschulden senken und die Wartelisten im Gesundheitssystem NHS verkürzen. In Umfragen liegen die konservativen Torys derzeit deutlich hinter der Labour-Partei.

EGMR mit einstweiliger Verfügung gegen Flug

Bisher wurde noch niemand nach Ruanda geschickt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte den bisher einzigen geplanten Flug mit Asylsuchenden nach Ruanda per einstweilige Verfügung gestoppt. Die Niederlage der Regierung vor Gericht dürfte nun in der konservativen Regierungspartei erneut Rufe nach einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auslösen. Im Parlament kündigte Sunak bereits an, dass er Großbritanniens internationale Verpflichtungen sowie die heimische Gesetzgebung im Lichte der Entscheidung überprüfen werde.

Das Urteil ist Höhepunkt eines zähen Rechtsstreits. Das Berufungsgericht hatte schon im Juni geurteilt, dass Ruanda nicht als sicheres Drittland einzustufen ist und ein Asylverfahren dort nicht ausreichend vor einer Abschiebung an das Herkunftsland schützt. Es kippte damit eine erstinstanzliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der das Vorhaben für rechtskonform erklärt hatte. Dagegen geklagt hatten Asylsuchende aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Vietnam, dem Sudan und Albanien.

Plan sollte als Abschreckung dienen

Dagegen ging wiederum die konservative Regierung von Sunak in Berufung. Sie wollte mit dem Ruanda-Plan Menschen von der irregulären Einreise in kleinen Booten über den Ärmelkanal abschrecken. Im vergangenen Jahr waren mehr als 45.000 Menschen auf diesem Weg ins Vereinigte Königreich gekommen, doch ist die Zahl in diesem Jahr mit bisher etwa 27.000 niedriger als im Vorjahresvergleich.

Demonstranten vor dem Höchstgericht in London
Reuters/Peter Nicholls
Der Asylplan stieß national wie international auf Kritik

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hatte das geplante Vorgehen als Bruch internationalen Rechts verurteilt. Englands Bischöfe sprachen von einer „Schande für Großbritannien“. Zudem gab es Zweifel daran, ob der erhoffte Abschreckungseffekt tatsächlich eintreten würde.

Wegweisendes Urteil?

Das Urteil des Supreme Court in London könnte wegweisend für weitere Pläne in diese Richtung sein. Italien schloss etwa erst kürzlich ein Abkommen mit Albanien in der Absicht, zwei Zentren zur Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Schutzsuchenden in Albanien zu erreichen. Menschen, die von Schiffen der italienischen Behörden gerettet werden, sollen nach Albanien gebracht werden, um dort ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird, sollen dann nach Italien gebracht werden können.

Auch in Wien waren Anfang November Großbritanniens Asylvorhaben eines der Hauptthemen beim Besuch der eben erst von Sunak entlassenen britischen Innenministerin Suella Braverman bei ihrem Amtskollegen, Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).