Die argentinischen Präsidentschaftskandidaten Sergio Massa (Union por la Patria) und Javier Milei (La Libertad Avanza) auf einem Fernsehbildschirm
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Argentinien-Stichwahl

Peronist versus Trump-Klon

Am Sonntag kommt es in Argentinien zur richtungsweisenden Stichwahl um das Amt des Präsidenten. Der ultraliberale Populist Javier Milei – im Zuge des Wahlkampfs oft als „Argentiniens Trump“ bezeichnet – lag bis zuletzt Kopf an Kopf mit Sergio Massa, dem Wirtschaftsminister der aktuellen Mitte-links-Regierung. Milei bekam zähneknirschend Unterstützung aus dem konservativen Lager – unklar ist, ob das für den Sieg reicht.

Der Wahlkampf vor der Stichwahl war von einem aggressiven Ton geprägt. Im Vorfeld wurden nach übereinstimmenden Berichten insgesamt fünf Menschen wegen mutmaßlicher Drohungen gegen Kandidat Massa festgenommen. Nach der Festnahme von drei Männern und einer Frau am Freitag wurde am Samstag Sicherheitsminister Anibal Fernandez zufolge eine 18-jährige Frau in der nordargentinischen Stadt Salta festgenommen.

Milei, der sich selbst als „Anarchokapitalist“ beschreibt, kam bei der ersten Wahlrunde im Oktober auf 30 Prozent der Stimmen. Ursprünglich war erwartet worden, dass er beim ersten Wahlgang sogar auf Platz eins landen wird, den erlangte jedoch der 51-jährige Peronist Massa mit mehr als 36 Prozent der Stimmen.

Stichwahl in Argentinien

Am Sonntag wählt Argentinien einen neuen Präsidenten. Rechtsaußenkandidat Javier Milei tritt gegen den regierenden Peronisten Sergio Massa an, dessen Bilanz ist verheerend. Die Inflation liegt bei 140 Prozent, jeder vierte Argentinier gilt als arm.

Jetzt liegen die beiden Kandidaten den Umfragen zufolge recht knapp nacheinander – und müssen in erster Linie um die Stimmen der Unentschlossenen kämpfen. Massa hat als aktueller Wirtschaftsminister dabei eine denkbar schlechte Ausgangslage, denn die enorme Inflation lässt nicht und nicht nach.

Inflation erreichte über 142 Prozent

Im Oktober stiegen die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 142,7 Prozent. Im September lag die Rate noch bei 138,3 Prozent. Damit erreichte die Inflation einen neuen Höchstwert – allerdings liegt sie bereits seit über einem Jahrzehnt konstant mindestens im zweistelligen Bereich.

Der argentinische Präsidentschaftskandidat Javier Milei (La Libertad Avanza)
AP/Rodrigo Abd
Milei sorgte mit seinen Auftritten auch über die Landesgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit

Entsprechend stehen Inflation und Wertverfall des Peso im Zentrum des Wahlkampfes. Die Zugänge der beiden Kandidaten könnte dabei kaum unterschiedlicher sein. Massa will das Sozialsystem der Peronisten schützen, im Vorfeld der Wahl wurde zudem tief in die Staatskasse gegriffen, um die Wähler bei Laune zu halten. Er ordnete massenhafte Neueinstellungen im öffentlichen Dienst an, genehmigte höhere Freibeträge bei der Einkommensteuer und gewährte Einmalzahlungen für Angestellte und Pensionisten.

Milei ließ unterdessen mit seinen Vorschlägen auch außerhalb Argentiniens aufhorchen: Er will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank „in die Luft sprengen“ und viele Ministerien abschaffen sowie die Sozialausgaben radikal kürzen. Er ist gegen Abtreibung und Sexualkundeunterricht und leugnet die Verantwortung des Menschen für den Klimawandel. Das befeuerte Vergleiche mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump weiter.

Keine Auftritte mit Kettensägen mehr

Doch nach dem ersten Wahlgang zeigte sich Milei deutlich gemäßigter. Holte er im Wahlkampf noch gegen China und den Papst aus, hielt er sich vor der Stichwahl mit seiner Rhetorik zurück, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Auch seine Auftritte mit einer Kettensäge – als Symbol dafür, dass er die Regierung stark verkleinern wolle – wiederholte er nicht mehr.

Das liegt wohl auch an der Unterstützung einer der ausgeschiedenen Kandidatinnen: Die frühere Innenministerin Patricia Bullrich vom konservativen Oppositionsblock „Gemeinsam für den Wandel“ (Juntos por el Cambio, JxC) verpasste mit 24 Prozent relativ knapp die Stichwahl. Nur wenige Tage nach der Wahl sprach Bullrich eine Wahlempfehlung für Milei aus. Dieser stehe für „den Wandel“, während Wirtschaftsminister Massa vom Regierungslager für „mafiöse Kontinuität“ stehe.

Unterstützung könnte Richtungsstreit anfachen

Auch der frühere konservative Präsident Mauricio Macri stellte sich hinter Milei. Doch die Unterstützung des ultraliberalen Kandidaten ist in den eigenen Reihen alles andere als unumstritten, denn die vollmundigen Ankündigungen, etwa die Einführung des Dollars als Zahlungsmittel, entsprechen nicht der Linie der Konservativen.

Der argentinische Präsidentschaftskandidat Sergio Massa (Union por la Patria)
AP/Pool/Luis Robayo
Massa lag nach dem ersten Wahlgang voran

Sollte Milei mit Macri und Bullrich im Hintergrund gewinnen, könnte das die beiden in einflussreiche Positionen hieven. Scheitert Milei hingegen, könnte die Annäherung der beiden Konservativen an den Populisten die Risse in dem Oppositionsbündnis noch größer machen und eine Richtungsdebatte anfachen.

Riskanter Schachzug auch für Milei

Doch auch für Milei ist der Schulterschluss mit den Konservativen ein Wagnis. Immerhin bezeichnete er die politische Elite als „Kaste“ und die ausgeschiedene Kandidatin Bullrich als „Kindermörderin“, schrieb Reuters. Entsprechend zurückhaltend gab sich auch Mileis libertäres Parteienbündnis La Libertad Avanza (dt.: Die Freiheit schreitet voran): „Es gibt kein Bündnis mit Macri“, sagte ein Sprecher des Blocks gegenüber Reuters.

Zahlreiche Aufgaben warten auf Wahlsieger

Auf den letztlichen Wahlsieger warten jedenfalls einige Aufgaben. Neben der Inflation leidet das Land unter enorm hoher Verschuldung und finanziellem Missmanagement, Finanzkrisen ziehen sich seit Jahrzehnten. Zudem leidet das Land unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht.

Argentinien hat hohe Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF), mehr als ein Drittel der knapp 47 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner leben unter der Armutsgrenze. Die Zugänge der beiden Kontrahenten, wie man diese Probleme angehen will, könnten kaum unterschiedlicher sein. Der neue Präsident tritt am 10. Dezember sein Amt an.