10 Downing Street in London
Reuters/Hollie Adams
Torys

Auf in die nächste Parteikrise

Die britischen Konservativen taumeln weiter von einer Krise zur nächsten. Nach dem Rauswurf von Rechtsaußen-Liebkind Suella Braverman und der politischen Wiederbelebung von David Cameron wird ihnen mehr Spott denn Zuversicht zuteil. In den Umfragen liegen sie weit zurück, das nächste innerparteiliche Zerwürfnis ist schon programmiert. Den Torys soll nun eine neue Ministerin „für Menschenverstand“ Orientierung geben: Esther McVey, die hauptsächlich für ihren Feldzug gegen „woke“ Entwicklungen bekannt ist.

Die Regierungsumbildung am Montag kam überraschend, derart überrumpelt waren sich auch Kommentatorinnen und Kommentatoren anfangs nicht sicher, wie der Schritt zu bewerten sei. Ein Befreiungsschlag, ein Neuanfang, eine Kapitulation? Inzwischen ist der Tenor eindeutig: Die Torys seien „Dead Men Walking“, die Partei, mit der Cameron die Briten in den Brexit führte, sei tot, und ihren Geist könne auch Premier Rishi Sunak nicht mehr retten, urteilte etwa der „Guardian“.

Mit Cameron komme „Mr. Failed State“ zurück an den Kabinettstisch. „Aber seien wir ehrlich: Die einzig akzeptable Entschuldigung, die Cameron für seinen Aufenthalt in der Gegend um die Downing Street hätte, ist, dass er in der Zeit zurückgeschickt wurde, um sein früheres Ich zu terminieren, bevor er das Vereinigte Königreich versehentlich auf den Kurs der Permakrisenpolitik bringt, in der es immer noch quälend und destruktiv gefangen ist“, hieß es in einem Kommentar.

Der britische Außenminister David Cameron auf dem Weg zu 10 Downing Street
Reuters/Hollie Adams
Zurück am Kabinettstisch: Mit Cameron hatten die wenigsten gerechnet

Neustart ohne Neues

Die Regierungsumbildung durch Sunak scheint eher ein Eingeständnis der Niederlage als ein Neustart. Sunak hatte nach tagelangen Querelen um seine Innenministerin Braverman ein Machtwort sprechen wollen. Diese hatte es offenbar darauf angelegt, aus der Regierung zu fliegen, um später selbst die Partei zu übernehmen.

Sunak ersetzte sie durch Außenminister James Cleverly, auf dessen Sitz rückt nun wieder Cameron. Er wird seiner Erfahrung wegen beworben als große Unterstützung in Zeiten von Krieg und Krise. Zudem habe Sunak es geschafft, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.

Doch, so seine Kritiker, hätte der Premier mit neuen, talentierten Köpfen tatsächlich einen Neuanfang signalisieren können. Stattdessen griff er auf den gescheiterten Cameron zurück.

Der „Brexiteers“ Angst vor Europafreundlichkeit

Cameron saß von 2010 bis 2016 in der Downing Street, bis zum Nein der Britinnen und Briten zur EU. Seither gaben einander Regierungschefinnen und -chefs die Klinke in die Hand, erst Theresa May, dann Boris Johnson, Liz Truss und nun Sunak. Während dieser Zeit baute sich in Großbritannien eine große Krise rund um die hohen Lebenshaltungskosten auf – kaum ein Tag, an dem die „Cost of Living Crisis“ nicht die Titelblätter dominierte.

Die Torys konzentrierten sich aber sehr auf das Thema Migration, doch mehr oder weniger erfolglos. Gerade erst wurden die Tory-Pläne, Asylsuchende unabhängig von ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben, vom Höchstgericht kassiert – eine weitere krachende Niederlage der Konservativen. Außer ständigen Krisenmanagements in der eigenen Partei hat Sunak bisher nicht viel vorzuweisen.

Die Personalie Cameron ist nun weder innerhalb noch außerhalb der Partei unumstritten. Er geriet wegen seiner Lobbytätigkeit für den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister Greensill Capital in die Kritik. Etliche Brexit-Befürworter unter den Torys sehen in seiner Rückkehr aber vor allem einen Hinweis darauf, dass die Gegner des Austritts aus der EU in der Konservativen Partei die Oberhand gewonnen hätten.

Der britische Premierminister Rishi Sunak beantwortet Fragen im House of Commons in London
Reuters/UK Parliament/Maria Unger
Sunak in der Klemme: Parteiprobleme, Höchsturteile und Umfragen machen ihm das Regieren schwer

Für die Rechtsaußenfraktion der Torys ist Cameron ein rotes Tuch. Zwar hat er Großbritannien über den Ausstieg aus der EU abstimmen lassen – er war aber ein „Remainer“, ein Gegner des Brexit. Das lässt die lauten „Brexiteers“ unter den Konservativen nervös werden.

Sie meinen, wachsam sein zu müssen wegen eines vermeintlichen Rückfalls in europafreundlichere Zeiten. Eine von ihnen, Andrea Jenkyns, sprach Sunak bereits das Misstrauen aus und forderte ihre Parteikolleginnen und -kollegen auf, es ihr gleichzutun. Die Debatte landete bereits im mächtigen 1922-Komitee der Fraktion im Unterhaus. Das Gremium ist für die Wahl und Abwahl der Parteivorsitzenden zuständig.

Viele Wählerinnen und Wähler könnten sich auch abwenden und lieber die Reform Party unterstützen, die Nachfolgepartei der Brexit Party. In den Umfrage leiden die Torys schon jetzt stark: Seit Sunaks Amtsantritt vor gut einem Jahr liegen sie konstant 20 Prozentpunkte hinter Labour.

Konservativer Trumpf

Doch Sunak hat auch einen neuen Trumpf im Ärmel. Er installierte Esther McVey als Ministerin ohne Portefeuille, doch mit klar umrissenem Aufgabengebiet: Sie soll als „Beauftrage für den Menschenverstand“ (Commonsense Tsar) „die Geißel der Wokeness bekämpfen“ sowie die Speerspitze der „Anti-woke Agenda“ der Regierung sein. Das sagten Insider der Boulevardzeitung „The Sun“.

Die britische Ministerin Esther McVey in der Downing Street in London
Reuters/Hannah Mckay
Esther McVey soll den rechten Flügel bedienen. Ob das Sunak hilft, bleibt abzuwarten.

McVey war aber schon mehrfach – teils umstrittene – Ministerin, derzeit ist sie Tory-Hinterbänklerin und moderiert gemeinsam mit ihrem Mann und Abgeordnetenkollegen Philip Davies eine TV-Sendung auf einem rechtslastigen Privatsender, die hauptsächlich rechtsgerichtete Themen behandelt. Zuletzt standen dort Fragen zur Debatte wie ein Burkaverbot und wieso sich Großbritannien nicht für historische Gräueltaten entschuldigen sollte.

Braverman scharrt in Startlöchern

McVey machte sich auch einen Namen durch ihre strikte Ablehnung von CoV-Maßnahmen sowie ihre kritische Haltung gegenüber LGBTQ- und Inklusionspolitik. Aufgefallen war sie auch 2018, als die damalige Arbeitsministerin McVey einräumen musste, dass ein neues Sozialleistungssystem arme Menschen noch ärmer machen könnte. Diesen empfahl sie, mehr zu arbeiten.

Ob Sunak mit dieser Personalie den rechten Tory-Flügel nach Bravermans Rauswurf befrieden kann, bleibt abzuwarten. Er hat in den vergangenen Jahren wiederholt den Daumen gesenkt – egal, ob sich die Partei schon in einer Abwärtsspirale befand oder nicht. Braverman dürfte jedenfalls bereitstehen, die Führung zu übernehmen, sollten die Konservativen wie erwartet die Wahl im kommenden Jahr verlieren.