UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
ORF
Israel – Hamas

Guterres wehrt sich gegen Vorwürfe

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, hat sich am Donnerstag gegen die Vorwürfe, die UNO sei im Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas voreingenommen, gewehrt. Die Vereinten Nationen müssten sich an Prinzipien halten, betonte Guterres im ZIB2-Interview. „Wir müssen auf dem Mittelweg bleiben. Und so werden wir weder die eine noch die andere Seite zufriedenstellen können.“

Der 74-jährige Portugiese steht seit geraumer Zeit in der Kritik Israels. Außenminister Eli Cohen sprach ihm zuletzt die Berechtigung für sein Amt ab. „Guterres verdient es nicht, an der Spitze der Vereinten Nationen zu stehen“, sagte Cohen. „Guterres sollte wie alle freien Nationen klar und laut sagen: ‚Befreit Gaza von der Hamas‘“, forderte Cohen. Der UNO-Generalsekretär stelle sich nicht entschieden genug gegen den Terror der Hamas. „Er hat noch keinerlei Friedensprozess in der Nahost-Region gefördert.“

Besonders Guterres’ Aussage, wonach der Hamas-Angriff vom 7. Oktober auf Israel „nicht im luftleeren Raum“ stattgefunden habe, sorgte für scharfe Kritik vonseiten israelischer Politiker. Der israelische UNO-Botschafter Gilad Erdan sprach daraufhin von einer „reinen Blutverleumdung“ durch Guterres und forderte dessen Rücktritt. Außenminister Cohen sagte einen Termin mit dem UNO-Chef ab.

UNO-Generalsekretär zur Kritik Israels

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres spricht unter anderem über Israels Kritik, nachdem er Verständnis für die Palästinenser gezeigt hatte.

Am Donnerstag wiederholte der UNO-Generalsekretär in der ZIB2, dass seine Aussage verdreht wurde. „Denn was ich gesagt habe, war, dass das palästinensische Volk leidet. Und niemand kann leugnen, dass das palästinensische Volk nach 56 Jahren der Besatzung leidet, mit dem Bau von Siedlungen und der fehlenden Hoffnung auf einen palästinensischen Staat.“

„Barbarische Taten der Hamas“

Gleichzeitig betonte der Diplomat der Vereinten Nationen, dass diese Missstände „niemals die barbarischen Taten der Hamas“ rechtfertigen können. „Ich werde die Bilder, die ich gesehen habe, nie vergessen“, so Guterres. Die „schrecklichen Dinge“ der Hamas würden aber eine kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen. Eine kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung ist laut Fachleuten verboten. Guterres: „Wir müssen in der Lage sein, die Hamas vom palästinensischen Volk zu trennen.“

Palästinenser in Rafah (Gazastreifen) in den Trümmern eines Gebäudes
AP/Hatem Ali
Laut UNO ist die Versorgungslage im Gazastreifen katastrophal

Einmal mehr betonte der UNO-Generalsekretär, dass es „einige Akteure, vor allem israelische“, gegeben habe, die seine Worte völlig verdreht hätten. Sie hätten nämlich behauptet, er habe die radikalislamische Hamas nicht verurteilt und versucht, ihre terroristischen Taten aufgrund der Missstände zu rechtfertigen. Das stimme nicht, er habe gerade das Gegenteil dessen getan, so Guterres weiter.

Der Portugiese bekräftigte aber seine Ansicht, dass der Angriff nicht im „luftleeren Raum stattgefunden“ habe. Das sei ein Satz, den er oft für „viele Zwecke“ verwende. „Es gibt nirgendwo ein Vakuum. Und deshalb ist es wichtig, Dinge zu verstehen, aber das eine ist zu verstehen, das andere ist zu rechtfertigen“, sagte Guterres. Man müsse die Situation in Nahost in ihrer Gesamtheit verstehen. Aber man könne weder die „schrecklichen Taten der Hamas“ noch die kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen rechtfertigen.

Guterres: UNO muss Prinzipien verteidigen

Laut Guterres sei die Situation in Nahost derzeit noch schlimmer, weil es „absolut keine Übereinstimmung“ zwischen Israel und „anderen Ländern“ gebe. Die UNO müsse sich da an den Mittelweg halten, sagte er, selbst wenn man damit keine der Seiten zufriedenstellen werde. „Aber das macht nichts, wir müssen uns an die Werte halten, die die UNO ins Leben gerufen hat, an die Werte der Charta und an die Werte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, so Guterres. Wenn Menschenrechte verletzt werden, müsse man das anprangern.

Die UNO müsse auf ihrem Kurs bleiben und ihre Prinzipien verteidigen. Für diejenigen, die in den Konflikt und in die Emotionen des Konflikts verwickelt sind, sei das allerdings schwierig zu verstehen. „Aber es ist unsere Pflicht, den Kurs zu halten“, sagte der UNO-Chef. „Man wird mir immer vorwerfen, ich sei parteiisch zugunsten Israels oder zugunsten der Palästinenser, wenn die Situationen so emotional sind, wie sie sind, und wir tun, was wir für richtig halten.“

Israelisches Panzerfahrzeug
APA/AFP/Jack Guez
Nach den Terrorattacken der Hamas begann die israelische Armee mit dem Gegenangriff

Nach Ansicht von Guterres müsse nach dem Krieg die palästinensische Autonomiebehörde von Mahmud Abbas wieder gestärkt werden, um die Lücke in Gaza zu füllen. Es werde aber eine Übergangszeit nötig sein, in der mehrere „Instanzen“ die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die palästinensische Autonomiebehörde die Verantwortung in Gaza übernehmen kann. Die USA könnten hier tonangebend sein, mit Unterstützung der UNO. Danach wären Verhandlungen über die schon aus den Augen verlorene Zweistaatenlösung wieder erforderlich. Das sei der einzige Weg, so Guterres.

Hoffnungen auf Geiseldeal

Derweil scheint sich 40 Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ein Geiseldeal anzubahnen. Im Gespräch ist angeblich eine Freilassung von mindestens 50 Menschen im Gegenzug für eine Feuerpause. In den USA sagte Präsident Joe Biden, er sei „leicht hoffnungsvoll“ mit Blick auf eine Befreiung der Geiseln. Der UNO-Sicherheitsrat drängte Israel in einem unerwartet einigen Votum zu mehrtägigen Feuerpausen.

Im Gespräch seien die Freilassung von mindestens 50 Frauen und Kindern und eine drei bis fünf Tage lange Feuerpause, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person der dpa am Donnerstag. Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen hatten in Israel beim Angriff vom 7. Oktober etwa 1.200 Menschen ermordet. Zugleich wurden etwa 240 Menschen als Geiseln verschleppt. Daraufhin begann Israel Luftangriffe und Ende Oktober eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben mehr als zehntausend Menschen getötet.

Israel: Geiselleiche geborgen

Die Versorgungslage ist nach UNO-Angaben katastrophal. Israel steht international zudem wegen seiner Kriegsführung unter Druck – vor allem seit einem Angriff auf das größte Krankenhaus im Gazastreifen, das Al-Schifa-Spital. Israel entdeckte dort nach eigenen Angaben Waffen, Computer und militärische Ausrüstung. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich selten unabhängig überprüfen.

Zudem habe man auf dem Gelände des Al-Schifa-Krankenhauses einen Tunnel freigelegt. Das Militär veröffentlichte ein Video, das den Schacht zwischen Gebäuden zeigen soll. Außerdem sei auf dem Gelände ein mit Sprengfallen versehenes Fahrzeug mit einer großen Menge an Waffen, Munition und Handschellen entdeckt worden, wurde mitgeteilt.

Die israelischen Streitkräfte teilten außerdem mit, dass sie die Leiche einer Geisel aus einem Nachbargebäude des Al-Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen geborgen hätten. Die tote Frau wurde den Angaben zufolge nach Israel gebracht und dort identifiziert. Sie sei am 7. Oktober bei dem Massaker der Hamas aus dem israelischen Grenzort Be’eri entführt worden.