Menschen vor dem India Gate in Neu-Delhi
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Smogbekämpfung

Neu-Delhi hinkt Peking hinterher

Wenn sich jedes Jahr die Luft in Neu-Delhi gelbgrau färbt, dann ist die Smogsaison in der indischen Hauptstadt angebrochen – entstanden durch die vielen Abgase. Schulen müssen geschlossen, Baustellen und Straßen gesperrt werden. Den Gang nach draußen vermeidet jeder, der nicht muss. Warum bekommt Neu-Delhi das Problem nicht in den Griff, wo es doch andere smogbelastete Megametropolen – allen voran Peking – geschafft haben?

Hinter verschlossenen Türen versammelten sich letzte Woche Politikerinnen und Politiker, um einen Plan auszuarbeiten, der die Luft in Neu-Delhi reinigen sollte, nachdem der Luftqualitätsindex (AQI) den Maximalwert von 500 überschritten hatte. Dieser Wert ist so hoch, dass Expertinnen und Experten davor warnten, er könnte die Lebenserwartung der Menschen um mehr als ein Jahrzehnt verkürzen.

Um die anhaltende Luftverschmutzung in Neu-Delhi in den Griff zu bekommen, versuchten die Behörden, die Straßen mit Wasser zu besprühen und den Verkehr einzuschränken, indem sie Fahrzeuge mit ungeraden und geraden Nummernschildern dazu verpflichteten, an abwechselnden Tagen zu fahren. 2018 wurden sogar zwei Smogtürme im Wert von 200 Millionen Rupien (rund 2,2 Mio. Euro) gebaut, die als riesige Luftreiniger fungieren sollten.

Indien: Smogsaison in Neu-Dehli

In der indischen Hauptstadt Neu-Dehli hat die Smogsaison begonnen. Die durch Abgase gelbgrau gefärbte Luft sorgt unter anderem für die Schließung von Schulen sowie die Sperrung von Baustellen und Straßen.

Maßnahmen „reaktiv“

Um den kreativen Ideen zum Umweltschutz noch eins draufzusetzen, plant Neu-Delhi künftig, Regen künstlich zu erzeugen. Damit soll Staub weggespült werden – eine Methode, die von anderen asiatischen Ländern, darunter China, Indonesien und Malaysia, übernommen wurde. Die Erfolgsaussichten gelten als nicht besonders vielversprechend.

All diese Maßnahmen seien bestenfalls „reaktiv“, so Sunil Dahiya vom Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Neu-Delhi gegenüber CNN. „Indien hat alles, was man braucht, um die Situation zu ändern. Wir haben die Wissenschaft und die finanziellen Mittel, aber es fehlt uns ein Ansatz zur Reduzierung der Emissionen.“

Gebäude zur Luftreinigung in Neu-Delhi
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Wie viel Luftfilter draußen bringen, ist fraglich

Auf nationaler Ebene startete Indien 2019 sein Programm für saubere Luft, das in 24 Bundesstaaten und Unionsterritorien Strategien zur Reduzierung der Feinstaubkonzentration um 40 Prozent bis 2025/2026 vorsieht. Zu den Maßnahmen gehören das Verbot von Kohlekraftwerken, die Einrichtung von Luftüberwachungssystemen und das Verbot der Verbrennung von Biomasse. Traditionell brennen nämlich Millionen von Landwirtinnen und Landwirten nach der Winterernte ihre Reisfelder ab, um die kommende Ernte vorzubereiten. Dutzende Millionen armer Haushalte im Land sind außerdem weiterhin auf billige und schädliche Brennstoffe zum Kochen angewiesen.

Preis der Industrialisierung?

Doch andere Metropolen haben den Absprung trotz vieler Herausforderungen geschafft. Vor einem Jahrzehnt etwa war Peking noch für seine smogverhüllten Wolkenkratzer bekannt. In der Stadt mit fast 22 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern waren die Krankenhäuser oft mit Patientinnen und Patienten überfüllt, die an Atemwegserkrankungen litten. Die Einwohnerinnen und Einwohner – insbesondere Familien mit Kindern – waren so verzweifelt, dass sie umzogen.

Skyline von Peking
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Peking ist heute weitgehend smogfrei

Wie in Indien trugen die rasche Industrialisierung und Urbanisierung zu Chinas bemerkenswertem Aufstieg zur wirtschaftlichen Supermacht bei. Doch wie in Indien hatte Chinas Expansion einen ökologischen Preis: eine starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und emissionsintensiven Industrien, die die Luft mit Schadstoffen verpesteten.

Als die US-Botschaft in Peking die Daten der Stadt zur Luftqualität veröffentlichte, verärgerte das zwar die Behörden, machte aber auch die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, wie schlimm die Situation geworden war. Ein Schlüsselmoment in Chinas Kampf gegen die Luftverschmutzung war dann 2013, als die Regierung begann, Milliarden in einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu investieren.

„Erstaunlicher Erfolg“ von Peking

Es folgte eine Reihe neuer Vorschriften, darunter die Beschränkung der Anzahl der Fahrzeuge auf den Straßen der Großstädte, die Verschärfung der Umweltaufsicht und der Emissionskontrollen, der Aufbau eines landesweiten Systems von Luftüberwachungsstationen sowie die Eindämmung von Kohle- und anderer luftgefährdender Industrien.

Die Folge: In den letzten zehn Jahren verbesserte sich die Luftqualität in China drastisch. 2021 war die Luftverschmutzung im Vergleich zu 2013 um 42 Prozent gesunken, so ein Bericht des Energy Policy Institute an der University of Chicago, der den „erstaunlichen Erfolg bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung“ lobte.

Versmogte Straße in Neu-Delhi
Reuters/Anushree Fadnavis
Der Smog beherrscht um diese Zeit des Jahres das Leben in Neu-Delhi

„Sobald die Regierung in Peking beschlossen hat, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen, hat sie es auch getan“, so Jyoti Pande Lavakare von der NGO Care for Air zu CNN. „Das Gleiche könnte in Indien erreicht werden – vielleicht sogar schneller, aber es ist einfach kein nationales Anliegen. Es handelt sich um ein systematisches Versagen, Jahr für Jahr. Und niemand scheint das Problem lösen zu wollen.“ Chinas autoritäres Einparteiensystem bedeutet im Gegensatz zur indischen Demokratie, dass Beamtinnen und Beamte Befehle schnell befolgen müssen.

Politisches Hickhack

In der Öffentlichkeit schieben sich lokale Politiker und Politikerinnen in Indien hingegen gegenseitig die Schuld zu. Arvind Kejriwal, Neu-Delhis Regierungschef und Vorsitzender der Aam Aadmi Party (AAP), die als Gegenpol zur regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) gilt, wurde von Mitgliedern der nationalen Regierung der „Untätigkeit und Gefühllosigkeit“ beschuldigt. Sie sagen, Kejriwal habe wenig getan, um wirksame Maßnahmen zur Reinigung der Luft umzusetzen.

Mädchen zündet Feuerwerk in Neu-Delhi
Reuters/Anushree Fadnavis
Zu Diwali werden traditionell Feuerwerke gezündet, ein Problem für die bereits stark verschmutzte Luft

„Die Einwohner Neu-Delhis klagen über Juckreiz und Atemnot, und Kinder werden krank. Nur Kejriwal ist für all das verantwortlich“, so der Präsident der BJP von Neu-Delhi, Virendra Sachdeva. Die AAP konterte, indem sie die Bundesregierung beschuldigte, Mittel zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung zu kürzen und das Problem nicht ernst zu nehmen.

Während einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof letzte Woche zeigte sich das Gericht dann über das politische Hickhack verärgert. Es wies die Behörden an, Feuerwerkskörper zu verbieten sowie die Bäuerinnen und Bauern daran zu hindern, ihre Felder abzubrennen – dem kamen viele nicht nach. Als Millionen von Menschen am vergangenen Wochenende dann Diwali, das hinduistische Lichterfest, feierten, wurden – so wie jedes Jahr – Feuerwerke gezündet.