Asinelli- und Garisenda-Turm in Bologna (Italien)
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„Hohe Alarmstufe“

Bologna zittert um seinen schiefen Turm

Der Garisenda-Turm im Zentrum von Bologna ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Er steht schon seit geraumer Zeit schief, doch nun bereiten neue Risse im Mauerwerk und ungewöhnliche Schwankungen Sorgen, dass der Steinriese einstürzen könnte. Fachleute sind alarmiert.

Die Angst um die Torre della Garisenda ist zurück. Der Straßenverkehr und andere Erschütterungen könnten die bereits vorhandenen Risse des Gebäudes weiter vertiefen. Expertinnen und Experten des 2018 eingesetzten wissenschaftlich-technischen Komitees zur Überwachung der schiefen Türme von Bologna schreiben jetzt in einem wissenschaftlichen Bericht an den Bürgermeister von „hoher Alarmstufe“.

Die Gefahrensituation sei unvorhersehbar, warnte Amedeo Bellini, Architekt und Mitglied des Komitees: „Wir können nicht sagen, ob mit dem Turm nichts geschieht oder ob es einen teilweisen oder plötzlichen Einsturz gibt. Und wir können nicht wissen, ob ein solches Szenario morgen oder in einem Monat eintreten wird.“ Es müssten dringend Stabilisierungsmaßnahmen vorgenommen werden.

Sperre auf unbestimmte Zeit

Alle Bürgerinnen und Bürger, die in einem Radius von 100 Metern vom Turm wohnen oder arbeiten, wurden von der lokalen Polizei registriert. Sie sollen im Fall von Schwankungen benachrichtigt und evakuiert werden, berichtete der Bürgermeister von Bologna, Matteo Lepore. Er hatte Ende Oktober beschlossen, die Straßen rund um den Garisenda-Turm und den Schwesterturm Asinelli zu sperren.

Asinelli- und Garisenda-Turm in Bologna (Italien)
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Der Garisenda-Turm ist noch schiefer als sein berühmter Bruder in Pisa

Die Gemeinde will prüfen, wie man Erschütterungen rund um die beiden mittelalterlichen Türme minimieren kann. Bis dahin bleiben sie für Besucherinnen und Besucher gesperrt. Eine Eisenstruktur wurde um den Garisenda-Turm aufgestellt. Mit 22 Sensoren sammelt die Universität von Bologna neben Daten zur Neigung Daten zu Vibrationen, Temperatur, Feuchtigkeit, Dehnung und Druck im Mauerwerk.

Für Anrainerinnen und Anrainer sowie Touristinnen und Touristen ist die Sperre ein harter Schlag, denn zwei der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Bolognas sind damit geschlossen. Lokalbetreiberinnen und Shop-Besitzer befürchten Verluste. Sie vermuten, dass das Areal rund um die beiden Türme längere Zeit für den Verkehr gesperrt bleibt. Nur wenige Menschen nähern sich derzeit den Steinriesen.

Bürgermeister: „Schnell und gut“ sichern

„Es besteht keine Gefahr, dass der Turm umstürzt“, sagte Lepore. Jedoch könnten sich Ziegel lösen und herabfallen. Die Lage ist immer noch in „gelber Alarmbereitschaft“, so Lepore. „Derzeit haben wir keinen Grund, die Alarmschwelle zu erhöhen.“ Jetzt gehe es darum, den Turm zu sichern, „und zwar schnell und gut“. Schon in der nächsten Woche werde ein Ausschuss mit der Vorbereitung der Stabilisierungs- und Restaurierungsarbeiten beginnen, kündigte der Bürgermeister an. Die Regierung in Rom stellte 4,7 Millionen Euro Soforthilfe bereit.

Garisenda-Turm in Bologna (Italien) von oben
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Am Wahrzeichen wurden neue Risse festgestellt

Die rechten Oppositionsparteien im Stadtparlament erhoben schwere Vorwürfe gegen den sozialdemokratischen Bürgermeister. Lepore habe es etwa versäumt, den Linienverkehr mit bis zu 15 Tonnen schweren Bussen von der Umgebung der Türme fernzuhalten, was zu starken Vibrationen geführt habe.

Schiefster Turm Italiens

Der 48 Meter hohe Garisenda-Turm ist auffällig schief. Seit 2020 gilt er mit einer Neigung von genau vier Grad als der schiefste Turm Italiens – zum Vergleich: Der berühmte Schiefe Turm von Pisa zeigt bei einer Höhe von knapp 59 Metern eine Neigung von 3,97 Grad. Nach dem Bauende war der Turm in Bologna ungefähr 60 Meter hoch. Wegen einer Bodensenkung, die ihn gefährlich schräg machte, wurde der Garisenda-Turm im 14. Jahrhundert zurückgebaut.

Im 15. Jahrhundert erwarb die Weberzunft den Turm und behielt ihn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Dann ging er in Gemeindebesitz über. Der Garisenda-Turm wurde schon vom italienischen Nationaldichter Dante Alighieri im 13. Jahrhundert in der „Göttlichen Komödie“ erwähnt. Der höhere, ebenfalls geneigte Asinelli-Turm misst 97 Meter.

Seit dem zwölften Jahrhundert entstand in Bologna ein ganzer Wald von mittelalterlichen „Wolkenkratzern“. Reiche und mächtige Familien übertrumpften sich gegenseitig mit der Errichtung von möglichst hohen Türmen. Bis zu 150 wurden in der Stadt nachgewiesen. Die meisten wurden später wegen Einsturzgefahr oder Verwendung als Baumaterial wieder abgerissen. Heute stehen in Bologna noch rund 20 dieser Türme.