Demonstration zur Geiselbefreiung in Tel Aviv
Reuters/Ronen Zvulun
Geiseln in Gaza

Deal mit Hamas offenbar in Reichweite

Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln stehen nach Angaben der katarischen Regierung nur noch „geringfügige“ Hindernisse einem Abkommen im Weg. Die USA sahen eine Einigung in Reichweite – der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, sprach von intensiven Verhandlungen. Zuversichtlich zeigte man sich auch auf israelischer Seite.

Die jetzt noch verbliebenen Fragen seien eher „logistischer und praktischer“ Natur, sagte Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Samstag bei einer Pressekonferenz mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Doha. Diese Punkte würden den „Kern des Deals“ aber nicht wirklich berühren.

„Der Deal hat in den letzten Wochen immer wieder Höhen und Tiefen durchgemacht“, zitierte der „Guardian“ den Regierungschef. Er sei aber nun „zuversichtlicher, dass wir nahe genug dran sind, um eine Einigung zu erzielen, die die Menschen sicher in ihre Heimat zurückbringen kann“. Einen Zeitplan nannte Al Thani nicht.

Washington: Näher an Einigung als jemals zuvor

Man sei zum jetzigen Zeitpunkt näher an einer Einigung, „als wir es vielleicht jemals waren, seit diese Verhandlungen vor Wochen begonnen haben“, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA am Sonntag im US-Fernsehen. „Es gibt Bereiche, in denen die Meinungsverschiedenheiten verringert, wenn nicht sogar ganz ausgeräumt wurden.“ Er machte jedoch deutlich, dass man noch nicht am Ziel sei: „Es gibt derzeit keine Einigung, wir werden in den kommenden Stunden und Tagen intensiv weiterverhandeln.“

Geisel-Freilassung und Feuerpause in Sicht

Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln stehen nach Angaben der katarischen Regierung nur noch „geringfügige“ Hindernisse einem Abkommen im Weg. Die USA sahen eine Einigung in Reichweite – der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, sprach von intensiven Verhandlungen. Zuversichtlich zeigte man sich auch auf israelischer Seite.

Finer machte keine Angaben zur Zahl der im Gazastreifen von der Hamas festgehaltenen Geiseln. Er konkretisierte auch nicht, wie viele von ihnen bei einer Einigung freikommen könnten. „Wir haben keine genauen Angaben über die genaue Zahl der Geiseln, auch nicht über die Zahl derer, die noch am Leben sind. Aber wir glauben, dass eine beträchtliche Anzahl von Amerikanern festgehalten wird“, sagte er.

Israels Botschafter in USA zeigt Zuversicht

Der israelische Botschafter in den USA, Michael Herzog, hoffte unterdessen, dass es in den kommenden Tagen eine Einigung gebe und eine nennenswerte Zahl von Geiseln freigelassen werden könne, sagte Herzog in einem Interview des US-Fernsehsenders ABC.

Zuvor hatte die „Washington Post“ berichtet, dass Israel und die Hamas kurz vor einer möglichen Einigung auf eine Feuerpause stehen. Israel, die USA und die Hamas verhandelten demnach eine fünftägige Kampfpause für den Gazastreifen.

Wildner (ORF) zu Spitäler in Gaza

Laut Hilfsorganisationen gibt es keine systematische medizinische Versorgung im Gazastreifen mehr. ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner berichtet.

Freilassungen könnten in nächsten Tagen beginnen

Mit dem unter Vermittlung der USA verhandelten Abkommen könnte, so die „Washington Post“, die Freilassung der Geiseln bereits in den nächsten Tagen beginnen – sofern es keine Probleme in letzter Minute gebe. Alle Parteien würden die Kampfhandlungen für mindestens fünf Tage einfrieren, während „zunächst 50 oder mehr Geiseln in kleineren Gruppen alle 24 Stunden freigelassen werden“. Die Lage auf dem Boden solle mit Hilfe von Luftüberwachung kontrolliert werden.

Netanjahu unter Druck

Die Einstellung der Kampfhandlungen solle auch ermöglichen, dass deutlich mehr humanitäre Hilfe, einschließlich Treibstoff, von Ägypten in den Gazastreifen gelangen kann. Der Entwurf des Abkommens sei in wochenlangen Gesprächen in der katarischen Hauptstadt Doha zwischen Israel, den USA und der Hamas ausgearbeitet worden.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagte zu dem Bericht auf einer Pressekonferenz am Samstagabend, mit Blick auf die Geiseln gebe es viele unbegründete Gerüchte und falsche Berichte. „Ich möchte klarstellen: Bis jetzt gibt es noch keine Einigung.“ Wenn es etwas zu sagen gebe, werde darüber informiert werden.

Der israelische Ministerpräsident steht wegen der von der Hamas entführten Geiseln und seiner Kriegsführung zunehmend unter Druck. Zehntausende Teilnehmende eines Protestmarsches für die Geiseln erreichten am Samstag Jerusalem. Sie demonstrierten dort vor dem Amtssitz von Netanjahu und forderten von der Regierung einen sofortigen Deal zur Freilassung der Geiseln, die seit sechs Wochen im Gazastreifen festgehalten werden.

Israelischer Sender nannte Details

In der Nacht auf Sonntag veröffentlichte das israelische Fernsehen Details einer möglichen Vereinbarung zur Freilassung von Geiseln im Gazastreifen. Die islamistische Terrororganisation Hamas solle grundsätzliche Bereitschaft zur Freilassung von 87 Geiseln signalisiert haben, berichtete der Sender N12. Darunter seien 53 Frauen, Kinder und Jugendliche sowie 34 Ausländer.

Im Gegenzug müsse sich Israel zu fünf Tagen Kampfpause im Gazastreifen sowie zur Freilassung von weiblichen palästinensischen Häftlingen, Minderjährigen in israelischen Gefängnissen und Sicherheitshäftlingen verpflichten. Außerdem verlange die Hamas die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Küstenstreifen.

Der Sender berichtete gleichzeitig, es sei noch unklar, ob der Deal vorangehen werde. Ein Problem sei, dass es zuletzt kaum noch Kontakt mit dem Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahja Sinwar, gegeben habe. Er habe noch keine klare abschließende Antwort über die Vermittler in Katar übermittelt, hieß es. Israel geht davon aus, dass sich Sinwar seit Beginn des Krieges am 7. Oktober in unterirdischen Verstecken aufhält. Zuletzt wurde er in seinem Geburtsort Chan Junis im Süden des Küstenstreifens vermutet. Die Kommunikation erfolgt dem TV-Sender zufolge über mehrere Vermittler.

Weitere Tanklaster erreichen Gazastreifen

Im Gazastreifen trafen unterdessen drei weitere Tanklaster mit insgesamt etwa 50.000 Liter Diesel ein. Das sagte der Generalsekretär des Ägyptischen Roten Halbmondes, Raed Abdel Nasser, der dpa am Sonntag. Mit den vorigen Lieferungen hätten damit bisher acht Tankwagen insgesamt 210.000 Treibstoff in das abgeriegelte Küstengebiet geliefert. Zudem seien am Sonntag etwa 300 Ausländer und Palästinenser mit zweitem Pass aus dem Gazastreifen nach Ägypten ausgereist.

Nach Angaben von UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sind für eine minimale humanitäre Versorgung im Gazastreifen täglich rund 200.000 Liter Treibstoff nötig. Israel hatte am Freitag die Einfuhr von Diesel für humanitäre Zwecke genehmigt.

Al-Schifa-Spital umkämpft

Nach israelischen Angaben wurden seit Beginn der Angriffe etwa 1.200 Menschen getötet und etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Nach Angaben der Hamas wurden seit Beginn des Krieges etwa 13.000 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

Verlassener Operationssaal im Al-Schifa-Krankenhaus
Reuters/Ahmed El Mokhallalati
Laut Israel hat die Hamas eine Kommandozentrale rund um das Al-Schifa-Krankenhaus eingerichtet

Als Reaktion auf den Angriff der Hamas hatte Israel mit Angriffen auf Ziele im Gazastreifen begonnen, inzwischen sind auch Bodentruppen in das Gebiet eingerückt. Das Al-Schifa-Krankenhaus stand Anfang vergangener Woche im Zentrum der Kämpfe, als israelische Streitkräfte das Gelände durchsuchten und eigenen Angaben zufolge Waffen, Munition und Ausrüstung von Hamas-Terroristen fanden.

Bilder von Tunnel veröffentlicht

Israel beschuldigt die Hamas, eine große Kommandozentrale im und unterhalb des Al-Schifa-Krankenhauses eingerichtet zu haben. Netanjahu sprach explizit von der Entdeckung einer unterirdischen Hamas-Kommandozentrale.

Am Sonntag veröffentliche die israelische Armee Bilder und ein Video von einem 55 Meter langen Tunnel unter dem Spital. Der Zugang befinde sich auf dem Krankenhausgelände in einem Gebäude, in dem Munition gefunden worden sei, teilte das Militär mit. Der Tunnel sei nach 55 Metern mit einer explosionsfesten Tür gesichert.

WHO forderte vollständige Evakuierung von Spital

Aus dem Al-Schifa-Spital wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde zuletzt 31 Frühgeborene gebracht. Die Lage im Krankenhaus sei „verzweifelt“, hieß es in der WHO-Erklärung zum Besuch der Expertinnen und Experten. 291 Patienten und 25 medizinische Mitarbeiter befänden sich derzeit noch in dem Spital. Die WHO will in den kommenden Tagen mehrere Einsätze organisieren, um die Patienten rasch in das Nasser-Krankenhaus und das Europäische Krankenhaus im Gazastreifen zu bringen, obwohl diese bereits überfüllt seien.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich unterdessen entsetzt über Angriffe auf Schulen der Vereinten Nationen im Gazastreifen: Er sei „zutiefst schockiert“, dass binnen weniger als 24 Stunden zwei Schulen getroffen und dabei Dutzende Menschen getötet oder verletzt worden seien. Bei den Opfern habe es sich um viele Frauen und Kinder gehandelt, die auf dem Gelände der UNO Schutz gesucht hätten. „Ich bekräftige, dass unsere Einrichtungen unantastbar sind“, so Guterres. Er forderte erneut eine sofortigen humanitäre Waffenpause.