Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen vermutlich Geiseln im Al-Schifa-Krankenhaus
Reuters/Israel Defense Forces
Israelische Armee

Neue Belege für Hamas-Zentrale in Spital

Mit weiteren Bild- und Videoaufnahmen hat die israelische Armee am Sonntag versucht zu belegen, dass die Terrororganisation Hamas im und unterhalb des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza eine große Kommandozentrale eingerichtet hatte – und der Einsatz im Krankenhaus damit gerechtfertigt ist. Gezeigt wurden Bilder eines 55 Meter langen Tunnels unter dem Spital – und Videoaufnahmen, die zeigen sollen, dass die Hamas am Tag des Überfalls auf Israel Geiseln in das Gebäude brachte.

Auf dem Gelände des Spitals sei in zehn Meter Tiefe ein 55 Meter langer „Terrortunnel“ entdeckt worden, teilte die israelische Armee am Sonntag auf X (Twitter) mit. Die Terrororganisation Hamas hatte bisher immer bestritten, dass sich unter Spitälern solche Tunnel befinden.

Der Tunnel sei mit einer bombensicheren Tür gesichert, hieß es von der israelischen Armee weiter. „Diese Art von Türen werden von der Terrororganisation Hamas verwendet, um israelischen Kräften den Zutritt zu Kommandozentren und Untergrundanlagen zu verwehren, die der Hamas gehören.“ Das Militär veröffentlichte auch ein Video, das einen schmalen betonierten Tunnel und eine graue Tür zeigt. Keine Angaben gab es dazu, was sich hinter der grauen Tür verbirgt.

Die israelischen Truppen seien zudem damit beschäftigt, „die Route des Tunnels aufzudecken“, hieß es vom Militär. Der Zutrittsschacht zum Tunnel befand sich laut der Armee in einem Holzverschlag auf dem Gelände des Krankenhauses. Dort habe man auch Munition gefunden.

Überwachungskameras sollen Geiseln im Spital zeigen

Zudem wurden Aufnahmen von Überwachungskameras veröffentlicht. Zu sehen darin sind zwei Männer, die von bewaffneten Männern offenbar in die Al-Schifa-Klinik gebracht werden. Nach Angaben des israelischen Armeesprechers Daniel Hagari stammen die beiden Geiseln aus Nepal und Thailand. Die Armee habe sie noch nicht ausfindig machen können. „Wir wissen nicht, wo sie sind“, sagte Hagari.

Die Videos seien ein Beleg dafür, dass die radikalislamische Palästinenserorganisation das Klinikgelände „am Tag des Massakers als terroristische Infrastruktur nutzte“, teilten das israelische Militär und die Geheimdienste in einer gemeinsamen Erklärung mit. Nach Angaben der Armee wurden in den vergangenen Tagen „mehr als 100 Terroristen“ im Gazastreifen festgenommen. Auf israelischer Seite seien seit Beginn der Bodeneinsätze Israels im Gazastreifen am 27. Oktober 64 Soldaten getötet worden.

Israel unter Rechtfertigungsdruck

Die israelischen Streitkräfte hatten das größte Krankenhaus im Gazastreifen am Mittwoch gestürmt und steht seitdem international unter starkem Rechtfertigungsdruck. Die Klinik wurde inzwischen weitgehend evakuiert. Israel wirft der islamistischen Hamas vor, das Krankenhaus für „terroristische Zwecke“ zu missbrauchen und unter den Gebäuden eine „Kommandozentrale“ zu betreiben. Die Hamas bestreitet das. Zuvor von Israel präsentierte Belege, wonach die Hamas dieses und andere Spitäler als Terrorstützpunkte dienten, hatten international nicht überzeugt. Das Video und die Bilder vom Tunnel sind die bisher mit Abstand stärksten von Israel präsentierten Belege für den Vorwurf an die Hamas.

Druck auf Israel steigt

In Israel machen Angehörige von Geiseln Druck auf die Regierung. Ein Bericht der „Washington Post“ gibt Grund zur Hoffnung – Demnach könnten sich Israel und die Hamas in diesen Tagen darauf einigen, dass mehr als 80 Geiseln freikommen. .

Start von Geiseldeal am Montag?

Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln stehen unterdessen nach Angaben der katarischen Regierung nur noch „geringfügige“ Hindernisse einem Abkommen im Weg. Die USA sahen eine Einigung in Reichweite – der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, sprach von intensiven Verhandlungen.

Die Hamas sprach in der Nacht auf Montag laut unbestätigten Medienberichten von einer Kampfpause ab späterem Vormittag zum Austausch von Geiseln für Hamas-Gefangene in israelischen Gefängnissen. Der Entwurf eines Abkommens soll in wochenlangen Gesprächen in der katarischen Hauptstadt Doha zwischen Israel, den USA und der Hamas ausgearbeitet worden sein.

Nur „logistische und praktische“ Fragen offen

Die jetzt noch verbliebenen Fragen seien eher „logistischer und praktischer“ Natur, hatte Katars Regierungschef Mohammed bin Abdelrahman Al Thani am Samstag bei einer Pressekonferenz mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Doha betont. Diese Punkte würden den „Kern des Deals“ aber nicht wirklich berühren.

„Der Deal hat in den letzten Wochen immer wieder Höhen und Tiefen durchgemacht“, zitierte der „Guardian“ den Regierungschef. Er sei aber nun „zuversichtlicher, dass wir nahe genug dran sind, um eine Einigung zu erzielen, die die Menschen sicher in ihre Heimat zurückbringen kann“. Einen Zeitplan nannte Al Thani nicht. Auch die US-Regierung betonte, man sei näher an einem Deal als jemals seit Beginn der Verhandlungen.

Geiselfreilassung und Feuerpause in Sicht

Bei den Verhandlungen über die Freilassung der von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln stehen nach Angaben der katarischen Regierung nur noch „geringfügige“ Hindernisse einem Abkommen im Weg. Die USA sahen eine Einigung in Reichweite – der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, sprach von intensiven Verhandlungen. Zuversichtlich zeigte man sich auch auf israelischer Seite.

Netanjahu unter Druck

Der israelische Botschafter in den USA, Michael Herzog, hoffte unterdessen, dass es in den kommenden Tagen eine Einigung gebe und eine nennenswerte Zahl von Geiseln freigelassen werden könne, sagte Herzog in einem Interview des US-Fernsehsenders ABC.

Wildner (ORF) zu Spitälern in Gaza

Laut Hilfsorganisationen gibt es keine systematische medizinische Versorgung im Gazastreifen mehr. ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner berichtet.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sagte zu dem Bericht auf einer Pressekonferenz am Samstagabend, mit Blick auf die Geiseln gebe es viele unbegründete Gerüchte und falsche Berichte. „Ich möchte klarstellen: Bis jetzt gibt es noch keine Einigung.“ Wenn es etwas zu sagen gebe, werde darüber informiert werden.

Der israelische Ministerpräsident steht wegen der von der Hamas entführten Geiseln und seiner Kriegsführung zunehmend unter Druck. Zehntausende Teilnehmende eines Protestmarsches für die Geiseln erreichten am Samstag Jerusalem. Sie demonstrierten dort vor dem Amtssitz von Netanjahu und forderten von der Regierung einen sofortigen Deal zur Freilassung der Geiseln, die seit sechs Wochen im Gazastreifen festgehalten werden.

Israelischer Sender nannte Details

In der Nacht auf Sonntag veröffentlichte das israelische Fernsehen Details einer möglichen Vereinbarung zur Freilassung von Geiseln im Gazastreifen. Die Hamas solle grundsätzliche Bereitschaft zur Freilassung von 87 Geiseln signalisiert haben, berichtete der Sender N12. Darunter seien 53 Frauen, Kinder und Jugendliche sowie 34 Ausländer.

Im Gegenzug müsse sich Israel zu fünf Tagen Kampfpause im Gazastreifen sowie zur Freilassung von weiblichen palästinensischen Häftlingen, Minderjährigen in israelischen Gefängnissen und Sicherheitshäftlingen verpflichten. Außerdem verlange die Hamas die Einfuhr von mehr Treibstoff in den Küstenstreifen.

Der Sender berichtete gleichzeitig, es sei noch unklar, ob der Deal vorangehen werde. Ein Problem sei, dass es zuletzt kaum noch Kontakt mit dem Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahja Sinwar, gegeben habe. Israels Führung sei überzeugt, dass Sinwar nicht mehr rational agiere, berichtete am Montag die Tageszeitung „Haaretz“. Genau das, so die Zeitung weiter, könnte auch als Rechtfertigung für die Zustimmung zur Freilassung nur eines Teils der Geiseln dienen, so „Haaretz“ weiter. In Israel ist eine solche „Freilassung auf Raten“ höchst umstritten.

Schwere Kämpfe um weiteres Spital

Schwere Kämpfe brachen am Montag um das Indonesische Spital im Norden von Gaza aus. Dorthin haben sich Tausende Patienten und Zivilisten in Sicherheit gebracht. Nach dem Al-Schifa-Spital kreist nun Israels Armee auch das Indonesische Spital ein. Laut Hamas-Angaben wurden zwölf Menschen getötet. Auch in diesem Spital vermutet Israel eigenen Angaben zufolge Hamas-Stützpunkte und Tunnel. Israel wirft der Terrororganisation vor, die Zivilisten in Spitälern als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Kritiker des israelischen Vorgehens werfen der Armee dagegen kollektive Bestrafung der Bevölkerung von Gaza vor.

Dutzende Tote nach Luftangriff im Süden

Laut Ärzte ohne Grenzen wurden nach einem israelischen Luftangriff in Chan Junis im Süden am Sonntag mindestens 70 Tote in einem Krankenhaus der Stadt gezählt. Dutzende Patienten, darunter viele Kinder und Jugendliche, hätten im Nasser-Spital wegen schwerer Brandwunden behandelt werden müssen, erklärte die Hilfsorganisation unter Berufung auf ihre Mitarbeiter in der Klinik. Am Sonntag flohen laut der UNO etwa 20.000 Menschen im Gazastreifen gen Süden.

Israel hatte zuletzt eine Ausweitung des Krieges auf den Süden angedeutet. Dort griff Israel bisher aus der Luft einzelne Ziele an, rückte aber bisher nicht mit Bodentruppen vor. Israel geht davon aus, dass viele Hamas-Kämpfer und das Gros der Führung in den Süden geflohen sind und sich dort in Tunnelanlagen unter den dicht besiedelten Orten wie Chan Junis verstecken.

Kairo wirft Israel gezielte Behinderung von Hilfe vor

Ägypten warf Israel unterdessen die „systematische“ Behinderung von Hilfslieferungen für Gaza vor. Ägypten unternehme alles, um Lieferungen über den Grenzübergang Rafah zu ermöglichen, sagte Außenminister Samih Schukri am Montag während eines Besuchs in China. „Aber Israels Politik, die Einfuhr von Hilfen zu behindern, ist systematisch“, sagte Schukri seinem Sprecher zufolge. Israel wolle Palästinenser dazu „drängen“, den Gazastreifen während der „laufenden Bombardements und Besatzung zu verlassen“, argumentierte er.

Debatte über Todesstrafe in Knesset

Im zuständigen Knesset-Ausschuss gab es derweil am Montag eine hitzige Debatte über einen Antrag der rechts-religiösen Regierung, die Todesstrafe für Terroristen einzuführen. Eigentlich gibt es diese Möglichkeit, sie ist aber – aus guten Gründen, weil Fachleuten zufolge damit die Kompromissbereitschaft von Terroristen in Verhandlungen gegen null gesenkt wird – seit vielen Jahres de facto totes Recht.

Angehörige von Entführten, die an der Sitzung teilnahmen, übten scharfe Kritik an dem Vorstoß. Schon die Sitzung „zu diesem Zeitpunkt gefährdet das Leben unserer Liebsten – mehr als es ohnehin gefährdet ist. Und all das, ohne dass damit irgendein öffentliches Interesse gefördert“ werde. Die Bitte der Angehörigen im Vorfeld, die Sitzung zu verschieben, sei ignoriert worden. Die Familien befürchten, dass ein medial kolportierter naher Deal zur Geiselfreilassung mit dieser Debatte torpediert werden könnte.