Außenansicht des Parlamentskomplexes Binnenhof in Den Haag, Niederlande
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Niederlande

Spannender Dreikampf bei Parlamentswahl

In den Niederlanden hat am Mittwoch die Parlamentswahl begonnen. Auch neue Parteien und Bündnisse stellen sich zur Wahl. Der Name des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, der die bisherige Koalition platzen ließ, steht nicht mehr auf dem Stimmzettel. Die Abstimmung verspricht spannend zu werden. Drei Parteien liegen in Umfragen nahe beieinander.

Eine davon ist Ruttes liberal-konservative Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Rutte hatte im Juli mit der Ankündigung „unüberwindbarer“ Differenzen innerhalb seiner Koalition die vorgezogene Wahl notwendig gemacht. Wenige Tage später erklärte der 56-Jährige überraschend, dass er nach 13 Jahren als Regierungschef aus der Politik ausscheiden wolle.

Grund für den Bruch der Koalition mit der linksliberalen D66, dem christdemokratischen CDA und der christdemokratischen ChristenUnie war ein Streit über eine Verschärfung der Regeln zum Familiennachzug von Asylsuchenden. Mehrere Parteivorsitzende traten daraufhin zurück, die politische Landschaft gestaltete sich neu. Es wird spekuliert, Rutte wolle Jens Stoltenberg als NATO-Generalsekretär ablösen – Gerüchte, die Rutte mit den Worten kommentierte, eine Frau sei auf diesem Posten empfehlenswert.

Niederländischer Ministerpräsident Mark Rutte
IMAGO/ANP/Phil Nijhuis
Mark Rutte verabschiedet sich nach 13 Jahren aus der Politik

Yesilgöz will Rutte nachfolgen

Um den Spitzenplatz und den Posten des niederländischen Ministerpräsidenten ringen mindestens drei Parteien, die jüngsten Umfragen der Marktforschungsinstitute I&O Research und Ipsos zufolge fast gleichauf liegen. Aussichten auf Platz eins hat die amtierende Justizministerin und Rutte-Nachfolgerin im VVD-Vorsitz, Dilan Yesilgöz. Sie möchte die erste Ministerpräsidentin des Landes werden. Ihre wirtschaftsfreundliche Partei kommt in den Umfragen auf etwa 18 Prozent.

Die 46-Jährige, die selbst aus der Türkei stammt, vertritt eine harte Linie in der Einwanderungspolitik. Für Aufsehen sorgte sie mit ihrer Bereitschaft, gegebenenfalls auch mit der Freiheitspartei (PVV) des rechtspopulistischen und islamfeindlichen Geert Wilders eine Regierung zu bilden. Yesilgöz hält an ihren aktuellen Klimazielen fest, lehnt Forderungen nach höheren Ausgaben jedoch ab.

Herausforderer Omtzigt und Timmermans

Eine ihrer Hauptkonkurrentinnen ist die erst vor drei Monaten vom früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt gegründete Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC), die in Umfragen ebenfalls auf 18 Prozent der Stimmen kommt. Omtzigt will nach einer Reihe von Skandalen das Vertrauen in die Politik wiederherstellen und die Einwanderung begrenzen. Er hat eine Reihe von Reformen vorgeschlagen, darunter die Abschaffung von Subventionen für E-Autos und Solarzellen. Selbst will der 49-Jährige aber nicht Regierungschef werden.

Der frühere EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans steigt als gemeinsamer Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und der Grünen in den Ring. Die Partei der Arbeit (PvdA), der der 62-Jährige angehört, und die Partei GrünLinks schlossen sich zusammen, um den Schwund an Unterstützung für linke Parteien zu stoppen. Das Parteienbündnis will den Mindestlohn auf 16 Euro pro Stunde erhöhen, was bei den Wählerinnen und Wählern gut ankommt. Der Zusammenschluss liegt mit 16 Prozent auf dem dritten Platz.

TV-Diskussion zwischen Dilan Yesilgöz (VVD), Frans Timmermans (GroenLinks/PvdA), Geert Wilders (PVV) und Pieter Omtzigt (NSC)
IMAGO/ANP/Koen Van Weel
Dilan Yesilgöz, Frans Timmermans, Geert Wilders (PVV) und Pieter Omtzigt (v. l. n. r.) stellen sich einer TV-Diskussion

Wilders wittert Chance

Nach aktuellem Stand dürfte jedenfalls keine der drei genannten Parteien mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Eine neue Mitte-rechts-Koalition in dem politisch zersplitterten Land ist somit wahrscheinlicher als eine größere politische Wende. Wilders witterte seine Chance und versuchte, sein Image mit gemäßigteren Tönen aufzupolieren. Eine aktuelle Umfrage sah Wilders’ PVV Kopf an Kopf mit Ruttes VVD.

Parlamentswahl in den Niederlanden

In den Niederlanden hat am Mittwoch die Parlamentswahl begonnen. Neue Parteien und Bündnisse stellen sich zur Wahl.

Die Bauernpartei BBB überraschte Anfang des Jahres mit ihrem Sieg bei der Senatswahl. Sie spricht vor allem Wähler auf dem Land an, die sich von den städtischen Eliten unverstanden fühlen. Laut einer I&O-Research-Umfrage wollen mehr als die Hälfte der Niederländerinnen und Niederländer diesmal ihre Stimme einer anderen Partei geben als bei der Wahl 2021.

26 Parteien kämpfen um Wählerstimmen

Insgesamt 26 Parteien kämpfen um die 150 Parlamentssitze, die nach dem Verhältniswahlrecht verteilt werden. Eine Sperrklausel wie die Fünfprozenthürde in Österreich gibt es nicht. Da voraussichtlich keine Partei die Mehrheit von 76 Abgeordneten erreichen wird, muss eine Mehrparteienkoalition gebildet werden. Vermutlich sind dafür vier Parteien nötig.

Die Verhandlungen beginnen unmittelbar nach der Wahl und dauerten in der Vergangenheit oft mehrere Monate. Die letzte Regierung Rutte stand erst nach 271 Tagen. Bis eine Einigung erzielt ist, bleibt Rutte im Amt. Nach Experteneinschätzung gilt die Wahl am 22. November als Test dafür, ob die Wählerschaft in einem der wohlhabendsten Länder Europas noch bereit ist, nach der Teuerungswelle des vorigen Jahres weiter kostspielige Investitionen etwa in Offshore-Windparks zu finanzieren.

Grafik zur Parlamentswahl in den Niederlanden
Grafik: APA/ORF; Quelle: Politico

Klimawandel und Migration als Topthemen

Dem Politikwissenschaftler Tom Louwerse zufolge sorgen sich zwar alle Menschen in den Niederlanden um das wirtschaftliche Wohlergehen, die links eingestellten von ihnen hätten aber tendenziell den Klimawandel im Blick. Für das kleine Land eine reale Bedrohung: Teile der heutigen Niederlande wurden durch Landgewinnung dem Meer abgerungen, die Mehrheit der Bevölkerung lebt unterhalb des Meeresspiegels. Für Konservative und weniger wohlhabende Wählergruppen bleibt dagegen die Einwanderung – jenes Thema, das die Regierung zu Fall gebracht hatte – ein zentrales Anliegen.

Auf den ersten Blick geht es dem Land gut: Die Arbeitslosigkeit liegt unter vier Prozent, und die Inflation verlangsamt sich – zuletzt sanken die Verbraucherpreise sogar, und die Staatsverschuldung beträgt weniger als 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Königreich ist auf dem besten Weg, seine CO2-Ziele bis 2030 zu erreichen, wie aus offiziellen Daten hervorgeht. Doch es gibt auch Sorgen: von Bedenken über die Wirtschaft bis zu einem schwelenden Unmut über den geplanten Abbau von Viehzuchtbetrieben.