israelische Soldaten helfen bei der Ernte auf einer Farm
APA/AFP/Jalaa Marey
Israel im Krieg

Der Faktor Zeit

Täglich kostet der Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel auf beiden Seiten Menschenleben. In der mittlerweile siebenten Kriegswoche seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober ist kein Ende in Sicht. Dazu fehlt weiter eine klare israelische Perspektive zu Gaza für die Zeit nach dem Krieg. Ein langer Krieg ist aber kaum im Interesse des Landes, denn neben dem menschlichen Leid, das der Krieg mit sich bringt, ist er auch eine enorme wirtschaftliche Belastung.

Verteidigungsminister Joav Galant betont immer wieder, man wolle langsam und systematisch vorgehen und man setze sich kein Zeitlimit. Und Langzeitregierungschef Benjamin Netanjahu, seit dem „schwarzen Schabbat“ schwer unter Druck, glaubt nach übereinstimmender Überzeugung vieler Beobachterinnen und Beobachter, seine Chancen, politisch zu überleben, würden steigen, wenn der Krieg lange dauere. Netanjahu sei an einer schnellen Beendigung des Krieges daher nicht interessiert, so zuletzt etwa ein Kommentator in der linksliberalen Zeitung „Haaretz“.

Mit jedem Tag wachsen allerdings auch die wirtschaftlichen Kosten dieses Krieges. Neben dem fast täglich steigenden internationalen Druck könnten diese zu einem entscheidenden Argument für eine Beendigung werden.

600 Millionen Euro täglich

2,5 Milliarden Schekel (600 Mio. Euro) – auf diesen Betrag werden die täglichen Kosten des Krieges allein für Israel geschätzt. 360.000 Männer und Frauen wurden für die Armee mobilisiert – deutlich mehr als für den Jom-Kippur-Krieg. Das entspricht etwa acht Prozent der gesamten Arbeitskraft des Landes. Dazu kommen mehr als 200.000 Menschen, die aus Dörfern und Städten entlang des Gazastreifens und der Grenze zum Libanon vorübergehend ins sicherere Landesinnere umgesiedelt wurden. All das in einem Land mit etwa gleich vielen Einwohnerinnen und Einwohnern wie Österreich – auf einer Fläche, die in etwa Niederösterreich und Vorarlberg umfasst.

Das Gros der Schulen ist seit Wochen geschlossen und gerade in der Landwirtschaft fehlen nicht nur die von der Armee Mobilisierten, sondern auch die palästinensischen und thailändischen Hilfskräfte. Ohne sie ist der große Landwirtschaftssektor kaum aufrechtzuerhalten.

isrealische Soldaten in der Nähe der Grenze zum nördlichen Gazastreifen
AP/Leo Correa
Die Milizsoldaten fehlen seit Wochen in ihren Ziviljobs

Hoher Anteil Einberufener aus Hightech-Branche

Generell war der Arbeitsmarkt in Israel schon vor dem Krieg gegen die Hamas angespannt. Im boomenden Hightech-Sektor war es besonders schwierig, das benötigte Personal zu bekommen. Gerade von dort stammen aber auch verhältnismäßig viele der jetzt zum Militärdienst Eingezogenen, während der Anteil Ultraorthodoxer, die überwiegend nicht arbeiten, im aktiven Armeedienst verschwindend gering ist.

Strenge Arbeitsplatzregeln erlauben es Arbeitgebern, nun wegen Einberufung vakante Jobs nur befristet zu vergeben. Das ist einerseits verständlich, andererseits für Unternehmen und auch Arbeitnehmer wenig attraktiv. Gerade im Hightech-Sektor geht nun die Sorge um, dass viele Firmen, die oft zumindest teilweise in US-Besitz sind, Jobs in das Silicon Valley zurückverlagern und diese in Israel dauerhaft verloren gehen.

Klientelinteressen weiter prägend

Aber nicht das Ausmaß der Verwerfungen und der Herausforderungen an sich beunruhigt Fachleute in Israel. Das Hauptproblem in ihren Augen ist derzeit vielmehr, dass die rechts-religiöse Regierung Netanjahus, in der sich auch rechtsextreme Parteien befinden, nur bedingt funktioniert: Auch Wochen nach dem „schwarzen Schabbat“ ist der Staat oft überfordert und agiert nicht bzw. nur mit großer Verzögerung.

Die Verantwortung dafür wird allgemein einerseits der von Netanjahu jahrelang betriebenen Personalpolitik bei der Besetzung von Spitzenpositionen angelastet. Bei der war oft die unbedingte Treue zum Regierungschef, nicht die fachliche Eignung ausschlaggebend: Zum Sinnbild dafür wurde Netanjahus Kabinettschef Jossi Scheli. In anderen Fällen wurde und wird die Besetzung von wichtigen Positionen – etwa die Botschafterstelle in Paris, das Konsulat in New York und die Leitung der Zentralbank – verzögert. Nach wochenlangem Drängen wurde der angesehene derzeitige Zentralbankchef Amir Jaron am Montag verlängert. Netanjahu hatte sich lange dagegen gewehrt, da Jaron immer wieder auch Maßnahmen der Regierung öffentlich kritisiert hatte.

Dazu kommt, dass die gegenwärtige Regierung den Apparat stark aufgebläht hat und zusätzliche Ministerien schuf, um die Ansprüche aller Koalitionspartner zu befriedigen. Einige der Minister gelten allgemein als wenig geeignet, nur eine Ministerin, jene für strategische Information, musste bisher zurücktreten.

israelische Soldaten helfen bei der Ernte auf einer Farm
APA/AFP/Jalaa Marey
In der Landwirtschaft und am Bau ist der kriegsbedingte Arbeitskräftemangel besonders spürbar

Expertin: Unnötige Ministerien auflösen

Die frühere Chefin der israelischen Zentralbank, Karnit Flug, betonte am Wochenende gegenüber dem Radiosender Reschet Bet, es brauche nun eine „klare Politik der Regierung“. Als die zwei wichtigsten Schritte nannte sie die Auflösung überflüssiger Ministerien und die Umwidmung aller „Koalitionsgelder“. Das sind Budgetmittel, die jeweils für Lobbyprojekte der einzelnen Koalitionsparteien reserviert sind. Das, so Flug, sei nicht nur wegen des Geldes, das so für die Kriegswirtschaft flottgemacht werde, wichtig.

Entscheidender sei, dass es ein klares Zeichen an die Finanzmärkte wäre, dass die Regierung „die Größe des Ereignisses realisiert und sachlich agiert, nicht entlang von Klientelinteressen“, so Flug. Nur so könne eine Verschlechterung des Ratings verhindert werden. Wegen des monatelangen heftigen Streits rund um den von der Rechtsregierung geplanten Umbau der Justiz hatten mehrere Ratingagenturen Israel bereits den Ausblick herabgesetzt. Einsparungen bei der Regierung und eine Auflösung der „Koalitionsgelder“ zeichnen sich bisher, trotz steigenden innenpolitischen Drucks, nicht ab, da Netanjahu ein Auseinanderbrechen der Koalition befürchten müsste. Vielmehr will der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich 300 Mio. Schekel zusätzlich an ultraorthodoxe Schulen überweisen, wie die Nachrichtenwebsite N12 berichtete.

Bilder zu Tunnel der Hamas veröffentlicht

Jordanische Medien berichten, dass die Hamas eine Feuerpause zur Freilassung von Geiseln, die am 7. Oktober verschleppt wurden, angekündigt habe. Eine offizielle Bestätigung gibt es bisher noch nicht. Unterdessen hat die israelische Armee weitere Details zu einem mutmaßlichen Tunnel der Hamas unter dem Al-Schifa-Spital veröffentlicht.

Unsicherheitsfaktoren: Dauer und Ausweitung

Dazu kommen laut Flug zwei weitere Unsicherheitsfaktoren und zwar: Wenn der Krieg „sehr, sehr lange dauert“ und wenn sich dieser auf andere Fronten – insbesondere in einen Krieg mit der Hisbollah im Libanon – ausweiten sollte. Wenn das nicht eintrete und die Regierung die nötigen Schritte setze, sei zwar ein „schwerer Rückschlag“ für die israelische Wirtschaft zu erwarten, „aber wir können es aushalten“. Und Flug hält auch eine rasche Erholung, ähnlich wie nach dem zweiten Libanonkrieg 2006 und nach der CoV-Pandemie, für wahrscheinlich. Sobald der Raketenbeschuss weitgehend zu Ende gehe und sich die Israelis wieder sicherer fühlten, werde der Konsum wieder anlaufen.

Die Gefahr dramatischer Folgen, von jahrelanger Stagnation bis hin zu einer Hyperinflation – als Referenzen dafür werden der Jom-Kippur-Krieg (1973) und die Zweite Intifada (2000–2005) genannt – sieht Flug nicht. Die globale Ausgangslage mit Ölpreisschock bzw. Dotcom-Krise sei damals eine ganz andere gewesen.

zerstörte Gebäude im südlichen Gazastreifen
APA/AFP/Mohammed Abed
In Gaza ist die Zerstörung noch viel größer und die Bevölkerung zwischen Hamas und israelischer Armee „eingepfercht“

Auch ohne weitere Eskalation ist aber klar: Die hohen Kriegskosten werden Israels Schuldenberg deutlich ansteigen lassen. Dazu kommen mit Sicherheit deutlich höhere Militärausgaben auch in den Jahren nach dem Krieg, um das durch den Hamas-Angriff verloren gegangene Vertrauen in die Sicherheit im eigenen Land wiederherzustellen.