Silhouette eines Mannes vor Ortschaft an isralisch-libanesischer Grenze
Reuters/Alaa Al-Marjani
Israel – Hisbollah

Vorgehen gegen Miliz als Streitfrage

Seit Ausbruch des Krieges zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel haben auch die Spannungen im Grenzgebiet zum Libanon deutlich zugenommen. Am Sonntag seien mehrere Soldaten durch libanesische Raketen verletzt worden, teilte Israels Militär mit und reagierte mit Angriffen auf die Hisbollah-Terrormiliz. Über die weitere Vorgehensweise Israels gegen die Miliz ist eine Debatte losgebrochen – bei der die USA mitmischen.

Israel meldete am Sonntag einen Raketenangriff aus dem Libanon. Der Beschuss auf ein Armeefahrzeug im Norden des Landes hätte zu zwölf Verwundeten geführt, berichteten Medien unter Berufung auf eine Klinik in der Nähe des Vorfalls. Die Soldaten seien von Granatsplittern getroffen worden. Der von der proiranischen Hisbollah-Terrormiliz geführte libanesische Fernsehsender al-Manar bestätigte den Angriff.

Seit Wochen kommt es zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee an der libanesisch-israelischen Grenze fast täglich zu Gefechten und Angriffen. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Israelischen Angaben zufolge werden Tausende von Hisbollah-Kämpfern in der libanesisch-israelischen Grenzregion vermutet. Doch über die Vorgehensweise sind sich Israel und seine strategischen Partner nicht einig.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu gab dem amerikanischen Druck bisher nach, doch israelische Militärs, allen voran Verteidigungsminister Joav Galant, drängen auf ein breiteres Vorgehen gegen die Hisbollah. Medienberichten zufolge hatten israelische Militärs erst kürzlich gesagt, Israel sei nur einen tödlichen Hisbollah-Schlag von einem neuen Krieg im Libanon entfernt, sie fordern einen entscheidenden Schritt gegen den Nachbarn im Norden.

UNIFIL mahnt zu „langfristigen Lösungen“

Zuletzt hatte aber die UNO-Blauhelmtruppe zur Friedenssicherung in der Region (UNIFIL) davor gewarnt, jede weitere Eskalation im Südlibanon könnte verheerende Folgen haben. Beide Seiten sollten „langfristige Lösungen“ anstreben und die gegenseitigen Feindseligkeiten einstellen, forderte die Mission.

Die USA argumentieren ähnlich. Für den strategischen Partner Israels ist es unter anderem wichtig, eine Ausweitung des Konfliktes an der libanesisch-israelischen Grenze zu verhindern, damit es zu keinem Flächenbrand in der Region kommt, in den noch mehr Staaten wie beispielsweise der Iran verwickelt sind. Zudem hoffen die USA weiterhin auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien. Entsprechende Verhandlungen dazu waren seit dem Angriff der Hamas auf Eis gelegt worden.

Netanjahu im Gegenzug, so sagen seine Berater, hofft, dass ein klarer Sieg über die Hamas im Gazastreifen die Hisbollah dazu bringen wird, ihre Streitkräfte von der Südgrenze des Libanons zu Israel zurückzuziehen. Doch die größte Angst für die Bewohnerinnen und Bewohner in Israels Grenzgebiet sei eigenen Angaben zufolge, dass Hisbollah-Kämpfer über die Grenze kommen und Frauen und Kinder töten, so wie die Hamas am 7. Oktober, die dabei mehr als 1.200 Menschen getötet hat.

Tödlichste Gewalt seit 2006

Das „Wall Street Journal“ („WSJ“) hatte Ende November berichtet, dass bei den Gefechten an der libanesisch-israelischen Grenze bereits Dutzende Hisbollah-Kämpfer sowie mehrere libanesische Zivilisten und israelische Soldaten getötet. Dabei handelt es sich um die tödlichste Zunahme der Gewalt in diesem Gebiet seit dem Libanon-Krieg 2006.

Damals wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen bei israelischen Luftangriffen mehr als 1.100 Menschen getötet, die meisten von ihnen Zivilistinnen und Zivilisten. Israelische Raketen zerstörten dabei große Teile der von der Hisbollah kontrollierten Viertel in der Hauptstadt des Libanon, Beirut, in der mehr Menschen leben als im gesamten Gazastreifen.

Israelische Militärlager im Norden

Die Angriffe der Hisbollah veranlassten Israel, Truppen an seine Nordgrenze zu entsenden und Zehntausende Menschen aus dem Gebiet zu bringen, aus Angst, die Angriffe könnten in einen ausgewachsenen Krieg ausarten. Auch der libanesischen Regierung zufolge flohen Zehntausende Zivilistinnen und Zivilisten aus dem südlichen Libanon, aus Angst vor einer kriegerischen Auseinandersetzung.

Die israelische Armee hat die Grenzorte im Norden zum Teil in inoffizielle Militärlager verwandelt, in denen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge in den Straßen bereitstehen. Sicherheitsbeamte in der Region schätzen, dass rund 100.000 israelische Soldatinnen und Soldaten an der Grenze stationiert sind – eine Zahl, die das israelische Militär nicht kommentieren wollte.

Isralisches Militär im Norden Israels
Reuters/Alexander Ermochenko
Schätzungen zufolge sind rund 100.000 israelische Soldatinnen und Soldaten an der libanesisch-israelischen Grenze stationiert

Israel: Hisbollah besitzt über 150.000 Raketen

Israel schätzt, dass die Hisbollah über mehr als 150.000 Raketen verfügt. Die Miliz könnte Schätzungen Israels zufolge dabei täglich 3.000 Raketen abfeuern, was das israelische Luftverteidigungssystem enorm belasten würde.

Erst Wochen nach dem Hamas-Angriff auf Israel meldete sich Anfang November der Führer der Hisbollah-Miliz, Hassan Nasrallah, zu Wort. In seiner Rede verherrlichte er den Hamas-Angriff auf Israel, sagte aber zugleich, der Angriff der Hamas auf Israel sei „zu 100 Prozent palästinensisch“ gewesen.

Hizbollah-Chef Sayyed Hassan Nasrallah
Reuters/Mohamed Azakir
Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah meldete sich zuletzt zu Wort und verherrlichte den Hamas-Angriff auf Israel

Er behielt sich jedoch alle Optionen an der libanesischen Front offen. Eine Eskalation sei eine „realistische Möglichkeit“, sagte Nasrallah. Alles hänge davon ab, wie der Krieg im Gazastreifen weiter verlaufen werde. Für die gegenwärtige Lage dort machte er die USA verantwortlich.

Unterstützung durch den Iran

In dieses Narrativ passt auch die Unterstützung der Miliz durch den Iran. Die Hisbollah, die von den USA und anderen Ländern als terroristische Organisation eingestuft wird, wurde nach dem Libanon-Krieg 1982 ins Leben gerufen und unterhält seit Langem Verbindungen zum Iran und gilt als dessen stärkster militärischer Vertreter im Nahen Osten. Ihre Kämpfer wurden zum Teil von iranischen Revolutionsgarden ausgebildet.

Die Hisbollah dient auch den umfassenderen Zielen des Iran im Nahen Osten, indem sie sich jeder westlichen oder israelischen Präsenz in der Region widersetzt. In den 1990er Jahren übernahm die Hisbollah eine formellere politische Rolle im Libanon und wurde zu einer wichtigen Fraktion im Regierungsbündnis des Landes.

Auslöschung Israels zum Ziel

Wie die Hisbollah wird auch die Hamas vom Iran unterstützt, wobei die Verbindungen der Gruppe noch nicht so lange bestehen und die Hamas zudem bis vor Kurzem noch als Außenseiter unter den Stellvertretern des Iran in der Region angesehen wurde. Doch sowohl die Hisbollah nördlich von Israel als auch die Hamas im Süden streben beide die Auslöschung des israelischen Staates an.

Die USA und auch Israel haben die Hisbollah und ihre Unterstützer in Teheran zuletzt mehrmals gewarnt, sich aus dem Konflikt zwischen Israel und der Hamas herauszuhalten. Vor einigen Wochen besuchte der US-Gesandte Amos Hochstein den Libanon und forderte die „Wiederherstellung der Ruhe an der Südgrenze“ zu Israel. Sie sei „von größter Bedeutung für die Vereinigten Staaten“.

USA: Wagner will Luftabwehrsystem liefern

Zuletzt sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, die russische Söldnergruppe will dem Iran oder der Hisbollah ein Luftabwehrsystem liefern. Wagner bereite die Lieferung „auf Anordnung der russischen Regierung“ vor, sagte Kirby. Man werde das genau überwachen und sei bereit, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Die Sache ist brisant, da der Iran auch Russland bereits Drohnen und Artilleriemunition liefere.