Ungarns Premier Viktor Orban
APA/AFP/Attila Kisbenedek
Soros, EU, NGOs

Kampagnenwelle gegen Orbans Feindbilder

In Ungarn fährt die rechtspopulistische Regierung unter Premier Viktor Orban derzeit eine neue geballte Kampagne auf mehreren Ebenen. NGOs und Medien zittern vor einem neuen Gesetz, das ihnen Handlungsfreiheit und Finanzmittel nehmen soll. Gleichzeitig wird – teils mit offenkundigen Unwahrheiten – wieder verstärkt Stimmung gegen die EU gemacht.

„Brüssel will in Ungarn Migrantengettos errichten. Was denken Sie?“ Die Antwort muss entweder lauten: „Wir dürfen die Errichtung von Migrantengettos in unserem Land nicht erlauben“ oder „Die Brüsseler Migrationspläne müssen akzeptiert werden“. So sieht es der Fragebogen vor, den die Regierung in Budapest derzeit ausgibt. So solle das Land vor dem, was die Regierung als EU-Politik ausgibt, geschützt werden, wie es heißt. Der Fragebogen ist Teil der „Nationalen Konsultation zur Verteidigung unserer Souveränität“.

Themen sind unter anderem Migration, der mögliche EU-Beitritt der Ukraine oder auch Steuern auf Zufallsgewinne. Die Befragten haben dabei immer zwei Alternativen zur Auswahl: entweder die Haltung der Regierung unterstützen oder eine angebliche EU-Linie.

Gründe für Dauerclinch mit Brüssel

Budapest nutzt solche Fragebögen wiederholt seit 2015, um ihre Positionen zu legitimieren und die EU-Politik zu kritisieren. Rechtlich bindend sind die Ergebnisse nicht. Orban äußerte aber kürzlich die Ansicht, wenn die Resultate im Sinne seiner FIDESZ-Partei seien, könne man die langatmigen Konflikte mit Brüssel langfristig „durchhalten“.

Um deutlich zu machen, wer die Schuldigen in dieser Konfliktlage sein sollen, fährt FIDESZ derzeit auch eine großflächige Plakatkampagne. Dabei wird eine Verbindung zwischen den Stiftungen des jüdischen Holocaust-Überlebenden und Großinvestors George Soros und der EU unterstellt. Auf den Plakaten sind Porträts von Soros’ Sohn Alexander und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dazu sinngemäß der Spruch „Lasst uns nicht nach ihrer Pfeife tanzen“ zu sehen. In ähnlichen Sujets hatte Orbans Regierung schon 2019 das Bild des früheren EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker benutzt, damals mit George Soros.

Ein Poster in Budapest zeigt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Alexander Soros
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„Lasst uns nicht tanzen, wenn sie pfeifen“, so die Übersetzung der neuen Plakatkampagne der Regierung

Bei den Konflikten mit Brüssel geht es nicht nur um Migration – Ungarn opponierte stets vehement gegen Versuche der EU, Geflüchtete zu verteilen. Es geht auch nicht nur um den in Brüssel abgelehnten EU-Beitritt der Ukraine – Ungarn pflegt seine engen Kontakte zu Russland unvermindert weiter, kürzlich wurde etwa ein Fahrplan für den lange geplanten Ausbau des ungarischen Atomkraftwerks Paks mit dem russischen Atomkonzern Rosatom vereinbart. Orban, so Kritiker, wolle vor allem die eingefrorenen EU-Gelder freipressen. Im Streit über Ungarns Rechtsstaatlichkeit hält Brüssel weiterhin mehrere Milliarden Euro zurück.

Dass die ungarische Taktik mitunter funktioniert, zeigte eine Entscheidung vom Donnerstag. Die EU-Kommission stimmte dem ungarischen Plan für EU-Hilfen von 4,6 Milliarden Euro zumindest nun zu. Bevor die Gelder ausbezahlt werden, muss das Land aber noch mehrere Reformen umsetzen, aber Ungarn kann schon davor eine Vorfinanzierung in Höhe von rund 900 Millionen Euro erhalten.

Anti-EU-Kampagne in Ungarn

In Ungarn startet der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orban eine breitangelegte Kampagne. Wie so oft in seiner Politik richtet sie sich gegen die EU.

Orbans Fokus auf Souveränität

Anderes EU-Geld scheint aber unerwünscht: In der letzten der elf Fragen wird behauptet, dass „Geld aus Brüssel und aus dem Ausland“ zur Beeinflussung der ungarischen Politik verwendet werde. Die Antwortmöglichkeiten: „Die aktuelle Gesetzeslage reicht aus“ oder es brauche strengere Gesetze, um ausländischen Einfluss einzudämmen.

Die Regierung stellte die Frage nicht zufällig, Ungarns derzeitige Innenpolitik orientiert sich zu großen Teilen am Schlagwort der Souveränität. Gegen die befürchtete Einmischung von außen wurde am Dienstag auch ein Gesetz zum „Schutz der Souveränität des Landes“ im Parlament eingebracht.

Geheimdienst soll Organisationen überwachen

Das Gesetz ist in vielen Fällen gegen „Pseudozivilorganisationen“, Parteien und Personen gerichtet, die vom Ausland finanziert würden, so FIDESZ. Denn linke Politiker würden aus unbekannten ausländischen Quellen finanziert, damit sie in Ungarn an die Macht kämen, und ausländische Wirtschaftsgruppen sich auf Kosten Ungarns wirtschaftliche Vorteile sichern. Die EU würde diesen Gesetzesentwurf „nicht gut aufnehmen“, da sie Ungarn kontinuierlich auf politischer Basis angreife, sagte FIDESZ-Fraktionschef Mate Kocsis.

Das Gesetz soll 25 bestehende modifizieren, betroffen sind Rechtsregeln, die sich unter anderem mit Polizei, Bürgerwehr, Schusswaffen, Kontrolle der Verwendung von EU-Geldern, Lohnerhöhung im Gesundheitswesen befassen. Bis zu drei Jahre Haft drohen, wenn Organisationen Geldflüsse aus dem Ausland verschleiern. Außerdem ist ein eigenes „Amt für Souveränitätsschutz“ geplant, das mit Hilfe des Geheimdienstes die Einhaltung der neuen Regeln überwachen soll.

Brisant sind zudem Pläne, nach denen Bürgerwehren künftig auch Aufgaben im Grenzschutz erhalten sollen. Laut der geplanten Verfassungsreform ist der Schutz der Heimat nicht ausschließlich Aufgabe des Staates, sondern Pflicht jedes ungarischen Staatsbürgers und jeder Staatsbürgerin. Die Neuregelung soll durch einen neuen Passus in der Verfassung verankert werden. Das Parlament dürfte sie abnicken, da FIDESZ über eine Zweidrittelmehrheit verfügt.

Gesetze absichtlich vage gehalten

Orbans Regierung hatte schon 2017 versucht, ein ähnliches Anti-NGO-Gesetz zu verabschieden, dieses wurde aber später vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) kassiert. Details zu dem neuen Gesetz ließen Wochen auf sich warten, noch immer blieb vieles unklar.

„In Ungarn sind viele Gesetze absichtlich vage gehalten. Das eröffnet Interpretationsspielraum in einem Land, in dem die Gewaltenteilung nicht mehr funktioniert“, so der Politikwissenschaftler Tobias Spöri von der Uni Wien zu ORF.at. „Auch das Gesetz 2017 gehörte zu Orbans Kalkül. Die NGOs wurden geschwächt, und Brüssel kann wieder der Einflussnahme beschuldigt werden“. Orbans grundlegendes Narrativ sei die Opferrolle, dass man sich gegen Fremdsteuerung wehren müsse. „Für Orban war die Unterdrückung durch die Sowjetunion eine Tragödie, jene durch die EU eine Komödie, wie er im Oktober sagte“, so Spöri.

Mobilisierung nötig

Bei der jüngsten Wahl 2022 hatte die Opposition weit schlechter abgeschnitten als erwartet. „Dennoch hat Orban seither das Problem, dass ihm viele Wählerinnen und Wähler davonlaufen, auch wegen ökonomischer Missstände, etwa der hohen Inflation. Davon will er ablenken, Stimmung für die Regierung machen. Man will die eigenen Wähler mobilisieren, nicht zuletzt auch wegen der EU-Wahl kommendes Jahr“, so Spöri.

Die Regierung in Budapest brauche die EU-Gelder, aber der Konfrontationskurs mit der EU bringe ihr auch deutliche Vorteile, so Spöri. „Damit sendet Orban nicht nur innenpolitische Signale. Die harte Front gegen EU-Pläne ist auch eine Verhandlungstaktik. Durch das Einstimmigkeitsprinzip in der EU kann er große Vorhaben per Veto blockieren. Das ist auch wiederholt geschehen.“

Nervosität bei NGOs und Medien

Betroffene in Ungarn reagierten ob des neuen NGO-Gesetzes nervös. Sie befürchten, dass FIDESZ einen weiteren Schritt unternimmt, um Gegner zu schwächen. Die Führung von Telex, einem der wenigen verbliebenen unabhängigen Medien Ungarns, gab kürzlich eine öffentliche Warnung heraus. Die Regierung habe „unter dem Deckmantel des Schutzes der Souveränität der kritischen Presse den Krieg erklärt“. Für Menschenrechtsaktivisten ist die neue Gesetzgebung Teil eines langfristigen Prozesses, mit dem Orban seine Macht festige.

„Die Idee der Souveränitätsschutzbehörde passt definitiv in einen Trend“, so Stefania Kapronczay von der NGO Hungarian Civil Liberties Union (HCLU) zum britischen „Guardian“. Die Annahme ausländischer Finanzierung durch politische Parteien sei ja ohnehin verboten. „Unsere begründete Befürchtung ist, dass diese kommende Gesetzgebung in den Strom staatlicher Maßnahmen passen wird, die darauf abzielen, die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Tätigkeit der freien Presse einzuschränken.“

„Kritische Öffentlichkeit verunmöglicht“

Orban habe bereits an vielen verschiedenen Schrauben gedreht, mit dem Resultat, dass der öffentliche Diskurs extrem einseitig sei, so Spöri im Gespräch mit ORF.at. „Eine kritische Öffentlichkeit wurde verunmöglicht. Das gilt nicht nur für Medien, sondern auch für Universitäten, NGOs und die Justiz.“ Die finanzielle Lage kritischer Organisationen werde nun wohl noch prekärer.

„Für kritische Stimmen gibt es de facto kaum Möglichkeiten mehr, im Inland Gelder zu erhalten“, so der Politikwissenschaftler. „Weder durch die öffentliche Hand noch durch Stiftungen. Zudem droht durch das neue Gesetz mehr Überwachung, auch durch die Geheimdienste. Aufgrund dieser widrigen Umstände werden kritische Stimmen noch stärker aus dem Land gedrängt oder mundtot gemacht.“