Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner während einenr Pressekonferenz
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Haushaltskrise

Damoklesschwert über deutscher Koalition

Die deutsche Regierung steckt nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds in einer veritablen Haushaltskrise. Für 2023 wird sie nun wohl nachträglich die Schuldenbremse aussetzen, was aus dem Budget 2024 wird, ist offen – die für Donnerstag anberaumte Schlussrunde des Haushaltsausschusses des Bundestages wurde abgesagt. Die Koalition hat auch eine Woche nach der Karlsruher Entscheidung noch keinen Plan vorgelegt, wie sie auf das Urteil reagieren will.

Das deutsche Verfassungsgericht hatte vergangene Woche eine Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt von 2021 für nichtig erklärt. Diese Kredite waren zur Bewältigung der CoV-Krise genehmigt worden, sollten dann aber nachträglich in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben werden. Mit dem Urteil aus Karlsruhe stehen die Milliarden nun nicht zur Verfügung.

In seinem Urteil erklärte das Verfassungsgericht aber nicht nur die Umwidmung der CoV-Hilfen für grundgesetzwidrig. Zudem entschieden die Richter und Richterinnen auch, dass der Staat Jahre, in denen die Schuldenbremse wegen einer Notlage wie der Pandemie ausgesetzt ist, nicht nutzen dürfe, um Kredite auf Vorrat aufzunehmen.

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
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Das Karlsruher Haushaltsurteil stellt die deutsche Koalition vor grundlegende Probleme

Dilemma mit dem „Doppelwumms“

Genau das hatte aber die Koalition bei der Errichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) getan. Aus dem Fonds, den Kanzler Olaf Scholz (SPD) 2022 als „Doppelwumms“ bezeichnet hatte, wurden die Strom- und Gaspreisbremse für Bürger und Bürgerinnen und Firmen finanziert. Die WSF-Mittel von 200 Milliarden Euro wurden im Notlagenjahr 2022 beschafft, aber erst in der Folge ausgegeben. Laut Urteil müssen kreditfinanzierte Ausgaben der Sondervermögen aber in dem Jahr auf die Schuldenobergrenze angerechnet werden, in dem sie kassenwirksam werden.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind nun so viele Fragen offen, dass sich die „Ampelfraktionen“ SPD, Grüne und FDP am Mittwoch im Bundestag darauf einigten, die eigentlich für Donnerstag geplante Sitzung, auf der letzte Details zum Etatentwurf 2024 festgezurrt werden sollten, abzusagen. Damit kann das Budget nicht wie geplant Ende nächster Woche endgültig beschlossen werden.

Auch ohne Haushalt zahlungsfähig

„Unser Ziel ist, den Haushalt zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt zu beraten, um Planungssicherheit zu schaffen“, teilten die Fraktionsführungen gemeinsam mit. Wenn kein Etat für 2024 beschlossen wird, ist die Regierung damit nicht zahlungsunfähig, vielmehr greift die vorläufige Haushaltsführung: Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Das Verfahren kam etwa schon nach Bundestagswahlen zum Einsatz, wenn die neue Regierung in der kurzen Zeit zwischen Koalitionsbildung und Jahreswechsel keinen eigenen Haushalt aufstellen kann.

Beim Haushalt 2023 steht die Regierung vor dem Problem, dass sie Energiehilfen aus dem Krisenfonds WSF anders finanzieren muss. Die Rede ist von einem Betrag in Höhe von 40 Mrd. Euro, der unter anderem für die Gas- und Strompreisbremsen bis Jahresende 2023 ausgegeben wird. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts fehlt die Finanzierungsgrundlage – das hatte das Finanzministerium am Dienstag mit seiner Haushaltssperre für den WSF deutlich gemacht.

Christian Lindner während Bundestagssitzung
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Finanzminister Christian Lindner trat bisher als Bewahrer der Schuldenbremse auf – das könnte sich nun ändern

Schuldenbremse könnte angezogen bleiben

Mehreren Regierungsvertretern zufolge könnte nun für heuer die Schuldenbremse nachträglich ausgesetzt werden. Das wäre das vierte Jahr in Folge, nachdem der Verschuldungsdeckel 2020 bis 2022 zunächst wegen der CoV-Pandemie und dann auch wegen des Ukraine-Krieges angehoben wurde. Die Aussetzung der Schuldenbremse muss per Gesetz vom Bundestag mit Kanzlermehrheit beschlossen und mit einer „außergewöhnlichen Notlage“ begründet werden.

Die Aussetzung der Schuldenbremse solle aber auf eine höhere Neuverschuldung zur Absicherung des Krisenfonds WSF begrenzt werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP), der stets auf Einhaltung der Schuldenbremse gepocht hatte, bliebe dann als Ausflucht, dass die erneute Aussetzung der Schuldenbremse nicht zu einer höheren Gesamtverschuldung des Bundes führe. Es würden nur nicht ausgenutzte Kreditermächtigungen aus dem Jahr 2022 durch neue Kreditbeschlüsse im Jahr 2023 ersetzt.

FDP lässt über Verbleib in Koalition abstimmen

Unterdessen haben parteiinterne Rebellen in der FDP die erforderlichen 500 Unterschriften für eine Mitgliederbefragung über den Verbleib der Partei in der „Ampel“ gesammelt. Das teilte einer der Initiatoren, Matthias Nölke, am Mittwoch mit. Die Initiative folgt auf einen offenen Brief von 26 Landes- und Kommunalpolitikern der FDP, die nach den schlechten Wahlergebnissen in Hessen und Bayern gefordert hatten, die FDP müsse ihre Koalitionspartner überdenken.

Der Fragetext solle lauten: „Soll die FDP die Koalition mit SPD und Grünen als Teil der Bundesregierung beenden?“ Als Antwortmöglichkeiten sind Ja und Nein vorgesehen. Der Bundesvorstand muss nach der Satzung der FDP über die Art des Abstimmungsverfahrens entscheiden, das auch online möglich ist – das Ergebnis ist nicht bindend. Allerdings gilt die Abstimmung als Stimmungsbild und könnte angesichts der Krise nach dem Haushaltsurteil an Brisanz gewinnen. Einem Regierungssprecher zufolge wackelt die Koalition aber nicht.

Ein Plakat mit der Aufschrift „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen hängt über dem Eingang zum Bundesfinanzministerium
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Die Werbekampagne zum Bundeshaushalt 2024 wurde inzwischen verhüllt

CDU und CSU schließen eine Änderung an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse aus – sie sei essenziell für eine generationengerechte Haushaltsführung. Fraktionschef Friedrich Merz schlug einen Verzicht auf die Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz und auf ein höheres Bürgergeld vor. „Es geht eben nicht mehr alles“, sagte er in der ARD-Talkshow „Maischberger“. Die Union verlangt von Scholz eine rasche Regierungserklärung zur aktuellen Haushaltskrise. Am Abend zeigte sich Scholz jedenfalls zufrieden mit der Entscheidung, den Budgetabschluss zu verschieben. Die Auswirkungen des Karlsruher Urteils auf den Etat sollten sorgfältig geprüft werden.

Werbeplakat verhüllt

Das Finanzministerium hat unterdessen an seinem Sitz in Berlin eine Spruchtafel, die für den Bundeshaushalt 2024 wirbt, verhüllt. Am Mittwoch war an der Stelle lediglich eine große schwarze Fläche zu sehen – das Plakat mit der Aufschrift „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaushalt“ war mit einem Tuch in Schwarz abgedeckt.