Wolodymyr und Olena Selenskyj bei einer Gedenkzeremonie in Kiew
Reuters/Ukrainian Presidential Press Service
Selenskyj zum Jahrestag

Auf Maidan „erster Sieg“ gegen Russland

Zehn Jahre nach Beginn der proeuropäischen Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew hat die Ukraine an den Mut der damaligen Demonstrantinnen und Demonstranten erinnert. Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Proteste als „ersten Sieg“ gegen Russland.

Auf dem Maidan-Platz im Zentrum Kiews hatten Ende 2013 die proeuropäischen, Monate andauernden Proteste in der Ukraine begonnen. Auslöser war die überraschende Erklärung der ukrainischen Regierung (Kabinett Asarow II) am 21. November 2013, ein mit der Europäischen Union geplantes Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnen zu wollen.

Bei deren Niederschlagung durch die damalige russlandfreundliche Staatsmacht verloren mehr als hundert Menschen ihre Leben. Die Demonstrationen führten drei Monate später zum Sturz der Regierung des kremltreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch.

Als Folge besetzte Russland die Schwarzmeer-Halbinsel Krim und annektierte diese wenig später. Dann brachte Moskau unter dem Deckmantel eines ostukrainischen Separatismus Teile der Gebiete Donezk und Luhansk unter seine Kontrolle. Im Februar 2022 schließlich begann der großangelegte Angriffskrieg, der bis heute andauert.

Tausende Demonstranten am Platz der Unabhängigkeit in Kiew 2013
Reuters/Gleb Garanich
Die Proteste auf dem Kiewer Maidan-Platz führten zum Sturz von Präsident Janukowitsch

Vom „Traum“ zum EU-Beitrittskandidaten

Selenskyj erklärte anlässlich des Jahrestags, die Demonstranten des Maidan-Platzes hätten den „ersten Sieg im heutigen Krieg“ gegen Russland errungen. Dieser sei „ein Sieg über die Gleichgültigkeit“, ein „Sieg des Mutes“ und „der Revolution der Würde“ gewesen.

„Jahr für Jahr, Schritt für Schritt tun wir alles dafür, damit eines Tages im Kreise der Sterne der EU-Flagge auch unser Stern strahlt. Der Stern der Ukraine“, sagte Selenskyj. Aus einem romantischen Traum vor 20 und einem ehrgeizigen Ziel vor zehn Jahren sei heute der reale Kandidatenstatus geworden. Trotz des Krieges werde die Ukraine unweigerlich ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union werden.

Zusammen mit seiner Ehefrau Olena und der moldawischen Präsidentin Maia Sandu gedachte Selenskyj der getöteten Demonstranten und stellte Windlichter an der Gedenkstätte für die „Helden des Maidan“ ab. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hielten sich am Dienstag in Kiew auf.

Michel: Beitrittsverhandlungen kein Selbstläufer

Er wolle mit dem Besuch deutlich machen, dass die EU fest an der Seite der Ukraine stehe, sagte Michel bei seiner Ankunft in Kiew. Man sehe, dass die Ukraine trotz des Krieges hart an der Umsetzung von Reformen für einen EU-Beitritt arbeite. Er sei überzeugt, dass die EU mit der Ukraine sicherer und stärker sein werde.

Gleichzeitig warnte Michel davor, eine schnelle Entscheidung über den Start von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land als Selbstläufer zu sehen. Ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten habe deutlich gemacht, dass sie gerne genau nachdenken würden, bevor im Beitrittsprozess der nächste Schritt beschlossen werde, sagte der Belgier in Kiew vor Journalisten.

„Tag der Würde und Freiheit“

Auch die Europäische Union würdigte die Demonstranten. „Die kalten Winternächte des Euromaidan haben Europa für immer verändert“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf X (Twitter). „Die Zukunft der Ukraine ist in der Europäischen Union“, bekräftigte sie.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bezeichnete den Jahrestag der Maidan-Revolution als „Tag der Würde und Freiheit“. Die Ukraine verteidige im Krieg gegen Russland die europäischen Werte, betonte die Malteserin. „Wir stehen stolz an der Seite der Ukraine, an der Schwelle zu den EU-Beitrittsverhandlungen.“

Die EU-Kommission hatte den Mitgliedsländern am 8. November die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine und dem Nachbarland Moldawien empfohlen, sobald letzte Kriterien erfüllt sind. Ein Beschluss wird auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember erwartet.

Moskau: Vom Ausland unterstützter Putsch

Das russische Präsidialamt bekräftigte zum zehnten Jahrestag der Massenproteste in Kiew seine Sicht der damaligen Ereignisse: Es habe sich um einen aus dem Ausland unterstützten Putsch gehandelt, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Das sei es, was die aktuelle prowestliche Ausrichtung der ukrainischen Regierung erkläre.

„Das derzeitige Regime ist absolut toxisch, wir sehen im Moment keine Optionen für eine Koexistenz mit ihm“, sagte der russische Sonderbotschafter Rodion Miroschnik zudem am Dienstag in Moskau zur Haltung gegenüber der derzeitigen ukrainischen Regierung. Die NATO habe der Ukraine Waffen geliefert, der Westen werde aber früher oder später das Interesse an der Ukraine verlieren. Russland könne der Macht der NATO so lange standhalten, bis seine Ziele erreicht würden.

Bericht über Raketenangriff auf Krankenhaus

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine waren unterdessen auch am Jahrestag Todesopfer zu beklagen: Bei Raketenangriffen auf die östliche Region Donezk wurden nach ukrainischen Angaben zwei Menschen getötet und sechs verletzt. Raketen hätten ein Krankenhaus in der Stadt Selydowe und ein Kohlebergwerk getroffen, teilte Innenminister Ihor Klymenko auf Telegram mit.

Ukraine: Tote nach Raketenangriffen

Bei Raketenangriffen auf die östliche Region Donezk wurden mehrere Menschen getötet oder verletzt. Raketen trafen ein Krankenhaus in der Stadt Selydowe und ein Kohlebergwerk.

„Zwei Gebäude des Krankenhauses wurden beschädigt, sechs Zivilisten wurden verletzt. Unter den Trümmern könnten sich Opfer befinden, die Suchaktionen gehen weiter“, sagte Klymenko. Bei dem Angriff auf das Kohlebergwerk sei ein Arbeiter getötet worden. In Charkiw wurde ein Mensch nach Angaben des örtlichen Gouverneurs getötet.

Wie im letzten Winter erwartet Kiew auch für die kommenden Monate Angriffe auf seine Städte sowie die Infrastruktur für die Energie- und Wärmeversorgung des Landes. Nach den russischen Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur im vergangenen Winter saßen Tausende Menschen lange Zeit in Kälte und Dunkelheit fest. Seitdem hat Kiew mehr Luftabwehrsysteme von seinen westlichen Verbündeten erhalten.

Anhaltende Kämpfe an Dnipro-Front

Russische Marineinfanterie stoppte nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau ein Vordringen ukrainischer Streitkräfte am Ostufer des Dnipro und auf Inseln an der Flussmündung in der Südukraine. Das teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Es veröffentlichte ein Video, in dem Marinesoldaten der 810. Garde-Marineinfanteriebrigade zu sehen sind, wie sie verschiedene Waffen abfeuern. Der Ausgang der Kämpfe ging aus den Aufnahmen nicht hervor.

Die Versuche der Ukraine zur Errichtung eines Brückenkopfs am russisch besetzten Ufer des Dnipro im Süden des Landes seien gescheitert. „Kein Versuch der ukrainischen Streitkräfte einer Landeoperation im Raum Cherson hatte Erfolg“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einer Sitzung ranghoher Militärs.

Seit dem Sommer haben ukrainische Einheiten immer wieder über den Dnipro auf das russisch besetzte Südufer übergesetzt. Seit Wochen halten ukrainische Infanteristen dort trotz andauernder Kämpfe Positionen um die Ortschaft Krynky. Medienberichten zufolge gelingt Kiew dabei die Bereitstellung von Nachschub über den Fluss, allerdings bisher nicht die Lieferung von schwerem Gerät und Panzern, die für eine Ausweitung des Brückenkopfs nötig wären.