Portestierende Familienangehörige von israelischen Hamas-Geiseln
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Feuerpause

Israel stimmt Geiseldeal mit Hamas zu

Die israelische Regierung hat nach mehrstündigen Beratungen in der Nacht auf Mittwoch einer Feuerpause und einem Austausch von Geiseln gegen inhaftierte Palästinenserinnen und Palästinenser zugestimmt, wie das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu in der Nacht auf Mittwoch mitteilte. Sowohl Israel als auch die radikalislamische Hamas versicherten, nach der viertägigen Waffenruhe die Kämpfe fortzusetzen.

„Die israelische Regierung ist entschlossen, alle entführten Personen nach Hause zu bringen. Heute Abend hat die Regierung den Entwurf für die erste Phase der Verwirklichung dieses Ziels gebilligt, wonach mindestens 50 entführte Frauen und Kinder innerhalb von vier Tagen freigelassen werden sollen, während derer die Kämpfe ruhen werden“, heißt es in der Erklärung der Regierung. Die Feuerpause könnte verlängert werden: Für jeden zusätzlichen Tag müsste die Hamas der israelischen Regierung zufolge zehn weitere Geiseln freilassen.

Mittwochfrüh veröffentlichte das israelische Justizministerium eine Liste mit Namen inhaftierter Palästinenser, die für eine Freilassung infrage kämen. Die Liste umfasst 300 Gefangene – die meisten davon sind Medienberichten zufolge männlich. Weitere Details wurden in der Nacht von offizieller israelischer Seite nicht bekanntgegeben, vor allem keine über die Zugeständnisse, die Israel der Hamas gemacht hat. Israelischen Medien zufolge sei allerdings vereinbart worden, dass ab Donnerstag 30 entführte israelische Kinder, acht Mütter und zwölf weitere Frauen freigelassen werden.

der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
EBU/ILIPBC
Netanjahu warb im TV für den Deal mit der Hamas, betonte aber, dass der Krieg nach der Feuerpause nicht zu Ende sein werde

Katar: Rotes Kreuz überwacht Freilassung der Geiseln

Die Hamas bestätigte die Vereinbarung und erklärte, dass Israel 150 inhaftierte Palästinenserinnen und minderjährige Palästinenser aus dem Gefängnis entlassen werde. Der Beginn der Kampfpause werde innerhalb der nächsten 24 Stunden bekanntgegeben, teilte das Außenministerium in Katar Mittwochfrüh mit. Die Waffenruhe bedeute, dass es „keine Angriffe geben wird, keine militärischen Bewegungen, keine Expansion, nichts“, sagte der katarische Staatsminister im Außenministerium, Mohammed al-Chulaifi. Überwacht wird die Freilassung der Geiseln laut Katar vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Nach Angaben der USA sollen „mehr als 50 Geiseln“ freigelassen werden. Wie ein hochrangiger Beamter des Weißen Hauses erklärte, befinden sich unter ihnen drei US-Staatsbürger, darunter ein dreijähriges Kind. Der Beamte sagte zudem, er rechne mit einer Kampfpause an der israelisch-libanesischen Grenze, wo seit Kriegsbeginn die Kämpfe zwischen der proiranischen, mit der Hamas verbündeten Hisbollah-Miliz und Israel zugenommen haben.

Biden begrüßt Abkommen

US-Präsident Joe Biden begrüßte die Vereinbarung und pochte auf die Einhaltung der Abmachung. Er wisse die Zusage zu schätzen, die die israelische Regierung mit der Unterstützung einer verlängerten Feuerpause gemacht habe, damit die Vereinbarung vollständig umgesetzt werden könne. So könne nun zusätzliche humanitäre Hilfe geleistet werde, „um das Leid unschuldiger palästinensischer Familien im Gazastreifen zu lindern“.

Biden bedankte sich bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani für „ihre entscheidende Führungsrolle und ihre Partnerschaft beim Zustandekommen dieser Vereinbarung“. Während der Kampfpause soll laut Katar „eine größere Zahl“ humanitärer Güter in den Gazastreifen gebracht werden, zudem soll die Einfuhr von Treibstoff für humanitäre Zwecke weiter ermöglicht werden. Nach Angaben der Hamas soll der gesamte Gazastreifen, auch der Norden, mit den Gütern versorgt werden.

Ägypten will sich nach Worten von Präsident Sisi weiterhin für „dauerhafte Lösungen“ im Nahost-Konflikt einsetzen. Diese müssten „Gerechtigkeit und Frieden herstellen und dem palästinensischen Volk legitime Rechte garantieren“, teilte Sisi auf X (Twitter) mit. Ägypten war 1979 das erste arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete.

24-stündige Einspruchsfrist vor Höchstgericht

Laut israelischer Regierung können unter anderem Angehörige von Terroropfern innerhalb von 24 Stunden Einspruch beim Obersten Gerichtshof gegen die Freilassung palästinensischer Häftlinge einreichen. Es wird nicht erwartet, dass das Gericht die Entscheidung der Regierung stoppt.

Sechs Krankenhäuser in Israel würden sich bereits auf die Aufnahme der Geiseln vorbereiten, wo sie von der Öffentlichkeit abgeschirmt untersucht und behandelt und mit ihren Familien zusammengeführt werden könnten, so die Zeitung „Haaretz“.

Krieg nach Feuerpause laut Netanjahu nicht zu Ende

Israels Armee griff eigenen Angaben zufolge am Mittwoch erneut Ziele der Hamas im Gazastreifen an. Die Kampfhandlungen im Gazastreifen sollen nach Angaben Netanjahus auch nach der Feuerpause fortgesetzt werden. Der Krieg werde auch nach Umsetzung einer Vereinbarung mit der Hamas weitergehen, „bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“, sagte Netanjahu am Dienstagabend vor der Abstimmung im Kabinett. Zu den Zielen Israels gehörten die Eliminierung der Hamas sowie die Rückkehr aller Geiseln. Zudem dürfe es in Gaza keine Bedrohung für Israel mehr geben.

Für einen Gefangenenaustausch ist seit einer Gesetzesänderung von 2014 die Zustimmung des gesamten Kabinetts notwendig. Dadurch ist eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen nur unter strengen Bedingungen möglich, etwa wenn sie der nationalen Sicherheit dient oder Teil einer außenpolitischen Vereinbarung ist.

Hamas stimmte bereits vor Israel zu

Zuvor hatten Vermittler Katars und Hamas-Führer Ismail Hanija erklärt, ein Abkommen sei in Sicht. Aus Kreisen der Hamas und des ebenfalls an den Angriffen vom 7. Oktober beteiligten Islamischen Dschihad erfuhr die Nachrichtenagentur AFP, dass beide militant-islamistischen Organisationen den Bedingungen für eine Waffenruhe zugestimmt haben.

Auch Biden habe dazu beigetragen, den „Rahmen“ des Abkommens zu verbessern, damit es die Freilassung von „mehr Geiseln zu einem niedrigeren Preis“ umfasse, sagte Netanjahu. Wie das Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete, wird US-Außenminister Antony Blinken Anfang kommender Woche zu Gesprächen nach Israel reisen. Er werde mit israelischen und palästinensischen Vertretern über den Krieg im Gazastreifen sprechen.

Abbas fordert politische Lösung

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der mit der Hamas rivalisierenden Fatah, der im Westjordanland regiert, begrüßte die Vereinbarung. Er hob die Bemühungen Katars und Ägyptens bei der Vermittlung der Vereinbarung hervor und forderte zugleich umfassendere Lösungen für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Er wolle eine längere Waffenruhe und „die Umsetzung einer politischen Lösung, die auf internationaler Legitimität beruht“, hieß es in einer Erklärung seines Beraters Hussein al-Scheich auf einer Onlineplattform.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte mit, dass sie all jenen „zutiefst dankbar“ sei, die „in den vergangenen Wochen auf diplomatischem Wege unermüdlich daran gearbeitet haben, diese Einigung zu erzielen“. Sie rief die „Terrorvereinigung Hamas“ zudem auf, sämtliche Geiseln freizulassen.

WAFA: Tote bei Drohnenangriff im Westjordanland

Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA meldete unterdessen, dass bei einem Drohnenangriff auf Tulkarm im Westjordanland fünf Palästinenser getötet wurden. Weitere Menschen seien verletzt worden. Zudem habe es eine Razzia des israelischen Militärs im Krankenhaus Thabet Thabet gegeben. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Beispielloser Terrorangriff

Der Krieg begann am 7. Oktober mit einem Angriff der Hamas auf Israel, bei dem die Islamisten nach israelischen Angaben 1.200 Menschen töteten und etwa 240 Geiseln nahmen. Israel reagierte mit Luftangriffen und einem Einmarsch in das Palästinensergebiet.

Seitdem sind nach Angaben der palästinensischen Behörden mindestens 13.300 Bewohner des Gazastreifens getötet worden. Nach UNO-Angaben sind zwei Drittel der 2,3 Millionen Menschen in dem dicht besiedelten Küstenstreifen inzwischen obdachlos. Die als katastrophal eingeschätzte humanitäre Lage dort hat international Rufe nach einer Feuerpause lauter werden lassen.