Krankenhausszene
Getty Images/shapecharge
Mehr digital, mehr Kassenstellen

Gesundheitsreform mit Kompromissen

Nach monatelangen Verhandlungen von Bund, Ländern und Sozialversicherung sowie heftigen Auseinandersetzungen mit der Ärztekammer hat Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Mittwoch die Eckpunkte der Gesundheitsreform vorgestellt. Es sollen Hunderte neue Kassenstellen geschaffen und digitale Angebote für Patienten und Patientinnen ausgebaut werden. Bei einigen Punkten konnte sich die Ärztekammer mit ihrem Widerstand durchsetzen.

Österreich habe ein gutes Gesundheitssystem, sagte Rauch, aber hohe Ausgaben für Spitäler stünden vergleichsweise geringen Ausgaben für den niedergelassenen Bereich und Vorsorge gegenüber. Überdurchschnittlich hoch sei auch der Anteil an den Ausgaben, die Patienten privat zu bezahlen haben. Das Gesundheitssystem müsse aber nachhaltig abgesichert werden, denn es sei mit steigenden Kosten und Personalmangel konfrontiert.

Als Grundsatz der Gesundheitsreform nannte Rauch „digital vor ambulant vor stationär“. Allein für den Ausbau der digitalen Patientenversorgung werden 51 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. ELGA soll zu einem volldigitalen Service ausgebaut werden – mit Gesundheitsapps und der Speicherung von Bilddaten. Rauch: „Patienten sollen Befunde und Rezepturen überall digital abrufen können.“ Auch Wahlärzte und -ärztinnen sind künftig verpflichtet, sich an ELGA anzubinden.

Pressekonferenz zur Gesundheitsreform
ORF
Brunner, Nehammer und Rauch (v. l. n. r.) stellten die Reformen im Rahmen des Finanzausgleichs vor

„Kein Vetorecht mehr für Ärztekammer“

Zudem sollen Spitäler entlastet und der niedergelassene Bereich gestärkt werden, und zwar mit zusätzlichen Kassenstellen und mehr Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten. Rund 300 Millionen Euro pro Jahr sollen zusätzlich in den niedergelassenen Bereich fließen, 600 Millionen Euro sind bei Spitalsambulanzen für Strukturreformen vorgesehen.

Bei den Primärversorgungseinheiten gebe es derzeit Dutzende in der Pipeline, so Rauch. Ein „Vetorecht der Ärztekammer gibt es nicht mehr“, sagte der Gesundheitsminister mit Bezug auf Stellenpläne und die Schaffung neuer Ambulatorien. Rauch will mit der Reform schnellere Arzttermine für Patienten ohne notwendiges Ausweichen auf Wahlärzte erreichen.

Zugeständnisse an Ärztekammer

Der Reform waren heftige Auseinandersetzungen zwischen der Ärztekammer und Rauch vorausgegangen. Die Kammer befürchtete, bei Kassenstellen und Gesamtvertrag entmachtet zu werden, und drohte sogar mit der Kündigung des Gesamtvertrags mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Dann hätten Patienten ihre Behandlung zunächst bezahlen und den Ersatz eines Teils der Kosten beantragen müssen.

Auch die geplante Pflicht zur Wirkstoff- statt der Arzneimittelverschreibung sorgte für Widerstand der Ärztekammer. Sie sagte, sie sorge sich um die Sicherheit der Patienten und Patientinnen. Die Wirkstoffpflicht ist in der Reform gefallen. Die geplanten Einschränkungen bei der Gesamtvertragshoheit der Ärzte (samt Einfrieren der Honorare ab 2025 bei Nichteinigung) fielen letztlich ebenfalls weg. Dass die Sozialversicherung künftig Einzelverträge mit Ärzten abschließen kann, wurde gestrichen. Rauch sprach von einem „Kompromiss“.

Unterstützungen im Pflegebereich bleiben

Derzeit werde ein neuer Gesamtvertrag verhandelt, bei dem regionale Spielräume je nach Bundesland möglich sein sollen, so Rauch. Es gebe auch Signale aus der Ärztekammer, dass die Gespräche weit gediehen seien. Zudem soll es einen einheitlichen Leistungskatalog für ganz Österreich geben.

Gesundheitsreform mit Kompromissen

Die Gesundheitsreform sei ein „Kraftakt“ gewesen, hat Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) berichtet. Das zentrale Anliegen sei gewesen, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern, davon sollten aber auch Ärztinnen, Ärzte und andere Gesundheitsberufe profitieren. Die gegenüber der Ärztekammer gemachten Abstriche in einigen Punkten der ursprünglich geplanten Reform verteidigte Rauch als Kompromiss und betonte, dass „jedes Vetorecht der Ärztekammer gefallen“ sei. Dieses sei antiquiert gewesen und habe zu Blockaden geführt.

Zusätzliche Mittel sollen in die Vorsorge fließen und Impfprogramme für Erwachsene ausgebaut werden. Im Pflegebereich sollen die Gehaltserhöhungen, Unterstützungen für Auszubildende und die Förderung der 24-Stunden-Betreuung weitergeführt werden. Projekte wie das „Community-Nursing“ sollen bleiben. Für alle diese Vorhaben stehen in den kommenden fünf Jahren im Schnitt jährlich 2,8 Milliarden Euro zur Verfügung.

1,1 Milliarden Euro für Zukunftsfonds

Die Gesundheitsreform ist Teil des zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verhandelten Finanzausgleichs, bei dem 2,4 Milliarden Euro mehr verteilt werden sollen – in Verbindung mit Reformen. Gemeinsam mit Zahlungen an die Sozialversicherung und für die Pflegereform sind es insgesamt 3,4 Milliarden Euro. Die Gesundheitsreform soll nach der Abstimmung im Parlament Mitte Dezember bereits ab 1. Jänner 2024 gelten.

Finanzausgleich im Ministerrat beschlossen

Der zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ausgehandelte Finanzausgleich zur Verteilung von Steuermitteln für die kommenden fünf Jahre ist im Ministerrat beschlossen worden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach von einem „Pakt für die Zukunft“ mit „großem Reformcharakter“. Mit dem Finanzausgleich verknüpft ist eine umfassende Gesundheitsreform. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hob den mit 1,1 Milliarden Euro dotierten Zukunftsfonds als neues Instrument hervor, mit dem Kinderbetreuung, Sanierung und der Ausbau erneuerbarer Energie unterstützt werden sollen. Brunner: „Wenn das vorgegebene Ziel nachweislich erreicht wurde, können die Mittel auch für andere Bereiche verwendet werden.“ Halten die Länder Zielvereinbarungen nicht ein, drohen allerdings auch keine Sanktionen.

Neben dem Gesundheitsbereich setzte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation der Einigung am Mittwoch im Ministerrat vor allem auf den Ausbau der Kinderbetreuung, das Teil des Zukunftsfonds sei.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hob den mit 1,1 Milliarden Euro dotierten Zukunftsfonds als neues Instrument hervor, mit dem Kinderbetreuung, Sanierung und der Ausbau erneuerbarer Energie unterstützt werden sollen. Brunner: „Wenn das vorgegebene Ziel nachweislich erreicht wurde, können die Mittel auch für andere Bereiche verwendet werden.“ Halten die Länder Zielvereinbarungen nicht ein, drohen allerdings auch keine Sanktionen.

Ärztekammer zufrieden, ÖGK mit Kritik

Die Ärztekammer, die sich letztlich in einigen Punkten mit ihrem Widerstand gegen die Gesundheitsreform durchgesetzt hat, sah ein „brauchbares“, „gutes“ Ergebnis. Die Ärztevertretung äußerte aber auch „noch Gesprächsbedarf“, etwa bei den ärztlichen Stellenplänen. Kritik kam von der ÖGK: Ein einheitlicher Gesamtvertrag und einheitliche Leistungen seien „auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben“ worden.

SPÖ und NEOS vermissen große Reformen

SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher sah „durchaus Schritte in die richtige Richtung“, wenngleich „die Schritte allesamt viel zu klein sind“.

NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler ortete ebenfalls einen Finanzausgleich ohne weitreichende Reformen im Gesundheitssystem.