Demonstration zur Geiselbefreiung in Tel Aviv
Reuters/Ronen Zvulun
Wer, wann und wie

Offene Fragen zu Geiseldeal

Israelische Geiseln gegen palästinensische Gefangene und eine viertägige Feuerpause: Darauf haben sich Israel und die radikalislamische Hamas in der Nacht auf Mittwoch geeinigt. Zum von Katar, Ägypten und den USA vermittelten Abkommen sind allerdings noch einige Fragen offen. Unklar ist, wer freigelassen wird, wann die Feuerpause beginnt und ob eine Verlängerung samt weiteren Freilassungen wahrscheinlich ist.

In einer ersten Phase sollen 50 der etwa 240 Geiseln schrittweise von der Hamas im Gazastreifen freigelassen werden, wie israelische Medien berichteten. Im Gegenzug wolle Israel 150 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen entlassen. Alle Betroffenen würden innerhalb von vier Tagen schrittweise freigelassen, pro Tag mindestens zehn Geiseln.

Für den gesamten Austausch von bis zu 300 palästinensischen Häftlingen gegen bis zu 100 Geiseln aus Israel sind maximal zehn Tage vorgesehen, berichtete die Times of Israel unter Berufung auf einen von der israelischen Regierung veröffentlichten Kabinettsbeschluss. Für jeden zusätzlichen Tag, um den die Feuerpause verlängert werde, müsste die Hamas der israelischen Regierung zufolge zehn weitere Geiseln freilassen.

Israel stimmt Feuerpause zu

Die israelische Regierung hat nach mehrstündigen Beratungen in der Nacht auf Mittwoch einer Feuerpause und einem Austausch von Geiseln gegen inhaftierte Palästinenserinnen und Palästinenser zugestimmt, wie das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu in der Nacht auf Mittwoch mitteilte.

Die israelische Nachrichtenseite Ynet meldete zudem, Israel dürfe der Vereinbarung zufolge die Namen der 100 Geiseln, die freikommen sollen, an die Hamas übermitteln. Teil des Deals soll auch sein, dass entführte Mütter und Kinder bei der Freilassung nicht voneinander getrennt werden.

In einer zweiten Phase sollen laut Times of Israel bis zu 150 weitere palästinensische Inhaftierte aus israelischen Gefängnissen freikommen – wenn im Gegenzug wieder bis zu 50 Geiseln nach Israel gebracht würden. Es müssten auch dabei jeweils wieder mindestens zehn Entführte pro Schritt freigelassen werden. Für zehn freigelassene Entführte gibt es laut Bericht dann jeweils wieder eine zusätzliche Feuerpause von 24 Stunden.

Israel veröffentlicht Liste mit 300 Palästinensern

Israels Justizministerium veröffentliche zuvor eine Liste mit Namen von insgesamt 300 Palästinensern, die für eine Freilassung infrage kommen. 287 der 300 inhaftierten Palästinenser seien männliche Jugendliche bis 18 Jahre, meldete die Onlinezeitung Times Of Israel.

Die meisten sollen wegen Aufruhrs und Steinwürfen im Westjordanland oder Ostjerusalem inhaftiert worden sein. Bei 13 weiteren Häftlingen handelt es sich dem Bericht zufolge um Frauen, die überwiegend wegen Messerattacken verurteilt wurden. Israelische Medien hatten zuvor berichtet, dass keine Häftlinge freigelassen würden, die wegen Mordes im Gefängnis sitzen.

Roupetz (ORF) zur Feuerpause

ORF-Korrespondentin Sophie Roupetz meldet sich aus Tel Aviv und spricht über Hintergründe und Bedingungen des Deals zur Feuerpause und der Freilassung der Geiseln.

Israel: 24-stündige Einspruchsfrist vor Höchstgericht

Der Beginn der Feuerpause soll nach Angaben des Emirats Katar innerhalb der nächsten 24 Stunden bekanntgegeben werden. In Israel wird erwartet, dass die schrittweise Freilassung der 50 Geiseln am Donnerstag beginnen könnte, wie etwa Außenminister Eli Kohen im Armeeradio sagte. Die Hamas kündigte Times of Israel zufolge an, dass die Feuerpause am Donnerstag um 10.00 Uhr (Ortszeit) beginnen werde.

Laut israelischer Regierung können unter anderen Angehörige von Terroropfern innerhalb von 24 Stunden Einspruch beim Obersten Gerichtshof gegen die Freilassung palästinensischer Häftlinge einreichen. Es wird nicht erwartet, dass das Gericht die Entscheidung der Regierung stoppt.

Sorge vor Neuaufstellung der Hamas

Alle Geiseln sollen die israelische Staatsbürgerschaft haben oder Einwohnerinnen bzw. Einwohner des Landes sein. In Israel gibt es Befürchtungen, dass die Hamas die Feuerpause nutzen könnte, um sich neu aufzustellen. Laut dem Sender Channel 12 sind israelische Krankenhäuser auf die Ankunft der Entführten vorbereitet. Sie sollen aus Gaza über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten und von dort mit Hubschraubern nach Israel gebracht werden.

Für einen Gefangenenaustausch ist seit einer Gesetzesänderung von 2014 die Zustimmung des gesamten israelischen Kabinetts notwendig. Dadurch ist eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen nur unter strengen Bedingungen möglich, etwa wenn sie der nationalen Sicherheit dient oder Teil einer außenpolitischen Vereinbarung ist.

Katar: Mehr Hilfskonvois für Gazastreifen

Den Angaben aus Katar zufolge sieht die Vereinbarung über eine „humanitäre Pause“ außerdem vor, dass eine „größere Zahl“ an Hilfskonvois sowie weiterer Treibstoff in den Gazastreifen geliefert werden. Überwacht wird die Freilassung der Geiseln laut Katar vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Eine offizielle Bestätigung Israels zu einigen Punkten der Vereinbarung stand aus.

Die Außenminister aus Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien begrüßten die Vereinbarung über einen vorübergehenden Waffenstillstand, forderten aber eine Verlängerung. Zudem solle die Vereinbarung zu einer Wiederaufnahme der Gespräche über eine Zweistaatenlösung führen.

Netanjahu will Krieg fortführen

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu betonte, der Krieg im Gazastreifen werde anschließend fortgeführt, „bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“. Dazu gehörten die Eliminierung der Hamas, die Rückkehr aller Geiseln und Vermissten sowie die Garantie, dass aus Gaza keine Bedrohung für Israel mehr ausgeht. Die Hamas sprach ebenfalls davon, die Hände „weiter am Abzug“ zu haben. Israels Armee griff eigenen Angaben zufolge am Mittwoch erneut Ziele der Hamas im Gazastreifen an.

der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
EBU/ILIPBC
Netanjahu warb im TV für den Deal mit der Hamas, betonte aber, dass der Krieg nach der Feuerpause nicht zu Ende sein werde

Biden begrüßt Abkommen

US-Präsident Joe Biden begrüßte die Vereinbarung und pochte auf die Einhaltung der Abmachung. Biden bedankte sich bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani für „ihre entscheidende Führungsrolle und ihre Partnerschaft beim Zustandekommen dieser Vereinbarung“. Ägypten will sich nach Worten Sisis weiterhin für „dauerhafte Lösungen“ im Nahost-Konflikt einsetzen.

„Wir sind sehr froh, dass eine teilweise Freilassung bevorsteht“, erklärte die Betroffenenorganisation Forum der Familien der Geiseln und Vermissten am Mittwoch. „Bisher wissen wir nicht, wer genau freigelassen wird“, hieß es weiter.

Abbas fordert politische Lösung

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der mit der Hamas rivalisierenden Fatah, der im Westjordanland regiert, hob die Bemühungen Katars und Ägyptens bei der Vermittlung der Vereinbarung hervor und forderte zugleich umfassendere Lösungen für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Er wolle eine längere Waffenruhe und „die Umsetzung einer politischen Lösung, die auf internationaler Legitimität beruht“, hieß es in einer Erklärung seines Beraters Hussein al-Scheich auf einer Onlineplattform.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte mit, dass sie all jenen „zutiefst dankbar“ sei, die „in den vergangenen Wochen auf diplomatischem Wege unermüdlich daran gearbeitet haben, diese Einigung zu erzielen“. Sie rief die „Terrorvereinigung Hamas“ zudem auf, sämtliche Geiseln freizulassen.

„Wegen Kriegen leidet man, aber hier sind wir über Kriege hinausgegangen: Dies ist kein Krieg, es ist Terrorismus. Bitte lasst uns für den Frieden beten!“, sagte Papst Franziskus vor den Teilnehmern der Generalaudienz in der Audienzhalle Paul VI. im Vatikan am Mittwoch.

Bisher vier Geiseln von Hamas freigelassen

Terroristen der Hamas und anderer Gruppierungen hatten vor rund sechs Wochen im Süden von Israel beispiellose Massaker verübt, rund 1.200 Menschen getötet und etwa 240 Geiseln nach Gaza verschleppt. Israels Militär flog als Reaktion darauf Luftangriffe auf den Gazastreifen und rückte mit Bodentruppen in die abgeriegelte Region ein. Seitdem sind nach Angaben der palästinensischen Behörden mindestens 13.300 Bewohner des Gazastreifens getötet worden.

Nach UNO-Angaben sind zwei Drittel der 2,3 Millionen Menschen in dem dicht besiedelten Küstenstreifen inzwischen obdachlos. Die als katastrophal eingeschätzte humanitäre Lage dort hat international Rufe nach einer Feuerpause lauter werden lassen. Von den 240 Verschleppten wurden bislang vier weibliche Geiseln von der Hamas freigelassen. Eine junge Soldatin konnte vom Militär befreit werden. Die Armee fand zudem die Leichen zweier Frauen. Wie viele insgesamt noch am Leben sind, ist unklar.