Christian Pilnacek
ORF.at/Lukas Krummholz
Untersuchung kommt

Pilnacek-Audio sorgt weiter für Turbulenzen

Die am Vortag publik gewordenen Tonaufnahmen des vor Kurzem verstorbenen Justizsektionschefs Christian Pilnacek haben am Mittwoch weiter für Turbulenzen gesorgt. Die Opposition forderte gesammelt den Rückzug von Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) – während Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) diesen verteidigte. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) kündigte eine Untersuchungskommission an, die schweren Vorwürfe sollten umfassend aufgeklärt werden, hieß es. Am Mittwochabend wurde eine Sonderpräsidiale einberufen – Details dazu will Sobotka am Donnerstag mitteilen.

Zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der Parlamentsfraktionen hätten die Mitglieder des Präsidiums „in einer sachlichen Atmosphäre“ ihre Standpunkte zu den gegen Sobotka erhobenen Vorwürfe erörtert, teilte die Parlamentskorrespondenz am Abend per Aussendung mit. Sobotka werde sich den Angaben zufolge zu Beginn der am Donnerstag anstehenden Plenarsitzung erklären.

Pilnacek, einst mächtigster Mann im Justizministerium, ist auf der heimlichen Aufnahme bei einer abendlichen Runde mit Bekannten in einem Wiener Innenstadtlokal Ende Juli zu hören, in der er sagt, die ÖVP habe verlangt, dass er Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen abdrehe, was er stets alles abgewehrt habe. Namentlich nannte er unter anderen Sobotka, dem ORF liegt ein etwa zehnminütiger Mitschnitt vor.

„Genug ist genug“

Von der Opposition hagelte es Rücktrittsaufforderungen an Sobotka. Der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Philip Kucher sagte im Parlament, Sobotka müsse wissen, was zu tun sei, um Schaden von der Republik abzuwenden. Das Amt werde durch ihn beschädigt: „Genug ist genug.“ Zu Wort meldete sich auch der einstige SPÖ-Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss, Kai Jan Krainer: Er forderte Sobotka ein weiteres Mal auf, das Amt zurückzulegen.

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sprach im Parlament von einer ganzen Kette von schwerwiegenden Verfehlungen, die mit dem Nationalratspräsidenten im Zusammenhang stünden. Der zweithöchste Mann der Republik stehe im Verdacht, die Institutionen zum Durchsetzen parteipolitischer Machtinteressen zu missbrauchen, und dann fehlten ihm noch Horizont und Anstand zu wissen, was notwendig wäre.

Opposition gegen U-Ausschuss

Ein von Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer ins Spiel gebrachter U-Ausschuss ist dagegen nicht realistisch – sowohl NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger als auch Krainer sprachen sich dagegen aus. FPÖ-Obmann Herbert Kickl warf Voglauer vor, die Verantwortung hin zur Opposition zu verschieben. Er appellierte an die „verantwortungsbewussten Kräfte innerhalb der ÖVP“, Sobotka dazu zu bringen, sein Amt niederzulegen.

Nicht ganz nachvollziehen konnte Meinl-Reisinger die Verteidigungslinie der ÖVP, wonach Pilnacek bei seiner Befragung im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss Interventionen in Abrede gestellt habe. Der ehemalige Sektionschef habe dabei lediglich eigene Interventionen verneint, so Meinl-Reisinger bei einer Pressekonferenz. Bezüglich solcher Versuche ihm gegenüber habe er sich dagegen der Aussage entschlagen.

SPÖ und FPÖ sehen Van der Bellen in der Pflicht

Auch Kickl und FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sehen keinen Widerspruch zwischen Pilnaceks Aussagen in der Aufnahme und im „Ibiza“-U-Ausschuss. Krainer wiederum sah auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Pflicht. Es sei „an der Zeit, dass der erste Mann im Staat hier Wort ergreift, denn es kann ihm ja nicht egal sein, wer der Mann hinter ihm ist“.

Eine Stellungnahme Van der Bellens forderte auch Kickl ein. In einer „demokratischen Notwehraktion“ will er die Klubobleute der anderen Parlamentsfraktionen – SPÖ, NEOS und Grüne – außerdem dazu einladen, gemeinsam beim Bundespräsidenten vorstellig zu werden, um ihm die „Dramatik der Situation“ darzulegen. Kickl sagte, es sei außerdem davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen werde, gehe es doch um „Anstiftung zum Machtmissbrauch“.

Kommission soll untersuchen

Zugleich mit der Oppositionskritik kam die Ankündigung von Justizministerin Zadic, eine U-Kommission einzusetzen. „In den medial verbreiteten Tonbandaufnahmen werden schwere Vorwürfe erhoben“, so Zadic dazu am Mittwoch. „Diese zeigen klar, dass es eine von der Politik unabhängige Generalstaatsanwaltschaft braucht, an deren Spitze drei unabhängige Expertinnen gemeinsam entscheiden. Mehrere Köpfe – auf die sich die Macht verteilt – sind der beste Schutz gegen eine erfolgreiche politische Einflussnahme auf die Justiz.“

Zadic kündigt Untersuchungskommission an

Nach den am Vortag aufgetauchten Tonaufnahmen des vor Kurzem verstorbenen Justizsektionschefs Christian Pilnacek will Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eine Untersuchungskommission einrichten. Nach den schweren Vorwürfen habe sie ihr Ministerium damit beauftragt, für umfassende Aufklärung zu sorgen, hieß es in einem Statement. Zuvor hatte ÖVP-Chef Karl Nehammer den in die Kritik geratenen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) verteidigt.

Ähnliche Gremien wie jene vom Justizministerium nun angekündigte Untersuchungskommission wurden bereits nach dem Terroranschlag in Wien und zur Hypo Alpe Adria eingerichtet.

NEOS begrüßen Ankündigung

Meinl-Reisinger hatte sich bei einer Pressekonferenz bereits vorab für eine Einsetzung einer Untersuchungskommission im Justizministerium ausgesprochen, etwa unter Vorsitz einer Person wie der ehemaligen OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Abgeordneten Irmgard Griss und nach dem Vorbild jener Kommission nach dem Terroranschlag in Wien, wie sie sagte. Gleichzeitig brauche es eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft.

FPÖ-Chef Kickl konnte mit der angekündigten Untersuchungskommission unterdessen wenig anfangen: Auf Nachfrage hielt er diese für „nichts anderes als eine Überschrift“, es gebe derzeit keinerlei Information dazu.

Rauch: „Ich hätte den Hut genommen“

„Wäre ich in der Situation von Sobotka, ich hätte meinen Hut genommen. Ich habe einen klaren moralischen Kompass“, zitiert unterdessen die „Kleine Zeitung“ (Onlineausgabe) am Mittwochabend Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Im Pressefoyer verwies Rauch zuvor darauf, dass seine Parteikollegin Zadic die „Garantin“ dafür sei, dass Dinge aufgeklärt werden – „in aller Ruhe, in aller Sorgfalt, in aller Deutlichkeit“.

Generalsekretärin Voglauer hatte am Dienstag auch gemeint, sie an Sobotkas Stelle hätte auch angesichts früherer Vorwürfe „schon längst den Hut genommen, um das Ansehen dieses hohen Amtes zu schützen“.

Bürger (ORF) zu Causa Pilnacek

Hans Bürger (ORF) ist zu Gast im Studio und spricht über die Causa Pilnacek. Er erklärt unter anderem, wie sehr die politische Beziehung zwischen ÖVP und Grünen nunmehr belastet ist.

In einer schriftlichen Stellungnahme schrieb sie: „Was das Tonband wieder einmal aufbringt, ist, dass es früher offensichtlich ein Problem gegeben hat“, konkret nämlich, „dass es immer wieder die Versuche gegeben hat, dass man Einfluss auf die Justiz nimmt“. Das gehe, wie das auch in der Aufnahme angedeutet werde, mindestens ein Jahrzehnt zurück. „Das ist nichts Neues“, so Voglauer, aber: „Allein der Eindruck, dass das so gewesen sein könnte, ist Gift für eine Demokratie.“

Nehammer: „Sobotka hat mein Vertrauen“

Zugleich hatte sich ÖVP-Chef Nehammer am Mittwoch vor Sobotka gestellt: „Sobotka hat mein Vertrauen.“ Er ortete am Tag nach Bekanntwerden der Aussagen „einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“. „Ich muss ganz offen sagen, dass ich es persönlich mehr als pietätlos finde, was hier gerade passiert“, sagte der ÖVP-Chef im Pressefoyer nach dem Ministerrat. „Um Politik zu machen, wird die Totenruhe gestört.“ Das warf der Bundeskanzler auch Journalistinnen und Journalisten vor: „Sie würden mir die Frage nicht stellen, würden Sie die Totenruhe nicht stören.“

Pilnacek könne sich nicht mehr dazu äußern, sagte Nehammer, das sei „moralisch nicht vertretbar“. Er werde sich daher nicht an dieser Diskussion beteiligen. Auch der ÖVP-Chef verwies wie schon sein Generalsekretär Christian Stocker tags zuvor darauf, dass Pilnacek in Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht klar gesagt habe, dass es keine Interventionen gegeben habe.

Nehammer: „Sobotka hat mein Vertrauen“

„Sobotka hat mein Vertrauen“, hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Ministerrat gesagt. Auch er sprach von einem „Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“, das sei moralisch nicht vertretbar.

Überhaupt sah Stocker „aufgewärmte Vorwürfe“, um politisches Kleingeld zu wechseln – „am Rücken eines Menschen, der sich nicht mehr wehren kann“.

ÖVP bringt Petzner ins Spiel, dieser wehrt sich

Fragen zu möglichen Hintermännern der heimlichen Aufnahme stellte Stocker unterdessen in einer Pressekonferenz und brachte auch einen Namen ins Spiel: jenen des früheren BZÖ-Politikers Stefan Petzner, der Verbindungen zur FPÖ habe. Petzner hatte in einem Interview auf oe24.tv am 6. November 2022 gesagt: „Auf den Wolfgang Sobotka kommt noch einiges zu, er weiß es nur noch nicht.“ Laut Stocker würden sich angesichts dieser Aussagen einige Fragen ergeben, „die beantwortet werden müssen“.

Beschuldigen wollte Stocker laut eigener Aussage Petzner nicht. „Ich unterstelle überhaupt nichts, aber ich stelle Fragen“, meinte er auf Nachfrage. Die Aussage des nunmehrigen Politberaters sei zudem vor dem angeblichen Aufnahmedatum des Tonbandmitschnitts mit Pilnacek erfolgt. Die Frage sei also, welche Informationen Petzner hatte und von wem. „Das sind Fragen, die man stellen muss. Stefan Petzner wird sie beantworten müssen aus meiner Sicht“, so der ÖVP-Generalsekretär.

Petzner will die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Wie er die APA wissen ließ, prüfen seine Anwälte eine Klage wegen Kredit- und Rufschädigung gegen den ÖVP-Generalsekretär. Zudem verlangt Petzner eine Gegendarstellung von Stocker.