Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament in Wien am Donnerstag, 23. November 2023
APA/Roland Schlager
Pilnacek-Audio

Sobotka schließt Rückzug aus

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) lehnt den von der Opposition geschlossen geforderten Rückzug von seinem Amt nach Bekanntwerden des Pilnacek-Tonmitschnitts ab. Das teilte er in einer Erklärung mit, die er Donnerstagvormittag im Nationalrat abgab. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe würden „in keinster Weise der Wahrheit“ entsprechen. Die Opposition erneuerte ihre Kritik. Und die Staatsanwaltschaft prüft von Amts wegen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.

Sobotka verwies auf seine Aussagen im U-Ausschuss, dass er nie mit dem damaligen Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, über laufende Verfahren gesprochen habe. Auch Pilnacek habe das damals im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht so bestätigt. Sobotka sprach von einer illegal zustande gekommenen Audioaufnahme.

Dass es in den vergangenen Tagen zu Diskussionen über das Amt des Nationalratspräsidenten gekommen sei, bedaure er zutiefst. Er werde sein Amt weiter „nach den gesetzlichen Vorschriften und nach bestem Wissen und Gewissen ausüben“. Konstruktive und wertschätzende Zusammenarbeit sei für ihn von zentraler Bedeutung, so Sobotka, dessen Amtsführung in der Vergangenheit immer wieder vor allem von der Opposition kritisiert wurde.

Sobotka weist Forderung nach Rückzug von sich

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat in einer Erklärung im Nationalrat einen Rückzug von seinem Amt abgelehnt. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe würden „in keiner Weise der Wahrheit“ entsprechen.

Grüne: Hätten an Sobotkas Stelle Hut genommen

Nicht ganz verständlich ist Sobotkas Haltung für den Koalitionspartner. Die stellvertretende Klubchefin der Grünen, Meri Disoski, sagte in einem Redebeitrag, ihre Partei habe schon mehrfach „sehr unmissverständlich“ festgehalten, dass man an Sobotkas Stelle den Hut gezogen hätte. Dass er im Amt bleibe, halte sie für einen Fehler. Die Grünen sähen es als ihre Aufgabe, für Transparenz und Aufklärung zu sorgen – an dieser Stelle verwies Disoski auf die von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eingesetzte U-Kommission.

FPÖ mit „Sobotka muss weg“-Tafeln

Dass Sobotka bleibt, kritisierte einmal mehr die Opposition, die FPÖ drückte ihren Rücktrittswunsch an Sobotka mit Tafeln aus. Das Schild „Sobotka muss weg“ hielt neben anderen sogar der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) in der Hand. FPÖ-Chef Herbert Kickl nannte die Erklärung des Nationalratspräsidenten „völlig daneben“ und einen Missbrauch des Parlaments. Er legte Sobotka ebenso den Rücktritt nahe. Von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, den Grünen und SPÖ-Chef Andreas Babler forderte er Äußerungen zu den Vorfällen.

SPÖ warnt vor Vertrauensverlust

Sobotka könne die Vorwürfe nicht einfach mit einer kurzen Klarstellung vom Tisch wischen, sei er als Nationalratspräsident doch das Aushängeschild des Hohen Hauses, meinte auch die stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Eva Maria Holzleitner. Sie warnte, dass das Vertrauen der Menschen in die Institution verloren gehe, und legte Sobotka nahe, darüber nachzudenken, ob er nicht besser zurücktreten solle.

Als unwürdig bezeichnete der NEOS-Abgeordnete Michael Bernhard die Reaktionen vor allem von FPÖ und ÖVP. Die Menschen würden erwarten, dass gearbeitet und nicht nur gestritten werde.

Tonbandmitschnitt belastet ÖVP

Die am Dienstag publik gewordenen Tonaufnahmen des vor Kurzem verstorbenen Pilnacek sorgen seit der Veröffentlichung des Mitschnitts eines Gesprächs für Turbulenzen. Pilnacek, einst mächtigster Mann im Justizministerium, ist auf der heimlichen Aufnahme bei einer abendlichen Runde mit Bekannten in einem Wiener Innenstadtlokal Ende Juli zu hören, in der er sagt, die ÖVP habe verlangt, dass er Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen verhindere, was er stets alles abgewehrt habe. Namentlich nannte er unter anderen Sobotka, dem ORF liegt ein etwa zehnminütiger Mitschnitt vor.

Christian Pilnacek
ORF.at/Roland Winkler
Der Tonmitschnitt von Pilnacek sorgt seit Tagen für Turbulenzen

Staatsanwalt prüft Anfangsverdacht

Die Staatsanwaltschaft Wien teilte am Donnerstag mit, dass sie einen Anfangsverdacht gegen Sobotka wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch prüft. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob überhaupt ein Verfahren eingeleitet werden soll. Auch die mögliche Zuständigkeit soll dabei geklärt werden. Möglich ist etwa, dass auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) den Fall übernehmen könnte. Auch zu weiteren, unbekannten Personen, die auf der Aufnahme zu hören waren, wurde ein Verfahren angelegt.

„Genug ist genug“

Von der Opposition hagelte es bereits am Mittwoch Rücktrittsaufforderungen an Sobotka, die diese am Donnerstag nach der Erklärung Sobotkas bekräftigte. Die ÖVP verteidigte Sobotka weiter. Der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Philip Kucher sagte im Parlament, Sobotka müsse wissen, was zu tun sei, um Schaden von der Republik abzuwenden. Das Amt werde durch ihn beschädigt: „Genug ist genug.“ Zu Wort meldete sich auch der einstige SPÖ-Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss, Kai Jan Krainer: Er forderte Sobotka ein weiteres Mal auf, das Amt zurückzulegen.

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sprach im Parlament von einer ganzen Kette von schwerwiegenden Verfehlungen, die mit dem Nationalratspräsidenten im Zusammenhang stünden. Der zweithöchste Mann der Republik stehe im Verdacht, die Institutionen zum Durchsetzen parteipolitischer Machtinteressen zu missbrauchen, und dann fehlten ihm noch Horizont und Anstand zu wissen, was notwendig wäre.

Opposition gegen U-Ausschuss

Ein von Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer ins Spiel gebrachter U-Ausschuss ist dagegen nicht realistisch – sowohl NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger als auch Krainer sprachen sich dagegen aus. FPÖ-Obmann Herbert Kickl warf Voglauer vor, die Verantwortung hin zur Opposition zu verschieben. Er appellierte an die „verantwortungsbewussten Kräfte innerhalb der ÖVP“, Sobotka dazu zu bringen, sein Amt niederzulegen.

Nicht ganz nachvollziehen konnte Meinl-Reisinger die Verteidigungslinie der ÖVP, wonach Pilnacek bei seiner Befragung im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss Interventionen in Abrede gestellt habe. Der ehemalige Sektionschef habe dabei lediglich eigene Interventionen verneint, so Meinl-Reisinger bei einer Pressekonferenz. Bezüglich solcher Versuche ihm gegenüber habe er sich dagegen der Aussage entschlagen.

SPÖ und FPÖ sehen Van der Bellen in der Pflicht

Auch Kickl und FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sehen keinen Widerspruch zwischen Pilnaceks Aussagen in der Aufnahme und im „Ibiza“-U-Ausschuss. Krainer wiederum sah auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Pflicht. Es sei „an der Zeit, dass der erste Mann im Staat hier Wort ergreift, denn es kann ihm ja nicht egal sein, wer der Mann hinter ihm ist“.

Eine Stellungnahme Van der Bellens forderte auch Kickl ein. In einer „demokratischen Notwehraktion“ will er die Klubobleute der anderen Parlamentsfraktionen – SPÖ, NEOS und Grüne – außerdem dazu einladen, gemeinsam beim Bundespräsidenten vorstellig zu werden, um ihm die „Dramatik der Situation“ darzulegen. Kickl sagte, es sei außerdem davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen werde, gehe es doch um „Anstiftung zum Machtmissbrauch“.

Kommission soll untersuchen

Zugleich mit der Oppositionskritik kam die Ankündigung von Justizministerin Zadic, eine U-Kommission einzusetzen. „In den medial verbreiteten Tonbandaufnahmen werden schwere Vorwürfe erhoben“, so Zadic dazu am Mittwoch. „Diese zeigen klar, dass es eine von der Politik unabhängige Generalstaatsanwaltschaft braucht, an deren Spitze drei unabhängige Expertinnen gemeinsam entscheiden. Mehrere Köpfe – auf die sich die Macht verteilt – sind der beste Schutz gegen eine erfolgreiche politische Einflussnahme auf die Justiz.“

Zadic kündigt Untersuchungskommission an

Nach den am Vortag aufgetauchten Tonaufnahmen des vor Kurzem verstorbenen Justizsektionschefs Christian Pilnacek will Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eine Untersuchungskommission einrichten. Nach den schweren Vorwürfen habe sie ihr Ministerium damit beauftragt, für umfassende Aufklärung zu sorgen, hieß es in einem Statement. Zuvor hatte ÖVP-Chef Karl Nehammer den in die Kritik geratenen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) verteidigt.

Ähnliche Gremien wie jene vom Justizministerium nun angekündigte Untersuchungskommission wurden bereits nach dem Terroranschlag in Wien und zur Hypo Alpe Adria eingerichtet.

NEOS begrüßen Ankündigung

Meinl-Reisinger hatte sich bei einer Pressekonferenz bereits vorab für eine Einsetzung einer Untersuchungskommission im Justizministerium ausgesprochen, etwa unter Vorsitz einer Person wie der ehemaligen OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Abgeordneten Irmgard Griss und nach dem Vorbild jener Kommission nach dem Terroranschlag in Wien, wie sie sagte. Gleichzeitig brauche es eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft.

FPÖ-Chef Kickl konnte mit der angekündigten Untersuchungskommission unterdessen wenig anfangen: Auf Nachfrage hielt er diese für „nichts anderes als eine Überschrift“, es gebe derzeit keinerlei Information dazu.

Rauch: „Ich hätte den Hut genommen“

„Wäre ich in der Situation von Sobotka, ich hätte meinen Hut genommen. Ich habe einen klaren moralischen Kompass“, zitierte unterdessen die „Kleine Zeitung“ (Onlineausgabe) am Mittwochabend Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Im Pressefoyer verwies Rauch zuvor darauf, dass seine Parteikollegin Zadic die „Garantin“ dafür sei, dass Dinge aufgeklärt werden – „in aller Ruhe, in aller Sorgfalt, in aller Deutlichkeit“.

Generalsekretärin Voglauer hatte am Dienstag auch gemeint, sie an Sobotkas Stelle hätte auch angesichts früherer Vorwürfe „schon längst den Hut genommen, um das Ansehen dieses hohen Amtes zu schützen“.

Bürger (ORF) zu Causa Pilnacek

Hans Bürger (ORF) ist zu Gast im Studio und spricht über die Causa Pilnacek. Er erklärt unter anderem, wie sehr die politische Beziehung zwischen ÖVP und Grünen nunmehr belastet ist.

In einer schriftlichen Stellungnahme schrieb sie: „Was das Tonband wieder einmal aufbringt, ist, dass es früher offensichtlich ein Problem gegeben hat“, konkret nämlich, „dass es immer wieder die Versuche gegeben hat, dass man Einfluss auf die Justiz nimmt“. Das gehe, wie das auch in der Aufnahme angedeutet werde, mindestens ein Jahrzehnt zurück. „Das ist nichts Neues“, so Voglauer, aber: „Allein der Eindruck, dass das so gewesen sein könnte, ist Gift für eine Demokratie.“

Nehammer: „Sobotka hat mein Vertrauen“

Zugleich hatte sich ÖVP-Chef Nehammer am Mittwoch vor Sobotka gestellt: „Sobotka hat mein Vertrauen.“ Er ortete am Tag nach Bekanntwerden der Aussagen „einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“. „Ich muss ganz offen sagen, dass ich es persönlich mehr als pietätlos finde, was hier gerade passiert“, sagte der ÖVP-Chef im Pressefoyer nach dem Ministerrat. „Um Politik zu machen, wird die Totenruhe gestört.“ Das warf der Bundeskanzler auch Journalistinnen und Journalisten vor: „Sie würden mir die Frage nicht stellen, würden Sie die Totenruhe nicht stören.“

Pilnacek könne sich nicht mehr dazu äußern, sagte Nehammer, das sei „moralisch nicht vertretbar“. Er werde sich daher nicht an dieser Diskussion beteiligen. Auch der ÖVP-Chef verwies wie schon sein Generalsekretär Christian Stocker tags zuvor darauf, dass Pilnacek in Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht klar gesagt habe, dass es keine Interventionen gegeben habe.

Nehammer: „Sobotka hat mein Vertrauen“

„Sobotka hat mein Vertrauen“, hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Ministerrat gesagt. Auch er sprach von einem „Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“, das sei moralisch nicht vertretbar.

Überhaupt sah Stocker „aufgewärmte Vorwürfe“, um politisches Kleingeld zu wechseln – „am Rücken eines Menschen, der sich nicht mehr wehren kann“.

ÖVP bringt Petzner ins Spiel, dieser wehrt sich

Fragen zu möglichen Hintermännern der heimlichen Aufnahme stellte Stocker unterdessen in einer Pressekonferenz und brachte auch einen Namen ins Spiel: jenen des früheren BZÖ-Politikers Stefan Petzner, der Verbindungen zur FPÖ habe. Petzner hatte in einem Interview auf oe24.tv am 6. November 2022 gesagt: „Auf den Wolfgang Sobotka kommt noch einiges zu, er weiß es nur noch nicht.“ Laut Stocker würden sich angesichts dieser Aussagen einige Fragen ergeben, „die beantwortet werden müssen“.

Beschuldigen wollte Stocker laut eigener Aussage Petzner nicht. „Ich unterstelle überhaupt nichts, aber ich stelle Fragen“, meinte er auf Nachfrage. Die Aussage des nunmehrigen Politberaters sei zudem vor dem angeblichen Aufnahmedatum des Tonbandmitschnitts mit Pilnacek erfolgt. Die Frage sei also, welche Informationen Petzner hatte und von wem. „Das sind Fragen, die man stellen muss. Stefan Petzner wird sie beantworten müssen aus meiner Sicht“, so der ÖVP-Generalsekretär.

Petzner will die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Wie er die APA wissen ließ, prüfen seine Anwälte eine Klage wegen Kredit- und Rufschädigung gegen den ÖVP-Generalsekretär. Zudem verlangt Petzner eine Gegendarstellung von Stocker.