Kinderräder bei einem ukrainischen Gebäude
Reuters/Ueslei Marcelino
Verschlepptes Kind

Spur führt zu Putin-Verbündetem

Seit Monaten führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Moskau werden mehrere Kriegsverbrechen vorgeworfen, darunter auch die Verschleppung ukrainischer Kinder. Gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wurde deshalb bereits ein internationaler Haftbefehl erlassen. Ein vermisstes Kind soll nun bei einem Putin-Verbündeten gefunden worden sein.

Der Chef der Partei Gerechtes Russland, Sergej Mironow, soll nach Angaben der BBC auf den Adoptionspapieren eines Mädchens stehen, das 2022 aus der Ukraine entführt wurde. Das zweijährige Kind, das ursprünglich den Namen Margarita trug, sei eines von 48 Kindern gewesen, die aus einem Kinderheim in Cherson verschwanden, als die russischen Streitkräfte die Kontrolle über die Stadt übernahmen. Das Mädchen war bei der Verschleppung laut BBC zehn Monate alt.

Die Regierung in Kiew geht von 100.000 verschleppten Minderjährigen aus, von denen etwa 20.000 inzwischen identifiziert werden konnten. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) vermutet eine direkte Verantwortung des russischen Präsidenten und eben auch seiner Umgebung für die Kriegsverbrechen. So wurde gegen Putins Kinderbeauftragte Maria Lwowa-Belowa vor wenigen Monaten ebenfalls ein Haftbefehl erlassen.

„Wir hatten Angst“

Die Geschichte von Margarita dürfte nur eine von vielen sein, die sich in den vergangenen eineinhalb Jahren seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine zugetragen hat. Kinder wurden in das von Russland kontrollierte Gebiet gebracht, mit der Absicht, sie permanent aus der Ukraine zu schaffen. Die russische Regierung bestreitet, Minderjährige zu verschleppen, sondern sprach davon, die Kinder umzusiedeln, um sie vor dem Krieg zu schützen.

Wladimir Putin und Sergei Mironow
IMAGO/SNA/Alexey Maishev
Putin zeichnete kürzlich den russischen Politiker Sergej Mironow für dessen Verdienste aus

Im Fall von Margarita arbeitete die BBC nach eigenen Angaben mit einer ukrainischen Ermittlerin zusammen, die für den Strafgerichtshof ein Dossier mit Beweisen zusammentrug. Das Mädchen sei kurz nach der Geburt in das Kinderheim gekommen. Über die Eltern gibt es keine Informationen. Im August 2022 sei Margarita im Spital in Cherson wegen einer Bronchitis behandelt worden. Das Gebiet war zu dem Zeitpunkt von der russischen Armee besetzt, mittlerweile wurde Cherson von der Ukraine zurückerobert.

Kurz nach dem Besuch im Spital musste das damals zehn Monate alte Mädchen zurück in das Kinderheim, das bereits unter neuer Leitung stand. Einen Tag nach der Rückkehr sei das Personal aufgefordert worden, Margarita auf eine Reise vorzubereiten. „Wir hatten Angst, alle hatten Angst“, wird eine Krankenpflegerin des Heims zitiert. Es seien „russische Männer“ gekommen, um das Mädchen abzuholen. „Es war wie in einem Film“, sagte sie gegenüber der BBC.

Mit dem Mitternachtszug nach Russland

Wochen später, im Oktober 2022, sei der russische Abgeordnete Igor Kastjukewitsch in das Kinderheim gekommen, um die Deportation der restlichen Kinder zu organisieren. Kastjukewitsch veröffentlichte auf Telegram ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Kinder in Busse gesetzt wurden, die wegfuhren. „Die Kinder werden in Sicherheit auf die Krim gebracht“, sagte der russische Abgeordnete, der in Militärkleidung erschienen ist und die Deportation als Rettungsmission darstellt. Die Krim wurde von Russland 2014 völkerrechtswidrig annektiert.

Die BBC fand heraus, dass es sich bei der Frau im Krankenhaus um eine Mitarbeiterin des russischen Parlaments handelte. Inna Warlamowa, so der Name der Frau, sei am selben Tag in Cherson angekommen, als die heute Zweijährige aus dem Kinderheim geholt wurde. In der Nacht soll Warlamowa mittels Zugs und zusätzlichen Fahrkarten wieder nach Moskau gereist sein. Dem Medienbericht zufolge wurde Margarita mit dem Zug um Mitternacht von Warlamowa entführt.

Heute soll Margarita unter dem Namen Marina bei Sergej Mironow leben. Auf einem Geburtseintrag für ein 14 Monate altes Kind vom Dezember 2022 wurden als Eltern der Chef der Partei Gerechtes Russland und Warlamowa angegeben, die Mitarbeiterin des russischen Parlaments. Laut BBC hätten die beiden vor wenigen Monaten geheiratet. Der Geburtstag des Kindes sei mit 31. Oktober 2021 angegeben worden – an dem Tag wurde auch Margarita geboren.

Russland sieht Kinder als Bürger Russlands

Gegenüber der BBC erklärte die russische Regierung, dass sie keine Kenntnis von Margaritas Fall habe und ihn deshalb nicht kommentiere. Im März warf der IStGH Putin vor, „unrechtmäßig“ ukrainische Kinder nach Russland zu deportieren. Es bestünden „vernünftige Gründe“ für die Annahme, dass der russische Präsident für die als Kriegsverbrechen einzustufende Verschleppung von Kindern auf russisches Territorium „persönlich verantwortlich“ sei.

Die Verbrechen hätten in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine „mindestens ab dem 24. Februar 2022“ eingesetzt. Putin habe seine zivilen oder militärischen Untergebenen unzureichend kontrolliert, wird der Verdacht begründet. Putins Kinderbeauftragte behauptete kürzlich, dass in Russland keine ukrainischen Kinder adoptiert würden. „Wir haben Vormundschaft und Sorgerecht“, so Lwowa-Belowa. Denn eine Adoption bedeute, dass das Kind vollständig einheimisch wird.

Doch Russland betrachtet große Teile der Ukraine als russisch und die dort lebenden Menschen als Bürger und Bürgerinnen Russlands, dazu zählen auch die Kinder. Gegenüber BBC sagte Moskau, dass es deshalb „falsch“ sei zu sagen, es seien keine Adoptionen möglich. Die anderen Kinder des Heims sollen ebenfalls bei russischen Familien leben.