Grünen-Chef Werner Kogler
APA/Roland Schlager
Pilnacek-Audio

„Kaum Spielraum“ für Grüne im Fall Sobotka

Rücktrittsforderungen, die Prüfung des Anfangsverdachts der Staatsanwaltschaft und Verteidigungshandlungen: Seit Tagen sorgen die Inhalte des heimlich aufgenommenen Audios für Turbulenzen, auf dem der mittlerweile verstorbene einstige Justizsektionschef Christian Pilnacek schwere Vorwürfe gegen die ÖVP und konkret auch gegen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) erhebt. Er und die ÖVP weisen die Vorwürfe zurück, Sobotka schloss einen Rücktritt aus. Und die Grünen? Der Koalitionspartner reagierte relativ zurückhaltend – das hat laut dem Politikwissenschaftler Peter Filzmaier auch einen Grund: Die Grünen hätten hier „keinen Spielraum“.

Das Statement von Grünen-Chef Werner Kogler von Donnerstag gegenüber der ZIB wich kaum von der Wortwahl jener ab, die für die Grünen zur Causa bereits zuletzt Stellung genommen haben: „Ich sehe das wie meine grünen Kolleginnen und Kollegen, und das im Übrigen schon länger. Wir an seiner Stelle hätten den Weg frei gemacht, weil es um das Ansehen und den Schutz eines ganz wichtigen Amtes dieser Republik geht“, so Kogler.

Davor sagte die Vizeklubchefin der Grünen, Meri Disoski, ihre Partei habe schon mehrfach „sehr unmissverständlich“ festgehalten, dass man an Sobotkas Stelle „den Hut gezogen“ hätte. Dass er im Amt bleibe, halte sie für einen Fehler. Die Grünen sähen es als ihre Aufgabe, für Transparenz und Aufklärung zu sorgen – an dieser Stelle verwies Disoski auf die von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) eingesetzte U-Kommission zum Pilnacek-Audio.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
ORF.at/Roland Winkler
Sobotka weist alle Anschuldigungen von sich und schließt einen Rücktritt aus

Pilnacek, einst mächtigster Mann im Justizministerium, ist auf der heimlichen Aufnahme bei einer abendlichen Runde mit Bekannten in einem Wiener Innenstadtlokal Ende Juli zu hören, in der er sagt, die ÖVP habe verlangt, dass er Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen verhindere, was er stets alles abgewehrt habe. Namentlich nannte Pilnacek unter anderen Sobotka, dem ORF liegt ein etwa zehnminütiger Mitschnitt vor.

„Kein Nutzen“ und „keine Logik“

Laut dem Politikwissenschaftler Filzmaier haben die Grünen praktisch kaum Möglichkeiten, in dieser Sache aktiv zu werden. An dieser Stelle erinnerte er gegenüber ORF.at an einen zentralen Umstand: „Nichts und niemand kann Sobotka zwingen zu gehen, nicht einmal die ÖVP selbst“, sagte der Politologe. Bei Nationalratspräsidenten gebe es keinen Misstrauensantrag wie bei Ministern – eine Abberufung ist also nicht möglich.

Es bliebe also den Grünen nur, die Koalition aufzulösen, das hätte aber an dieser Stelle „keine Logik“, so Filzmaier, derzeit werde nicht einmal ermittelt. „Die Regierung an dieser Stelle zu sprengen hätte für die Grünen keinen Nutzen“, meinte der Politologe gegenüber ORF.at. Die von Zadic eingesetzte U-Kommission sieht Filzmaier als „symbolische Handlung“. „Wer die Kommission ist und was sie macht, ist noch überhaupt nicht klar“, so der Experte.

Van der Bellen: „Angelegenheit Sache des Parlaments“

Am Donnerstag äußerte sich erstmals auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Angelegenheit rund um den Nationalratspräsidenten. „Der Bundespräsident respektiert die Institutionen der Republik und wird deshalb niemandem etwas ausrichten. Die Angelegenheit ist Sache des Parlaments“, hieß es in einer Stellungnahme der Hofburg gegenüber dem ORF.

Staatsanwaltschaft prüft Anfangsverdacht

Inzwischen wurden aber auch die Behörden tätig. Die Staatsanwaltschaft Wien prüfe derzeit einen Anfangsverdacht gegen Sobotka wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch, teilte eine Sprecherin am Donnerstag mit.

Es werde geprüft, ob überhaupt ein Verfahren eingeleitet werden soll. Auch die mögliche Zuständigkeit soll geklärt werden. Möglich ist etwa, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) den Fall übernimmt. Auch zu weiteren, unbekannten Personen, die auf der Aufnahme zu hören waren, wurde ein Verfahren angelegt.

Sobotka: „Vorwürfe entsprechen nicht der Wahrheit“

Sobotka selbst wies im Parlament alle Vorwürfe zurück. Am Donnerstag sagte er zum Auftakt der Plenarsitzung, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe „in keinster Weise der Wahrheit“ entsprechen würden. Er verwies auf seine Aussagen im U-Ausschuss, dass er nie mit Pilnacek über laufende Verfahren gesprochen habe. Auch Pilnacek habe das damals im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht so bestätigt. Sobotka sprach von einer illegal zustande gekommenen Audioaufnahme.

Sobotka (ÖVP) weist alle Vorwürfe zurück

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka weist Kritik an ihm zurück. Allfällige Vorwürfe, er habe im Justizministerium interveniert, seien unrichtig. Erhoben hat die Vorwürfe der verstorbene Sektionschef Christian Pilnacek in einem Gespräch im Gasthaus, das ohne sein Wissen aufgezeichnet wurde.

Dass es in den vergangenen Tagen zu Diskussionen über das Amt des Nationalratspräsidenten gekommen sei, bedaure er zutiefst. Er werde sein Amt weiter „nach den gesetzlichen Vorschriften und nach bestem Wissen und Gewissen ausüben“.

FPÖ mit „Sobotka muss weg“-Tafeln

Dass Sobotka bleibt, kritisierte einmal mehr die Opposition, die FPÖ drückte ihren Rücktrittswunsch an Sobotka mit Tafeln aus. Das Schild „Sobotka muss weg“ hielt neben anderen sogar der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) in der Hand. FPÖ-Chef Herbert Kickl nannte die Erklärung des Nationalratspräsidenten „völlig daneben“ und einen Missbrauch des Parlaments. Er legte Sobotka ebenso den Rücktritt nahe.

Norbert Hofer und Herbert Kickl
APA/Roland Schlager
Auch der Dritte Nationalratspräsident Hofer – einer der Stellvertreter Sobotkas – fordert dessen Rücktritt

SPÖ warnt vor Vertrauensverlust

Sobotka könne die Vorwürfe nicht einfach mit einer kurzen Klarstellung vom Tisch wischen, sei er als Nationalratspräsident doch das Aushängeschild des Hohen Hauses, meinte auch die stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Eva Maria Holzleitner. Sie warnte, dass das Vertrauen der Menschen in die Institution verloren gehe, und legte Sobotka nahe, darüber nachzudenken, ob er nicht besser zurücktreten solle.

Als unwürdig bezeichnete NEOS-Abgeordneter Michael Bernhard die Reaktionen vor allem von FPÖ und ÖVP. Die Menschen würden erwarten, dass gearbeitet und nicht nur gestritten werde.

Unternehmer bekennt sich zu Mitschnitt

Unterdessen stellte sich heraus, dass das heimlich aufgenommene Audio von einem Wiener Unternehmer stammt. Der frühere BZÖ-Politiker Christian Mattura räumte ein, der Urheber der Aufnahme zu sein. „Ich habe den Herrn Pilnacek damals aufgenommen“, sagte Mattura am Donnerstag den „Salzburger Nachrichten“ („SN“). Er habe Pilnacek schon länger privat gekannt. „Und als er dann an diesem Abend angefangen hat, über die ÖVP zu reden, habe ich mich dazu hinreißen lassen und habe den Knopf gedrückt. Das gebe ich zu.“ Als Grund für die spätere Weitergabe an Medien nannte Mattura die Aussagen von Sebastian Kurz (ÖVP) vor Gericht. Der Ex-Kanzler habe dort Pilnaceks Tod für sein „Bashing“ gegen die WKStA verwendet.

Auch gegenüber dem ORF äußerte sich Mattura am Donnerstag. Er habe den Mitschnitt veröffentlicht, damit „die Bevölkerung in Wahrheit einmal informiert wird, wie die ÖVP wirklich tickt“, so Mattura zur ZIB1.

Unternehmer nahm Pilnacek auf

Das heimlich aufgenommene Audio, auf dem der mittlerweile verstorbene einstige Justizsektionschef Christian Pilnacek Vorwürfe gegen die ÖVP erhoben hat, stammt von einem Wiener Unternehmer. Der frühere BZÖ-Politiker Christian Mattura nahm im Gespräch mit dem ORF Stellung dazu.

Derweil schoss sich die ÖVP nach Bekanntwerden der Umstände der Aufnahme auf Mattura ein. „Für den Ex-Politiker des ehemaligen FPÖ-Splitters BZÖ, der Pilnacek heimlich aufnahm, darf das nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wir können solche Geheimdienstmethoden, die die politische Kultur in Österreich zerstören, nicht hinnehmen“, teilte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker mit.

Die FPÖ hatte bereits zuvor eine Entschuldigung von ÖVP-Chef Karl Nehammer gefordert, weil dessen Partei versuche, die Urheberschaft bzw. mediale Verbreitung der Tonaufnahme der FPÖ und ihrem Umfeld zuzuschieben.

Staatsanwälte pochen auf Generalstaatsanwaltschaft

Ebenfalls am Donnerstag nutzte die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (StAV) die Gelegenheit, um auf die noch ausstehende Umsetzung des vorliegenden Entwurfs zur Schaffung einer Generalstaatsanwaltschaft aufmerksam zu machen. Diese sei dringend notwendig, „um auch eine klare strukturelle Trennung von Politik und Justiz an der Weisungsspitze zu gewährleisten“.

Ins selbe Horn stieß NEOS. Man forderte die Regierung dringend auf, endlich den Widerstand gegen eine Entpolitisierung der Justiz aufzugeben. „Schon der leiseste Verdacht, dass es sich manche richten können, ist tödlich für eine Demokratie und einen Rechtsstaat“, sagte NEOS-Klubchef Nikolaus Scherak in einer Stellungnahme.

Am nächsten Donnerstag will NEOS daher neuerlich seinen Antrag zur Schaffung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts im Justizausschuss einbringen. Das werde der Lackmustest für die Grünen, die nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe beteuert hätten, „dass ihnen die Schaffung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts ebenso wichtig ist wie uns“, so Scherak, „wenn es ihnen ernst ist, stimmen sie unserem Antrag zu“.

Pilnacek-Obduktion: Kein Fremdverschulden

Abseits der aktuellen Causa liegt seit Donnerstag das Obduktionsergebnis zu Pilnaceks Leichnam vor. Wie die „Kronen Zeitung“ (Onlineausgabe) berichtete, werde Fremdverschulden ausgeschlossen. Von der zuständigen Staatsanwaltschaft Krems in Niederösterreich gab es bisher keine Stellungnahme. Die Leiche des 60-Jährigen war am 20. Oktober bei Krems aufgefunden worden. Von polizeilicher Seite waren die Ermittlungen vom Landeskriminalamt Niederösterreich geführt worden.