Ein Wagen des Roten Kreuz transportiert freigelassene Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Hamas vs. Israel

Erste Geiseln frei

49 Tage nach dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel sind Freitagnachmittag die ersten der etwa 240 aus Israel Entführten im Zuge der Feuerpause wieder frei. Wie in dem international vermittelten Deal zwischen Hamas und Israel vereinbart, wurden gleichzeitig 39 Palästinenser, die wegen Terrorvergehen verurteilt wurden, freigelassen. Stunden zuvor war zur Durchführung der Geiselfreilassung eine Waffenruhe in Kraft getreten.

Zusätzlich zu 13 israelischen Frauen und Kindern – und über die Vereinbarung hinausgehend – wurden auch zehn thailändische und eine philippinische Geisel freigelassen. Das Rote Kreuz bestätigte Stunden, nachdem der Geisel- und Gefangenenaustausch in Gang gesetzt worden war, die Übergabe von 24 Geiseln in Gaza und 39 palästinensischen Häftlingen in Israel.

Die Geiseln wurden vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zum Grenzübergang Rafah zwischen dem südlichen Gazastreifen und Ägypten gebracht. Israelische Sicherheitskräfte nahmen sie auf ägyptischem Boden in Empfang. Mittlerweile befinden sich alle freigelassenen Geiseln in Israel. Sie würden dort medizinisch untersucht, teilten die israelische Armee und der Inlandsgeheimdienst Schin Bet am Freitagabend mit.

Fotostrecke mit 15 Bildern

Medizinisches Personal bei einem Checkpoint an dem freigelassene Geiseln ankommen sollen
APA/AFP/Jack Guez
Medizinisches Personal an einem Checkpoint wartet auf die von der Hamas freigelassenen Geiseln
Militärfahrzeige nahe einem Israelischen Gefängnis, aus dem palästinensische Geiseln entlassen werden sollen
Reuters/Ammar Awad
Im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas lässt Israel palästinensische Gefangene frei
Ein Konvoi mit Lkws mit Hilfsgütern
APA/AFP/Mahmud Hams
Als Teil des Abkommens zur Feuerpause ist auch eine deutliche Ausweitung der humanitären Hilfe vereinbart
Die freigelassenen Geiseln werden von medizinischem Personal betreut
Reuters/Reuters Tv
Die Geiseln wurden von Traumaexperten und Medizinern erwartet, außerdem von Soldaten, die für ihre Sicherheit sorgen sollen
Ein Wagen des Roten Kreuz transportiert freigelassene Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Es ist bereits dunkel, als mehrere Geländewagen des Roten Kreuzes mit Freigelassenen den Grenzübergang Rafah passieren
Freigelassene Geiseln in einem Fahrzeug
Reuters/Reuters Tv
Für einige Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation Hamas endet die Gefangenschaft nach 49 Tagen
Medienvertreter warten auf das Freilassen der Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Journalistinnen und Journalisten und Schaulustige am Grenzübergang Rafah
Lärmabweisende Kopfhörer in einem Militärhubschrauer für die bevorstehende Geiselübergabe
Reuters/Israel Defense Forces
Die Armee hat alles vorbereitet: Helikopter mit speziellen Lärmschutzkopfhörern für die Geiseln
Stofftiere und bunte Polster für die bevorstehende Geiselübergabe
Reuters/Israel Defense Forces
Teddys und Polster: Turnsaal der Militärbasis Chazerim, in der die Kinder und Frauen erstversorgt werden
Außenansicht des israelischen Militärgefängnisses Ofer bei Ramallah
Reuters/Ammar Awad
Das Gefängnis Ofer, von dem aus die palästinensischen Häftlinge, die wegen Beteiligung an Attentaten verurteilt wurden, entlassen werden
Das israelische Militärgefängnis Ofer nahe Ramallah
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Ein Bus des Roten Kreuzes, mit dem die palästinensischen Häftlinge transportiert werden, parkt vor dem israelischen Gefängnis
Israelischer Militärhubschrauber
Reuters/Alexander Ermochenko
Israelischer Helikopter kontrolliert die Grenze zum Gazastreifen
Israelisches Militär vor dem Gefängnis Ofer nahe Ramallah
APA/AFP/Jaafar Ashtiyeh
Israelische Militärfahrzeuge vor dem Gefängnis Ofer
Konvoi von Rettungsfahrzeugen auf dem Weg nach Gaza City
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Ein Konvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz während der Feuerpause
Zwei israelische Soldaten blicken auf einen Militärkonvoi, der Gaza verlassen hat
Reuters/Amir Cohen
Israelische Soldaten schauen auf einen Militärkonvoi, der Gaza verlassen hat

Sie sollten dann in israelische Krankenhäuser gebracht werden und dort ihre Angehörigen treffen, hieß es weiter. Dort warten bereits die Familien auf die Geretteten. Die Frauen werden – soweit es der physische und psychische Zustand erlaubt – vom Geheimdienst befragt. Rund zwei Tage sollen sich die Frauen und Kinder, die nach den Erfahrungen der letzten Wochen wohl schwer traumatisiert sind, in den Spitälern aufhalten.

Bei den Thailändern handelt es sich um Gastarbeiter, die in den von der Hamas angegriffenen Kibbuzim am 7. Oktober vor allem in der Landwirtschaft arbeiteten. In den nächsten Tagen sollen in weiteren Schritten insgesamt rund 50 Geiseln freikommen. In seiner Rolle als „neutraler Vermittler“ werde das IKRK „über mehrere Tage hinweg in Gaza festgehaltene Geiseln an die israelischen Behörden und letztendlich an ihre Familien übergeben und palästinensische Häftlinge an die Behörden im Westjordanland überstellen“, hieß es in einer IKRK-Erklärung.

Angehörige bangen von Tag zu Tag

Parallel erhält Israel die Liste der Geiseln, die am Samstag freikommen sollen. Die Angehörigen sollen dann im Lauf des Nachmittags schnellstmöglich informiert werden. Für die Angehörigen aller Geiseln ist der Beginn der Vereinbarung ein Ereignis, dem viele mit gemischten Gefühlen entgegensehen.

Denn die meisten müssen weiter um ihre Lieben bangen, und viele von ihnen werden auch in den folgenden Tagen Tag für Tag enttäuscht werden, wenn sich die Namen ihrer Familienangehörigen nicht auf der Liste befinden werden. Einige der Angehörigen sagten aber am Freitag in Interviews, dass sie auch die Teilfreilassung begrüßen, auch wenn ihre Kinder, Eltern oder Großeltern nicht freikämen. Man sei im gemeinsamen Leid in den letzten Wochen zu einer großen Familie zusammengewachsen, so der Tenor der Interviewten.

Der Bruder eines Entführten schilderte, dass er und seine Familie nun den zweijährigen Sohn seines Bruders versorgen. Die Mutter des kleinen Buben wurde von der Hamas beim Tanzfestival ermordet. Der Zweijährige suche immer wieder seine Eltern und wolle nach Hause.

Ganz bei den Angehörigen

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant verfolgen die Geiselfreilassung von einem Kontrollraum im Tel Aviver Regierungsviertel. Der Oppositionspolitiker Benni Ganz, der nach dem 7. Oktober dem Kriegskabinett beitrat, dagegen kam zum Zentrum, das die Angehörigen der Entführten eingerichtet haben, um dort mit den Familien zu sprechen.

Das Militär rief die Öffentlichkeit und die Medien zu Geduld und Sensibilität auf. „Wir bitten alle darum, die Privatsphäre der freigelassenen Geiseln und ihrer Familien zu respektieren.“

39 palästinensische Häftlinge entlassen

Für jede israelische Geisel wurden im Gegenzug drei palästinensische Häftlinge entlassen – 24 weibliche und 15 minderjährige männliche Gefängnisinsassen. Sie wurden zu ihren Familien in Ostjerusalem bzw. im Westjordanland gebracht.

Das israelische Militärgefängnis Ofer nahe Ramallah
Reuters/Ammar Awad
Das Ofer-Gefängnis in der Nähe von Ramallah im Westjordanland

Pressekonferenz an Grenze sorgt für Empörung

Ausgerechnet während der Freilassung der ersten Geiseln aus den Händen der Hamas hielten der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez und sein belgischer Amtskollege Alexander De Croo am Grenzübergang Rafah eine Pressekonferenz ab. Sanchez übte dabei scharfe Kritik an Israel und sagte, die „wahllose Tötung von Zivilisten, darunter von Tausenden Burschen und Mädchen“, sei „völlig inakzeptabel“. Israel reagierte empört und zitierte umgehend die Botschafter der beiden Länder ins Außenministerium.

Sisi mit Vorstoß für politische Lösung

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi ließ am Freitag mit einem Vorstoß für eine künftige politische Lösung aufhorchen: Er könne sich einen demilitarisierten palästinensischen Staat vorstellen mit einer zeitlich befristeten internationalen Präsenz, um den Sicherheitsinteressen Israels wie eines Staates Palästina zu entsprechen. Sisi plädierte für Sicherheitsgarantien etwa der NATO und arabischer Staaten. Ein palästinensischer Staat müsse in den Grenzen von 1967 entstehen, mit Ostjerusalem als Hauptstadt.

Der israelische Verteidigungsminister Galant wiederum kündigte an, dass sofort nach Ende des Geisel- und Gefangenenaustauschs und Ablauf der diesbezüglichen Waffenruhe der Krieg in Gaza mit unverminderter Härte wiederaufgenommen werde.

Mehr Hilfslieferungen für Gaza

Ebenfalls Teil der Vereinbarung ist die Ausweitung der Hilfslieferungen, die bereits Freitagfrüh begann. Ägypten kündigte an, täglich 130.000 Liter Diesel und vier Lkw-Ladungen mit Gasflaschen in den Gazastreifen zu liefern, sollte die Waffenruhe halten. Täglich könnten rund 200 Lkws humanitäre Hilfe über Rafah in das Palästinensergebiet bringen, hieß es. Das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) will die Kampfpause nutzen, um dringend benötigte Hilfsgüter zu verteilen.

Die Kämpfe dauerten bis zuletzt an. Im israelischen Grenzgebiet gab es noch kurz vor und auch nach Beginn der Waffenruhe Raketenalarm. Die Armee hatte zuvor die Angriffe im Gazastreifen noch intensiviert.

Israels Armee: Tunnel unter Al-Schifa-Spital zerstört

Nach eigenen Angaben zerstörte die israelische Armee am Freitag einen unterirdischen Tunnelkomplex im Bereich des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt. Nach Darstellung der israelischen Armee hatte die Hamas den Tunnelkomplex für Terrorzwecke missbraucht – die Hamas bestreitet das. Laut israelischen Medienberichten hatte die Hamas als eine der Bedingungen für den Geiseldeal in letzter Minute den Rückzug der Armee aus dem Al-Schifa-Spital gefordert. Daher habe die Armee die Tunnel zerstört.

Israelische Armee warnt: Nicht nach Nordgaza gehen

Augenzeugenberichten zufolge machten sich nach Beginn der Feuerpause Hunderte palästinensische Binnenflüchtlinge auf den Weg, um in ihre Wohnorte zurückzukehren. Das israelische Militär warnte jedoch davor und betonte in einer Mitteilung auf Arabisch, dass weiter Krieg herrsche. Laut palästinensischen Angaben sollen zwei Zivilisten beim Versuch, in den Norden zurückzukehren, von der Armee getötet worden sein.