Gabriel Felbermayr
ORF
WIFO-Chef Felbermayr

Das Dilemma in den KV-Verhandlungen

Die Verhandlungen zum Kollektivvertrag (KV) der Metaller sind nach sieben Runden immer noch festgefahren, auch im Handel stehen die Zeichen aktuell auf Warnstreik. Die Angebote der Arbeitgeberseite und die Forderungen der Gewerkschaft liegen weit auseinander. Warum die Verhandlungen heuer derart schwierig sind, erklärte am Sonntag der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr.

Ein Problem aus Sicht der Industrie sei, dass es dort eine Rezession gebe, besonders die metallverarbeitenden Unternehmen litten unter sehr stark gestiegenen Energiepreisen und hohen Materialkosten. Gleichzeitig sei die Branche aber nicht für die hohe Teuerungsrate verantwortlich, „es waren ganz andere Sektoren, die für den Preisauftrieb gesorgt haben“, so der WIFO-Chef in der ORF-„Pressestunde“.

Das Dilemma sei: Es sei einerseits schwierig, die ganze Inflation abzugelten, was nötig sei, um die Nachfrage (Privatkonsum) zu beleben, auf der anderen Seite sei gerade in dieser Branche „die langfristige Wettbewerbsfähigkeit deutlich unter Druck geraten“. Die Arbeitgeberseite bietet bei den Metallern aktuell 8,2 Prozent, Einmalzahlungen inklusive, die Gewerkschaft verlangt 10,6 (nach anfänglich 11,6 Prozent).

„Vorpreschen“ bei Pensionen und im öffentlichen Dienst

Einen niedrigeren Abschluss zu erklären, als etwa die Erhöhungen der Pensionen ausmacht, sei de facto schwierig zu kommunizieren und die zweite Herausforderung neben der Rezession, so Felbermayr in der „Pressestunde“ – und es stelle sich auch die Frage, ob es sehr klug sei, dass der Staat mit Abschlüssen „vorprescht“, etwa bei den Pensionen oder aber auch dem öffentlichen Dienst.

Schwierige Lohnverhandlungen der Metaller

WIFO-Chef Felbermayr sieht KV-Verhandlungen im Spannungsfeld zwischen Rezession in der Industrie und Aufrechterhaltung der Kaufkraft.

Eine Möglichkeit sei, möglichst viele Elemente des KV auf den Tisch zu legen, es gehe nicht nur um Prozentzahlen, sondern auch andere Parameter wie Arbeitszeit, die vielleicht den Spielraum für eine Einigung erweiterten.

Der Faktor Vertrauen

Man müsse einige Sprünge über den Schatten wagen, so Felbermayr, auf beiden Seiten. Dann könne es auch einen Abschluss „in der Nähe“ der rollierenden Inflation (Zwölfmonatsdurchschnitt der Teuerung) geben. Wichtig sei bei unterschiedlichen Denkvarianten wie einer Streckung der Gehaltsabschlüsse aber auch das Thema Vertrauen. Das müsse auf jeden Fall da sein, nicht dass dann im nächsten Jahr auf eine versprochene Leistung vergessen werde, etwa nach dem Motto „Ach, die Konjunkturbelebung ist doch nicht gekommen“, die Situation sei noch schwieriger geworden.

Schilder mit der Aufschrift „Wir kämpfen für unseren Kollektivvertag!“ bei einem Streik der Metaller
APA/Georg Hochmuth
Nach etlichen Runden gab es kein Ergebnis für die Metaller

„Das geht nicht“, hier brauche es Paktfähigkeit. Empfehlungen für einen Abschluss wollte Felbermayr nicht geben. Nur so viel: In der Herbstprognose des WIFO werde ein Abschluss nahe der rollierenden Inflation angenommen, Abschlüsse deutlich darunter würden die Kaufkraft schwächen, sehr hohe wiederum die außenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.

Auch im Handel stehen Zeichen auf Streik

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat laut einer Aussendung von Sonntagvormittag der Gewerkschaft GPA „die Streikfreigabe für den Handel erteilt“. Die Kollektivvertragsverhandlungen für die etwa 430.000 Beschäftigten hätten „nach bisher drei Verhandlungsrunden kein Ergebnis“ gebracht.

Die Arbeitgeberseite sei „nicht zu einem Abschluss mit Dauerwirkung auf die Gehälter über der zugrundeliegenden rollierenden Inflationsrate bereit“. Das aktuelle Angebot liege bei fünf Prozent Gehaltserhöhung plus Einmalzahlung. „Das ist weit unter der zugrunde gelegten rollierenden Inflation in der Höhe von 9,2 Prozent und für uns nicht annehmbar.“

Inflation: Regierung hat „nicht alles falsch gemacht“

Stichwort Teuerung: Der Bundesregierung attestierte der WIFO-Direktor, bei der Bekämpfung der hohen Inflationsrate „nicht alles falsch gemacht“ zu haben. Ohne Strompreisbremse etwa wäre diese noch höher ausgefallen, als sie ohnehin liegt. Im Oktober waren es laut Statistik Austria 5,4 Prozent, die Jahresinflation 2022 hatte 8,6 Prozent betragen.

Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung

Felbermayr plädiert für eine Mietpreisbremse, sieht Eingriffe wie Mehrwertsteuersenkungen aber als Ultima Ratio.

Anders als in anderen Ländern habe die Regierung weniger in die Preise eingegriffen, es habe keine Mehrwertsteuersenkungen und keine „Tankrabatte“ gegeben, dafür liege das staatliche Haushaltsdefizit auch unter dem anderer Länder, man hätte vielleicht mehr tun können, dann aber auch Probleme in das Budget verlagert. Insgesamt, so der WIFO-Chef, hätten die Österreicher nach Coronavirus-Pandemie und Teuerung Wohlstand verloren.

„Gießkanne“ Mehrwertsteuersenkung

Jetzt sollte man doch stärker in die Preisentwicklung selbst eingreifen, empfiehlt der WIFO-Ökonom. „Es gibt ja eine Vereinbarung in der Koalition zu einer Mietpreisbremse, die gehört umgesetzt.“ Auch sollte man im öffentlichen Sektor die Gebühren und Abgaben unten halten. „Immerhin neun Prozent des Warenkorbes sind sogenannte administrierte Preise.“ Auch könnte man überlegen, ob es auch in Österreich ähnlich wie in Deutschland eine Monopolkommission geben sollte, „vielleicht sogar eine, wie es Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund verlangen, auch so etwas wie eine Preiskommission“.

Von Mehrwertsteuersenkungen hält der WIFO-Chef nicht viel. Es sei nicht klar, wie das bei den Menschen ankommen und ob das Geld nicht zum Teil in den Betrieben verbleiben würde. „Das wäre die Ultima Ratio – falls alles andere nicht funktioniert, würden wir auch das nicht ausschließen. Aber es gibt doch reichlich andere Instrumente, die weniger Nebenwirkungen haben.“

Obergrenze bei Zinserhöhungen vorerst erreicht

Man müsse sich auch überlegen, wie mit auslaufenden preissenkenden Instrumenten umzugehen sei, also etwa der Strompreisbremse und der Senkung der Steuern auf Strom und Gas. „Wenn man diese Absenkung wieder rückgängig macht, dann gibt es wieder einen Preisauftrieb.“

Ein Faktor, der Einfluss auf die Preisentwicklung hat, sind die Zinsen. Hier meinte Felbermayr in der „Pressestunde“, dass die Leitzinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) mittlerweile ihre obere Grenze erreicht hätten. Er räumte auch ein, dass hohe Zinsen inklusive strenger Kreditvergaberichtlinien etwa negative Folgen auf die Bau- bzw. Immobilienwirtschaft hätten.

Probleme bei Signa kein Ausnahmefall

Felbermayr glaubt, dass nicht nur der Signa-Konzern von Rene Benko durch die gestiegenen Zinsen in Schwierigkeiten geraten ist. Wahrscheinlich werde man solche Probleme, wie sie jetzt bei Signa bestehen, in den nächsten Monaten und Jahren auch in anderen Unternehmen in ganz Europa sehen. Das WIFO gehe aber „nicht davon aus, dass es zu einer Finanzmarktkrise mit den Banken im Zentrum kommen könnte“.

Umschuldung und Neufinanzierung aktuell schwierig: Signa-Gruppe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten

Probleme, wie sie aktuell die Signa-Holding von Investor Rene Benko hat, könnten laut Felbermayr kein Einzelfall bleiben.

Es habe „viele Analysten überrascht, dass dieser starke Zinsanstieg nicht zu mehr Turbulenzen auf den Finanzmärkten und auch auf dem Immobilienmarkt geführt hat“, sagte der WIFO-Chef. Durch höhere Zinsen werde nicht nur das Aufnehmen von Geld teurer, was für hoch verschuldete Konzerne ein Problem sei, sondern auch der Wert der Immobilien sinke stark. Das sei problematisch, wenn man langfristige Vermietungsverträge habe, die man nicht an das Zinsniveau und die Inflation anpassen könne. „Wenn man jetzt etwas umschulden oder neu finanzieren muss, dann ist der Wert der Immobilie, um die es geht, deutlich kleiner geworden.“

Anpassung von Pensionsalter an Lebenserwartung

In Sachen Pensionen sprach sich Felbermayr für eine teilweise Koppelung des Antrittsalters an die Lebenserwartung aus. Darüber hinaus müssten Modelle wie die Korridorpension besser bekanntgemacht werden, so Felbermayr in der „Pressestunde“. Bei den Pensionen sieht der WIFO-Chef jedenfalls generell Handlungsbedarf.

Debatte über Pensionsreformen

„Je mehr uns die Pensionsdynamik davonläuft, desto weniger haben wir die Chance, die Abgabenlast runterzubringen“, so Felbermayr.

„Je mehr uns die Pensionsdynamik davonläuft, desto weniger haben wir die Chance, die Abgabenlast runterzubringen“, so Felbermayr. Wie seine Kollegen glaube auch er, dass man sich über das Pensionssystem Gedanken machen und etwa Modelle aus anderen Ländern für Österreich durchdeklinieren müsse. Dazu gehöre etwa auch, dass bei steigender Lebenserwartung ein Teil dieses Anstiegs in die Dauer des Erwerbslebens einfließt – etwa im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel.

Kritik von SPÖ, Zustimmung von NEOS

Eine Absage an Überlegungen zur Erhöhung des Pensionsalters kam von SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer in einer Aussendung: „Das wird es mit der SPÖ nicht geben! Wir wollen stattdessen die Arbeitsbedingungen verbessern, damit alle das Pensionsalter gesund erreichen können.“

NEOS unterstützt dagegen eine Pensionsautomatik und andere Reformen im Pensionssystem. „Dem System fehlt nämlich die Fähigkeit, die steigende Lebenserwartung abzubilden und damit auch zu finanzieren. Die vielen Milliarden, die der Staat jedes Jahr zu den Pensionen zuschießen muss, fehlen in wichtigen Zukunftsbereichen wie Bildung, Gesundheit, Pflege, Infrastruktur, Forschung, Umwelt“, so Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker.