Schwangerschaftstest
Getty Images/Viktoriya Dikareva
Fristenlösung

50 Jahre weibliche Selbstbestimmung

Vor 50 Jahren hat der Nationalrat die Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen beschlossen. Mit der Regelung bleiben Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen straffrei. Der damals revolutionäre Beschluss gerät heute wieder vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit: Neben Kritik an Versorgungslücken wird einmal mehr eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gefordert.

Den Grundstein für die heutige Fristenlösung legte der damalige SPÖ-Justizminister Christian Broda mit seinen Entwürfen einer Strafrechtsreform. Am 29. November 1973 wurde die Fristenregelung vom Nationalrat mit 93 SPÖ-Stimmen gegen die 88 Nein-Stimmen von ÖVP und FPÖ verabschiedet, wenig später erhob jedoch die ÖVP im Bundesrat Einspruch. Das Gesetz wurde dennoch im Nationalrat mittels Beharrungsbeschluss am 23. Jänner 1974 vonseiten der SPÖ durchgesetzt und ist seit 1975 in Kraft.

Der Beschluss gilt als Meilenstein in der heimischen Frauenpolitik. Denn noch vor 1975 wurden Abtreibungen mit bis zu fünf Jahren „schwerem Kerker“ bestraft. „Eine Frauenperson, welche absichtlich was immer für eine Handlung unternimmt, wodurch die Abtreibung ihrer Leibesfrucht verursacht wird (…), macht sich eines Verbrechens schuldig“, hieß es damals im Gesetz.

Die Grünen sprachen sich am Dienstag für eine komplette Entkriminalisierung der Abtreibung aus. „Schluss mit der unsäglichen Kriminalisierung, der Paragraf 96 muss endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden“, so die stellvertretende Klubobfrau Meri Disoski. Auch die SPÖ will eine Entkriminalisierung. Vor dem Parlament zerschnitten am Mittwoch Vertreterinnen des Netzwerks von „#AusPrinzip“, dem Frauenvolksbegehren und One Billion Rising Austria ein Plakat mit dem Paragrafen 96.

Kreisky (SPÖ) zur Fristenlösung

1973 hat der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) eine Rede zu der eben beschlossenen Fristenregelung im Nationalrat gehalten, die später noch für Diskussionen gesorgt hat. Darin erklärte er, dass die Politik Maßnahmen ergreifen müsse, um Frauen zu ermöglichen, dass sie ihr Kind behalten können.

Keine Verpflichtung zu Durchführung

Geregelt ist der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor im Strafgesetzbuch, was immer wieder für Kritik und den Ruf nach Änderung sorgt. Laut Paragraf 96 ist Abtreibung zwar mit Freiheits- oder Geldstrafen bedroht, Paragraf 97 legt allerdings Ausnahmen fest. Ein Schwangerschaftsabbruch ist demnach grundsätzlich innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach ärztlicher Beratung möglich.

Nicht strafbar ist ein Schwangerschaftsabbruch außerdem, wenn die Schwangere zum Zeitpunkt der Schwängerung unmündig war, wenn der Abbruch zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird.

Jedenfalls ist kein Arzt beziehungsweise keine Ärztin dazu verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken – es sei denn, dass der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, „um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten“, wie es im Gesetz heißt.

Forderungen nach Entkriminalisierung

„Schwangerschaftsabbrüche sind medizinische Eingriffe und haben im Strafrecht gar nichts verloren“, sagt Pamela Huck von der Plattform Pro Choice Austria gegenüber ORF.at. Bei reproduktiven Rechten handle es sich um internationale und vertraglich definierte Menschenrechte. „Wenn in Körper von Frauen hineinregiert wird, dann sind sie nicht frei.“

In dieselbe Kerbe schlägt auch die Organisation Amnesty International. „Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Menschenrecht und dieses Menschenrecht ist unteilbar mit anderen Menschenrechten der Betroffenen verbunden“, so Ronya Alev von Amnesty Österreich im Gespräch mit ORF.at. „Da geht es um die Menschenwürde, die Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit.“

Versorgungslage in Österreich „stark bedenklich“

Ähnlich wie in Kanada müsse der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Gleichzeitig müsse der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen legal, angemessen und leistbar sein. Was die Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche betreffe, sei die Lage in Österreich als „stark bedenklich“ einzustufen.

Nach langen Diskussionen ist es nun möglich, dass Schwangerschaftsabbrüche im Landeskrankenhaus Bregenz durchgeführt werden – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Für Lisa Brauneder von der Kampagne „#AusPrinzip“ ist das „ein Tropfen auf dem heißen Stein“, es gebe nach wie vor gravierende strukturelle Probleme. In Tirol gibt es aktuell nur einen niedergelassenen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche anbietet – künftig sollen es dort drei sein. Im Burgenland gibt es offiziell gar keine Option.

Infografik zu Einrichtungen nach Bundesländern, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen
ÖGF/Stadt Wien/ORF

Neben der Versorgungslage stellt sich laut Alev auch eine finanzielle Frage. So sind Menschen, die von Armut betroffen sind, doppelt belastet, da sie neben dem Geld für den Schwangerschaftsabbruch zusätzlich auch Anfahrts- und Übernachtungskosten stemmen müssten. Es brauche eine Übernahme der Kosten durch das Gesundheitssystem, fordert auch Huck von ProChoice Austria, sowie „evidenzbasierte medizinische Versorgung“, die sich an Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiere.

Katholische Frauenbewegung für Diskussion

Österreichs Bischöfe forderten unterdessen von der Politik „Begleitforschung zur Fristenregelung und entsprechende Hilfsmaßnahmen, um Schwangerschaftsabbrüche entschlossen zu reduzieren“. Durch Datenerhebung gelte es aufzuzeigen, „in welchen Krisen und Nöten sich schwangere Frauen befinden, um ihnen effektiv zur Seite zu stehen und Mut zum Kind zu machen“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz.

Zu einer Diskussion über Abtreibung „jenseits von Schuldzuweisung und Bestrafung“ hat unterdessen die Katholische Frauenbewegung (kfbö) aufgerufen. Die vor 50 Jahren verabschiedete Fristenregelung ermögliche eine solche Debatte, wobei man das Thema „gesprächsbereit statt urteilend“ behandeln wolle – mehr dazu in religion.ORF.at.

Raab: Verweis auf Beratungsstellen

Familien- und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) stellte am Mittwoch klar, dass es bei der Fristenlösung keine gesetzliche Änderung geben werde. „Als Politik und Gesellschaft haben wir die Aufgabe, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die Schwangerschaftsabbrüchen vorbeugen und Frauen im Falle von ungewollten Schwangerschaften auch Perspektiven aufzeigen“, hieß es aus dem Büro von Raab auf ORF.at-Anfrage.

Wesentlich seien die aus dem Frauenbudget geförderten Frauen- und Mädchenberatungsstellen sowie die Familienberatungsstellen, deren Förderung 1974 als Begleitmaßnahme zur Fristenlösung beschlossen wurde.