Ein Mann hält während eines Fußballländerspiels einen Schal mit der Aufschrift „Türkiye“ in die Höhe
IMAGO/eu-images
Mehr als Schall und Rauch

Deshalb ändern Länder ihren Namen

In den letzten Jahren haben sich gleich einige Länder umbenannt: Die Türkei verabschiedete sich von der englischen Bezeichnung „Turkey“ und heißt „Türkiye“, Tschechien tauschte „Czech Republic“ gegen „Czechia“. Indien heizte zuletzt Gerüchte an, dass man international künftig „Bharat“ genannt werden wolle. Die Gründe für Namensänderungen sind vielfältig und meist politisch aufgeladen. Obwohl Änderungen auf den ersten Blick reine Formsache sind, zieht eine Umbenennung zahlreiche Konsequenzen nach sich.

Während Österreich an seinem Ländernamen seit geraumer Zeit nichts ändert, werden hierzulande gerne Straßen umbenannt: Meist weil ein Name historisch belastet ist, oder umgekehrt, weil eine Persönlichkeit mittels einer eigens nach ihr benannten Straße geehrt werden soll. Vorschläge werden beraten, Beschlüsse werden getroffen, Schilder werden getauscht, Karten werden angepasst – allein eine solche, verhältnismäßig kleine, Änderung ist mit vielen organisatorischen Aufgaben verbunden.

Umso größer ist der Aufwand, wenn sich ein ganzes Land umbenennen will – obwohl die Änderung des Namens, zumindest auf internationaler Ebene, an sich eigentlich ganz einfach ist, wie der Sprachwissenschaftler Gerhard Rampl im Gespräch mit ORF.at sagt. Koordiniert wird die Namensverwendung von der UNO. Sie „will sicherstellen, dass der diplomatische Verkehr zwischen den verschiedenen Ländern möglichst reibungslos funktioniert“, so Rampl.

Keine Pflicht, aber auch meist keine Widerrede

Die zuständige Expertengruppe für geografische Namen (UNGEGN) verwaltet eine Liste mit Staatennamen. Will ein Land auf diplomatischer Ebene künftig anders genannt werden, muss es der UNO lediglich sein Anliegen mitteilen, so Rampl. Im Regelfall wird der neue Name dann einfach in diese Liste eingetragen.

Zettel mit dem Namen Czechia während der Auslosung zur Endrunde der Frauen-U19-EM 2022/23
IMAGO/Sportpix/David Catry
Namensänderungen sind nicht zuletzt auch im Sport gut sichtbar

Verpflichtend ist das Übernehmen der Änderung für die einzelnen Länder damit aber nicht, wie der Völkerrechtsexperte Ralph Janik gegenüber ORF.at sagt. „Wir sind hier im Bereich der ‚Comity‘, also der Gepflogenheiten. Man macht es aus Respekt vor dem jeweiligen Land, müssen tut man es aber nicht.“ Auch Rampl verweist darauf, dass dem Änderungswunsch „im Normalfall entsprochen“ werde, um „diplomatische Affronts zu vermeiden“.

Verträge gelten auch nach der Umbenennung unverändert: „Verträge gelten unabhängig von Regierungs-, Verfassungs- oder sogar Systemwechseln. Selbst von Nazi-Deutschland geschlossene Verträge blieben – abgesehen von Angriffspakten und dergleichen – nach 1945 gültig“, so Janik. Mit rückwirkenden Änderungen würde man „richtige Geschichtsumschreibung“ betreiben, sagte indes Rampl – das wäre in „freien Staaten nicht gängige Praxis“.

Neuer Name als Bruch mit der Vergangenheit

Dabei gibt es zahllose Gründe, warum ein Land seinen Namen ändern will – viele davon sind in der Geschichte verankert, von der man sich oft auch namentlich abgrenzen will. Gerade im Hinblick auf die Kolonialisierung haben einige Staaten seit den 1970er und 80er Jahren einen Schlussstrich unter die kolonialen Wurzeln ihres Ländernamens gezogen: Obervolta wurde zu Burkina Faso, Ceylon zu Sri Lanka und zuletzt etwa Swasiland (Swaziland) zu eSwatini.

Rampl sieht solchen Änderungen aber zahlreiche Fragen vorausgehen: Staatsintern gebe es das „Bestreben, das koloniale Erbe abzuwerfen, aber dann stellt sich die Frage: Was nehmen wir stattdessen?“ Diese Frage könne demokratisch gelöst werden, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern aufgezwungen werden – was dazu führen könne, dass manche Bevölkerungsteile nicht zufrieden mit der Änderung seien, so Rampl.

Heikle Suche nach neuem Namen

Gerade dann, wenn Länder „in sich nicht einsprachig sind, nicht eine Kultur haben“, so Rampl. Schon kleine Länder wie Österreich haben mehrere anerkannte Minderheiten und zugehörige Sprachen, in größeren Staaten ist die Situation aber noch um ein Vielfaches komplizierter. „Und wenn ich jetzt die Entscheidung treffe, einen Namen zu wählen, dann ist eben die große Frage, welchen Namen wähle ich da und hat der nicht in sich wieder bestimmte Bevorzugungen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe“, so Rampl.

Flaggen mit der Aufschrift „Bharat Army“ während eines Cricket-Spiels
AP/Kirsty Wigglesworth
Eine mögliche Namensänderung Indiens ist zweifellos ein Politikum

Das ist natürlich höchst politisch – und gerade an Indien gut beobachtbar: Die Debatte, ob das Land in „Bharat“, die Sanskrit- und Hindi-Bezeichnung dafür, umbenannt werden soll, ist extrem heikel. Nicht nur trennt man sich nach und nach von der kolonialen Vergangenheit, sondern auch von zahlreichen muslimischen Bezeichnungen: „Madras wurde Chennai; Kalkutta Kolkata; Bangalore Bengaluru; und Allahabad Prayagraj“, heißt es in einem BBC-Artikel.

Name als geopolitische Drohung

Kompliziert – auch auf internationaler Ebene – wird es, wenn ein Name umstritten ist. Das passiert selten bei Ländernamen, öfter etwa bei Bezeichnungen für Gewässer: Die Frage, ob es „Japanisches Meer“ oder „Ostmeer“ heißt, sorgt für hitzige Diskussionen zwischen Korea und Japan, eine Debatte, mit der sich auch die UNO auseinandersetzt.

Doch auch die Bezeichnung „Mazedonien“ sorgte für gehörigen Streit: Das heutige Nordmazedonien und eine Region in Griechenland beanspruchten beide den Namen für sich. Der Konflikt begann mit dem Zerfall Jugoslawiens und der darauffolgenden Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1991. Der Name wurde von Griechenland schon verwendet und sei daher „besetzt“ gewesen, so Janik. Deshalb wurde das Land "vorläufig als ‚ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien‘ in die UNO aufgenommen und daher auch (zeitlich, Anm.) nach den anderen Republiken. Da gilt das „prior in tempore potior in iure’-Prinzip: Wer das erste Mal den Namen international verwendet hat, hat ein Recht darauf“, so Janik weiter.

Rampl sagt, dass solche Änderungen über den bloßen Namen hinausgehen, die Frage sei etwa, ob man „implizit einen Anspruch auf mehr Land“ stelle. Der Namensstreit zog sich bis 2019 hin, als sich das Land den Namen „Nordmazedonien“ gab. Griechenland blockierte bis dahin eine Aufnahme in die EU und die NATO, die Umbenennung war die Bedingung für ein Zurückziehen des Vetos.

Ländernamen in ORF.at

Die Schreibweise von Ländernamen und anderen Toponymen in ORF.at wird vom Lektorat vorgegeben und orientiert sich an den Festlegungen der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen. Änderungen werden redaktionsintern besprochen und stehen oft in Verbindung mit einschneidenden politischen Ereignissen.

Auch Verwechslungsgefahr als Argument

Manchmal gibt es aber auch viel banalere Gründe: Dass sich eSwatini von den kolonialen Wurzeln lösen wollte, war etwa nur ein Faktor für die Änderung im Jahr 2018. Offenbar wurde das internationale „Swaziland“ nämlich oft mit „Switzerland“ verwechselt. Und auch die Türkei wollte auf Englisch nicht mehr „Turkey“, das englische Wort für „Truthahn“, heißen – wenngleich das sicher nicht der einzige Beweggrund für die Änderung war.

„Namen bedeuten überhaupt nichts“

Rampl, der früher selbst Teil der UNO-Expertengruppe war, merkt an, dass von einem „namenstheoretischen Standpunkt aus“ Namen an sich ja „überhaupt nichts bedeuten“. „Das Wort ‚Wien‘ hat keine semantische Bedeutung“, so der Forscher. „Wien ist eine Stadt, und da klebe ich das Etikett ‚Wien‘ drauf. Und wenn ich dann ‚Wien‘ sage, dann weiß ich, was gemeint ist.“ Und doch gebe es „bestimmte Namen wie Tschernobyl oder Auschwitz“, bei denen dann „sehr wohl etwas Gravierendes mitschwingt“. Da „schwingt sehr viel Konnotation mit, also eine Nebenbedeutung, die teils sehr starke Emotionen auslöst“, so Rampl weiter.

So würden auch koloniale Namen durch ihre „Konnotation das Gefühl der Unterdrückung verstärken oder weiter propagieren“. Umso schwieriger ist die Suche nach einem neuen Namen. „Da ist dann die Frage, was für neue Konnotationen haben eventuell neue Namen. Sind die eher neutral, sind die positiv, sind die negativ? Das muss eben nicht für alle Bevölkerungsgruppen, für alle Sprachgruppen dann auch gleich sein“, so Rampl.

Kosten als weitere Hürde

Der an sich einfache Beschluss ist also an zahlreiche politische und soziale Konsequenzen gebunden – und schlägt sich nicht zuletzt finanziell nieder. Schon das Rebranding einer Firma geht mit enormen Kosten einher. Änderungen sind auch nötig, wenn sich allein die Adresse ändert, an der das Unternehmen seinen Sitz hat. „Der Staat ist natürlich ein noch viel größerer Verwaltungsapparat“, so Rampl.

Angefangen von Briefköpfen über Stempel bis hin zu Schildern, Websites, Werbekampagnen – unzählige Änderungen müssen vorgenommen werden, oft von Fachkräften. Das alles geht ins Geld – Schätzungen dazu gehen weit auseinander. Allen ist aber gemein, dass dadurch manche Länder, die gerne einen namentlichen Schlussstrich unter ihre koloniale Vergangenheit setzen würden, mangels finanzieller Mittel daran gehindert werden, diesen Schritt zu gehen. So wird die Namensänderung eines Staates letztlich auch zu einer Frage des Geldes.