Rauchschwaden im Gazastreifen
Reuters/Alexander Ermochenko
Neue Kriegsphase

Israel zielt auf Gazas Süden

Acht Wochen nach dem Terrorangriff auf Israel setzt das israelische Militär seinen Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen fort. In den Mittelpunkt der Angriffe gerät nun allerdings der Süden des Küstenstreifens. Die Armee vermutet, dass sich dort die Köpfe der Hamas verstecken. In der Bevölkerung könnte die neue Phase des Krieges eine weitere Fluchtbewegung auslösen.

Freitagfrüh war eine siebentägige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ausgelaufen, die für die Freilassung von Geiseln der Hamas sowie für Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen genutzt worden war. Seitdem setzte die israelische Armee ihre Angriffe auf die Hamas fort, während die radikalislamische Palästinenserorganisation wieder Raketen auf Israel abfeuerte.

Israel habe seit Freitagfrüh mehr als 400 Ziele im Gazastreifen bombardiert, teilte die Armee mit. Wegen des erneuten Beschusses stiegen über dem Gazastreifen graue Rauchwolken auf. An den Einsätzen waren nach Militärangaben die Luftwaffe, Bodentruppen sowie die Marine beteiligt. Kampfjets hätten unter anderem mehr als 50 Ziele in der Gegend um die Stadt Chan Junis im Süden bombardiert.

Israel setzt Angriffe fort

Der Nahost-Krieg zwischen der Hamas und Israel geht nach dem Ende der Feuerpause weiter. Das israelische Militär hat in der Nacht auf Samstag mehr als 50 Ziele der islamistischen Hamas und anderer Terrorgruppen im Gazastreifen angegriffen.

Ganzer Gazastreifen unter Beschuss

„Wir beschießen zurzeit militärische Stellungen der Hamas im gesamten Gazastreifen“, hatte Armeesprecher Jonathan Conricus Samstagfrüh erklärt. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums, die sich unabhängig nicht überprüfen lassen, wurden seit Wiederaufnahme der Kämpfe im Gazastreifen 240 Menschen getötet. 650 weitere Menschen seien bei den israelischen Angriffen verletzt worden.

Rauchschwaden im Gazastreifen
Reuters/Alexander Ermochenko
Am Samstag stiegen Rauchwolken über dem Gazastreifen auf

Die israelische Armee rief die Bewohner und Bewohnerinnen der nördlichen Viertel von Chan Junis sowie von Dörfern entlang der Grenze zu Israel im zentralen Gazastreifen per SMS dazu auf, die Gegenden sofort zu verlassen. Vor der Waffenruhe hatte Israel die Palästinenser im Norden dazu aufgerufen, in den Süden des Gazastreifens zu flüchten, um dem Krieg zu entgehen.

Die israelische Armee bestätigte indes einen Angriff in der Stadt Dschabalja, in der das gleichnamige Flüchtlingslager liegt. Dabei gab es nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden in Gaza viele Tote. Unter ihnen soll auch der Präsident der Islamischen Universität in Gaza, Sufian Tajeh (52), sein, hieß es am Samstag aus Hochschulkreisen.

„Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen“

Hilfsorganisationen reagierten auf die neue Offensive im Süden des Gazastreifens mit Entsetzen und Empörung. „Hunderte und Hunderte von Explosionen. An einem Ort, der so dicht mit Zivilisten bevölkert ist, muss alles etwas treffen … jemanden“, schrieb der Sprecher des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF, James Elder, am Samstag auf X (Twitter).

UNICEF-Sprecher Elder beschrieb die Nacht auf Samstag als „unerbittlich“. Hiba Tibi, Direktorin der Hilfsorganisation Care, sagte CNN zur Lage der Zivilisten und Zivilistinnen: „Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen.“ Es gebe nicht ausreichend Orte, um die Menschen aufzunehmen.

„Wir müssen die Zivilbevölkerung und die lebenswichtige Infrastruktur, auf die sie angewiesen ist, schützen“, forderte Hiba Tibi. Die im Gazastreifen verbleibenden Geiseln der Hamas müssten sofort freigelassen werden. „Die Kämpfe müssen aufhören“, sagte sie. Israel brach allerdings die Verhandlungen über eine neue Feuerpause ab. Die Delegation sei aus Katar abgezogen worden, teilte die israelische Regierung mit. Die Hamas habe ihren Teil der Abmachung nicht erfüllt und nicht alle Kinder und Frauen freigelassen.

Hilfsgüter gelangten über Grenzübergang

Im Norden des Palästinensergebiets schalteten israelische Soldaten am Samstag nach Armeeangaben „Terrorkommandos aus und richteten das Feuer gegen terroristische Ziele“. Laut einem Bericht der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA führten israelische Soldaten in der Nacht zum Samstag auch mehrere Einsätze im besetzten Westjordanland aus.

Flüchtende in Chan Junis
APA/AFP/Mahmud Hams
Zivilisten und Zivilistinnen verlassen die Kriegszonen

Nach UNO-Angaben wurden seit Kriegsbeginn vor acht Wochen rund 1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen vertrieben. Die humanitäre Lage in dem Küstengebiet ist der UNO zufolge katastrophal. Nach der Unterbrechung der Hilfslieferungen wegen der Wiederaufnahme der Kämpfe gelangten nach Angaben des Roten Halbmonds am Samstag einige Lkws mit Hilfsgütern über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen.

Waffenruhe nicht verlängert

Auslöser des jüngsten Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze begangen hatten. Dabei wurden mehr als 1.200 Menschen getötet. Etwa 240 Geiseln wurden nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen, einer Blockade des Gazastreifens und begann Ende Oktober eine Bodenoffensive.

Während der Waffenruhe waren 80 aus Israel verschleppte Geiseln freigelassen worden. Im Gegenzug wurden 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen. Israel und die Hamas hatten sich gegenseitig dafür verantwortlich gemacht, dass die einwöchige Feuerpause nicht verlängert wurde.

Israel bestätigt Berichte über Pufferzone

Israel bestätigte indes Berichte, wonach eine Pufferzone zu Gaza eingerichtet werden soll. „Israel wird eine Sicherheitshülle brauchen“, sagte der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Mark Regev. „Es wird keine Situation mehr geben, in der sich Hamas-Leute an der Grenze aufhalten, die sie überqueren und unsere Zivilisten töten können.“ Weitere Details nannte er nicht.

Israel habe kein Interesse daran, den Gazastreifen erneut zu besetzen oder dauerhaft zu beherrschen, sagte Regev. Gleichzeitig sagte er, Israel müsse nach dem Krieg die Kontrolle über die Sicherheit des Küstenstreifens bewahren. Er bekräftigte das Ziel, die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen nach 16 Jahren zu beenden und die militärischen Fähigkeiten der Terrororganisation zu zerstören. Regev gab zu, dass die Hamas noch lange nicht besiegt sei. Israel habe noch „viel Arbeit vor sich“.

USA wollen Zwangsumsiedlungen nicht zulassen

Die USA wollen ihrer Vizepräsidentin Kamala Harris zufolge Zwangsumsiedelungen von Palästinenserinnen und Palästinensern weder im Gazastreifen noch im Westjordanland zulassen. Das habe sie dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi am Rande des Weltklimagipfels gesagt, wie das US-Präsidialamt mitteilte.

Sie habe den ägyptischen Präsidenten auch über Wege zum Wiederaufbau, zur Sicherheit und zur Regierung im Gazastreifen gesprochen. Dazu brauche es klare politische Aussichten für die Palästinenserinnen und Palästinenser und einen eigenen Staat.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte Israels Ziel infrage, die Hamas komplett zu vernichten. „Glaubt irgendjemand, dass das möglich ist? Wenn das so ist, wird der Krieg zehn Jahre dauern“, sagte Macron. Israel müsse sein Kriegsziel präzisieren, forderte er. Macron kritisierte auch die Fortsetzung des Bombardements im Gazastreifen: „Der richtige Kampf gegen den Terrorismus ist nicht die systematische und permanente Bombardierung.“ Er forderte erneut eine sofortige Feuerpause.