Israelische Soldaten mit Feldstecher und Gewehr in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen
AP/Tsafrir Abayov
Gazastreifen

Israel will Sicherheitszone nach Krieg

Die israelische Armee hat nach dem Auslaufen der Waffenruhe ihre Angriffe auf die radikalislamische Hamas im Gazastreifen am Samstag fortgesetzt. Für eine neuerliche Verlängerung der Feuerpause verlangt Israel von der Hamas die Freilassung weiterer Geiseln. Nach dem Krieg strebt Israel nach eigenen Angaben eine Sicherheitszone an der Grenze zum Gazastreifen an.

Konkret fordert Israel die Freilassung von 17 Frauen und Kindern, die nach dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt wurden. Die Hamas habe ihre Zusage nicht eingehalten, diese Geiseln freizulassen, sagte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant. Nach israelischen Angaben befinden sich insgesamt noch 136 Geiseln in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen.

Der hochrangige Hamas-Führer Saleh al-Aruri stellte seinerseits Forderungen an Israel. Die Geiseln würden erst dann freigelassen, wenn es einen Waffenstillstand gebe und alle palästinensischen Gefangenen freigelassen würden. „Der Krieg soll seinen Lauf nehmen. Diese Entscheidung ist endgültig. Wir werden keine Kompromisse eingehen“, sagte Aruri dem Sender al-Jazeera.

Israel verstärkt Angriffe auf Gaza

Der Krieg zwischen der islamistischen Hamas und Israel geht nach dem Ende der Feuerpause weiter. Israel verstärkt seine Angriffe immer mehr, besonders auch im Süden, wo die Menschen eigentlich Zuflucht gesucht haben. Die Chancen für eine rasche, neuerliche Feuerpause sind gering.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bekräftigte, den Krieg so lange fortzusetzen, „bis wir alle Ziele erreicht haben“. Dazu gehörten die Freilassung aller israelischen Geiseln und die Auslöschung der Hamas, sagte er am Samstag. Die Fortsetzung der Bodenoffensive im Gazastreifen sei dafür „unabdingbar“.

Kampfhandlungen wiederaufgenommen

Die Verhandlungen über eine erneute Waffenruhe endeten am Samstag in einer Sackgasse. Israel brach die Gespräche in Katar ab und zog die Delegation des Geheimdienstes Mossad ab. Das israelische Militär setzte am Samstag seine Angriffe auf Ziele im Gazastreifen fort. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums, die sich unabhängig nicht überprüfen lassen, wurden seit Wiederaufnahme der Kämpfe im Gazastreifen 240 Menschen getötet. Die Hamas teilte ihrerseits mit, Raketen auf Tel Aviv abgefeuert zu haben. In der Stadt gab es Samstagabend Luftalarm.

Schwere Angriffe der israelischen Streitkräfte gab es im Süden des Küstenstreifens, in dem sich neben der lokalen Bevölkerung auch Tausende Geflüchtete aus dem Norden aufhalten. An den Einsätzen waren nach israelischen Militärangaben die Luftwaffe, Bodentruppen sowie die Marine beteiligt. Kampfjets hätten unter anderem mehr als 50 Ziele in der Gegend um die Stadt Chan Junis im Süden bombardiert.

Rauchschwaden im Gazastreifen
Reuters/Alexander Ermochenko
Am Samstag stiegen Rauchwolken über dem Gazastreifen auf

Die israelische Armee rief die Bewohnerinnen und Bewohner der nördlichen Viertel von Chan Junis sowie von Dörfern entlang der Grenze zu Israel im zentralen Gazastreifen per SMS dazu auf, die Gegenden sofort zu verlassen. Vor der Waffenruhe hatte Israel die Palästinenserinnen und Palästinenser im Norden dazu aufgerufen, in den Süden des Gazastreifens zu flüchten, um dem Krieg zu entgehen.

Flüchtende in Chan Junis
APA/AFP/Mahmud Hams
Zivilisten und Zivilistinnen verlassen die Kriegszonen

Die israelische Armee bestätigte indes einen Angriff in der Stadt Dschabalja, in der das gleichnamige Flüchtlingsviertel liegt. Dabei gab es nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden in Gaza viele Tote. Unter ihnen soll auch der Präsident der Islamischen Universität in Gaza, Sufian Tajeh (52), sein, hieß es am Samstag aus Hochschulkreisen.

„Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen“

Hilfsorganisationen reagierten auf die neue Offensive im Süden des Gazastreifens mit Entsetzen und Empörung. „Hunderte und Hunderte von Explosionen. An einem Ort, der so dicht mit Zivilisten bevölkert ist, muss alles etwas treffen … jemanden“, schrieb der Sprecher des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF, James Elder, auf X (Twitter).

UNICEF-Sprecher Elder beschrieb die Nacht auf Samstag als „unerbittlich“. Hiba Tibi, Direktorin der Hilfsorganisation Care, sagte CNN zur Lage der Zivilisten und Zivilistinnen: „Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen.“ Es gebe nicht ausreichend Orte, um die Menschen aufzunehmen.

Nach UNO-Angaben wurden seit Kriegsbeginn vor acht Wochen rund 1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen vertrieben. Die humanitäre Lage in dem Küstengebiet ist der UNO zufolge katastrophal. Nach der Unterbrechung der Hilfslieferungen wegen der Wiederaufnahme der Kämpfe gelangten nach Angaben des Roten Halbmonds am Samstag 100 Lkws mit Hilfsgütern über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen.

„Israel wird Sicherheitshülle brauchen“

Israel bestätigte unterdessen am Samstag Pläne, wonach nach dem Krieg eine Pufferzone im Grenzgebiet zum Gazastreifen eingerichtet werden soll. „Israel wird eine Sicherheitshülle brauchen“, sagte der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Mark Regev. „Es wird keine Situation mehr geben, in der sich Hamas-Leute an der Grenze aufhalten, die sie überqueren und unsere Zivilisten töten können.“

Er nannte keine genaueren Details zu der geplanten Sicherheitszone. Regev erklärte, Israel habe kein Interesse daran, den Gazastreifen erneut zu besetzen oder dauerhaft zu beherrschen. Gleichzeitig sagte er, Israel müsse nach dem Krieg die Kontrolle über die Sicherheit des Küstenstreifens bewahren.

Wildner über Angriffe auf Südgaza

Israel hat die Menschen in den Süden des Gazastreifens vertrieben, nun wird die Region bombardiert. ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner berichtet unter anderem, wie die israelische Armee ihr Vorgehen argumentiert.

Er bekräftigte das Ziel, die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen nach 16 Jahren zu beenden und die militärischen Fähigkeiten der Terrororganisation zu zerstören, gab aber zu, dass die Hamas noch lange nicht besiegt sei. „Sie schießen immer noch Raketen auf Israel und kontrollieren immer noch große Teile des Gazastreifens.“ Israel habe noch „viel Arbeit vor sich“.

Auslöser des jüngsten Gaza-Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze begangen hatten. Dabei wurden mehr als 1.200 Menschen getötet und rund 240 Geiseln nach Gaza verschleppt.

USA wollen Zwangsumsiedlungen nicht zulassen

Die USA wollen ihrer Vizepräsidentin Kamala Harris zufolge Zwangsumsiedelungen von Palästinenserinnen und Palästinensern weder im Gazastreifen noch im Westjordanland zulassen. Das habe sie dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi am Rande des Weltklimagipfels gesagt, wie das US-Präsidialamt mitteilte.

Sie habe den ägyptischen Präsidenten auch über Wege zum Wiederaufbau, zur Sicherheit und zur Regierung im Gazastreifen gesprochen. Dazu brauche es klare politische Aussichten für die Palästinenserinnen und Palästinenser und einen eigenen Staat.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte Israels Ziel infrage, die Hamas komplett zu vernichten. „Glaubt irgendjemand, dass das möglich ist? Wenn das so ist, wird der Krieg zehn Jahre dauern“, sagte Macron. Israel müsse sein Kriegsziel präzisieren, forderte er. Macron kritisierte die Fortsetzung des Bombardements im Gazastreifen: „Der richtige Kampf gegen den Terrorismus ist nicht die systematische und permanente Bombardierung.“ Er forderte eine sofortige Feuerpause.