Älterer Mann blickt in den Rückspiegel seines Autos
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Führerscheinreform

EU-Staaten setzen auf Selbsteinschätzung

Vorschläge zur Reform der EU-Führerscheinregeln sorgen seit Monaten besonders in Österreich und Deutschland für Aufregung. Am Montag einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine Position. Fahrtauglichkeitsprüfungen zur Erneuerung des Führerscheins sollen nicht verpflichtend sein, stattdessen können Staaten auf die Selbsteinschätzung setzen. Selbst das geht aber Deutschland zu weit.

Geht es nach den EU-Mitgliedsstaaten, sollen Führerscheine alle 15 Jahre erneuert werden. Die jeweiligen Länder können über kürzere Fristen im Alter selbst entscheiden, ältere Menschen sollten das nach dem Willen der EU-Staaten nicht zwingend öfter machen müssen. Die Überarbeitung der Regeln geht auf einen Vorschlag der EU-Kommission vom März zurück.

Demzufolge sollten Menschen über 70 Jahre künftig alle fünf Jahre entweder eine Selbsteinschätzung zur Fahrtauglichkeit ausfüllen oder sich ärztlich untersuchen lassen. In einigen Staaten wie Italien ist alle zehn Jahre ein Gesundheitscheck zur Führerscheinerneuerung bereits Pflicht, in Österreich und Deutschland ließ allein die Diskussion darüber die Wogen hochgehen.

Fit für den Führerschein

In der EU sollen Führerscheine alle 15 Jahre erneuert werden. Kürzere Fristen im Alter sollen den Ländern überlassen werden.

Deutschland gehen Vorschläge zu weit

In Österreich sind bereits alle seit 2013 ausgestellten Führerscheine befristet – allerdings ohne verpflichtende Gesundheitschecks für Senioren und für 15 Jahre. Österreich setze bei der Umsetzung der Richtlinie auf die Selbsteinschätzung der Lenkerinnen und Lenker, so die Position von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne). Sie spricht sich auch gegen eine kürzere Gültigkeitsdauer des Führerscheins für ältere Menschen aus.

Noch Mitte September hatte sich Gewessler gegen einen änlichen, aber etwa strengeren Vorschlag der EU-Kommission gestellt. „Wir sehen das einfach nicht in den Unfallstatistiken, dass in diesem Alter die Unfallhäufigkeit so signifikant steigt“, hatte die Ministerin argumentiert.

Tatsache ist, dass Pkw-Lenker und -Lenkerinnen unter 20 Jahren sowie jene ab 75 Jahren im Zeitraum 2018 bis 2022 anteilsmäßig am häufigsten Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden verursachten. Das geht aus einer Berechnung der Statistik Austria hervor. 83 Prozent der über 85-jährigen Fahrer und Fahrerinnen und 77 Prozent der 80- bis 84-Jährigen, die in den vergangenen fünf Jahren an Unfällen beteiligt waren, waren für einen Unfall auch verantwortlich, so das Statistikamt.

Experte: Gefahr unterschätzt

Gegen den aktuellen Entwurf stimmte Gewesslers deutscher Amtskollege Volker Wissing (FDP). Ihm geht eine verpflichtende Selbsteinschätzung zur eigenen Gesundheit zu weit. Er befürchtet ein Überborden der Bürokratie durch die Selbsteinschätzungen, verpflichtende ärztliche Untersuchungen für ältere Menschen seien „nicht verhältnismäßig“. Kürzlich meinte Wissing, dass es bei den älteren Autofahrern keine signifikanten Unfallzahlen und damit keinen Grund für einen Generalverdacht gebe.

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr
IMAGO/Chris Emil Janßen
Der deutsche Verkehrsminister Wissing findet verpflichtende ärztliche Untersuchungen für Senioren „nicht verhältnismäßig“

Dieser Position widerspricht Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer in Deutschland, vehement. Wissing unterschätze die Gefahr durch Senioren am Steuer. Zwar seien ältere Menschen mit Blick auf die absoluten Zahlen im Schnitt nicht öfter an Unfällen beteiligt, das liege aber daran, dass sie deutlich weniger unterwegs seien.

Gemessen an der Fahrleistung sterben Brockmann zufolge bei Unfällen, an denen Menschen über 75 Jahren beteiligt sind, genauso viele Menschen wie bei Unfällen, an denen die Hochrisikogruppe der 18- bis 21-Jährigen beteiligt ist. Nach aktuellen Zahl des deutschen Statistischen Bundesamts tragen ältere Lenker häufiger die Hauptschuld als jüngere, wenn sie an Unfällen mit Personenschaden beteiligt sind.

EU-Parlament muss sich auf Position einigen

Nach der Festlegung der Position der EU-Staaten sind die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament der nächste Schritt. Zuvor müssen sich die EU-Abgeordneten allerdings noch auf eine eigene Position einigen. Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, rechnet laut einer Aussendung damit, dass sich hier „die Vernunft durchsetzen“ wird.

Er sieht Vorschläge wie verpflichtende Medizinchecks für Senioren und Seniorinnen und gestaffelte Geschwindigkeitsbeschränkungen für Fahranfängerinnen als „nicht zielführend und diskriminierend“. Die ÖVP-EU-Mandatare Barbara Thaler und Wolfram Pirchner wollen sich im Parlament für eine ähnliche Lösung einsetzen wie die der EU-Staaten. „Die neue Führerscheinrichtlinie darf weder ältere noch jüngere Autofahrerinnen und Autofahrer diskriminieren“, schrieben die beiden in einer Aussendung.