Medikamente in einem Regal
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Wichtige Medikamente

Harsche Kritik an Bewertungsgremium

Das im Zuge der Gesundheitsreform geplante Bewertungsgremium für neue, teure Medikamente stößt weiter auf Kritik, insbesondere bei der Opposition. Im Kern sollen Expertinnen und Experten aus Medizin und Wirtschaft in einem Gremium entscheiden, ob ein Patient oder eine Patientin eine Therapie erhält oder nicht. Die steirische Patientenanwältin Michaela Wlattnig kann der Idee einer österreichweit einheitlichen Bewertung zwar etwas abgewinnen, fordert aber Präzisierungen. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) wehrte sich.

Im Ö1-Morgenjournal am Dienstag sagte Wlattnig, das Gremium sei so nicht einsatzfähig, da die aktuelle Gesetzeslage verlange, dass der Einsatz eines Medikaments vom Arzt oder der Ärztin zusammen mit Patientin oder Patient entschieden werden soll. Der wirtschaftliche Nutzen dürfe erst danach eine Rolle spielen, so die Patientenanwältin. „Der therapeutische Nutzen darf nicht gleich bewertet werden wie die Kostennutzung“, so Wlattnig.

Doch das sieht das „Bewertungsboard“ vor: Der Einsatz teurer und spezialisierter Arzneien soll bundesweit einheitlich nach medizinischen und ökonomischen Kriterien beurteilt werden. Im Sinne der Patientinnen und Patienten seien ein einheitlicher Einsatz und eine Garantie für Patient in ganz Österreich zu begrüßen, jedoch brauche es „eine Schärfung hin zu Medizin und Wissenschaft“, so die Patientenanwältin zu Ö1. Medikamente und Therapien bei schweren Krankheiten wie Krebs seien hochkomplex. Es brauche „sehr genaue Studien“, die den Einsatz beurteilen, sagte Wlattnig: „Das ‚Board‘ muss diese Kompetenz abbilden.“

„Entscheiden muss und kann nur der behandelnde Arzt“

Eine Gefahr sehe sie, wenn das Gremium zur Empfehlung einer Nichtanwendung eines Medikaments komme. Die Entscheidung der Fachleute dürfe nicht bedeuten, dass sich Patientinnen und Patienten anschließend selbst durchkämpfen müssten, um irgendwie an ein Medikament zu kommen. „Entscheiden muss und kann nur der behandelnde Arzt“, so die Patientenanwältin. Eine weitere offene Frage sei, was passiere, wenn das Gremium für seine Entscheidung zu lange brauche und ein Patient bzw. eine Patientin eine Therapie dringend benötige.

Zuletzt reagierte die Regierung beschwichtigend: Das „Bewertungsboard“ gebe lediglich Empfehlungen ab. Das warf wiederum die Frage des Nutzens auf. Als „einzigen Benefit“ sehe sie derzeit, dass es, wenn ein neues Medikament prinzipiell die Empfehlung des Gremiums erhalte, es einheitlich für alle Patientinnen und Patienten österreichweit zu bekommen wäre, so Wlattnig. „Das wirkt möglicherweise beschleunigend innerhalb der Krankenanstaltsträger“, so die Patientenanwältin. Bis dato gab es in jedem Bundesland eine eigene Regelung.

Kritik der Opposition

Am Montag regte sich bei SPÖ und NEOS Widerstand. In der Vergangenheit hatte sich auch die FPÖ mit dem Wort „Sterbekommission“ gegen den Plan gestellt. „Menschenleben dürfen kein Preisschild bekommen“, so SPÖ-Klubobmann und Gesundheitssprecher Philip Kucher in einer Aussendung. „Es wird also der Wert eines Menschenlebens oder die Gesundheit eines einzelnen Menschen der Wirtschaftlichkeit der Krankenanstalten gegenübergestellt. Das darf in dieser Form nicht kommen.“

Ein „Medikamentenboard“, das dazu diene, eine einheitliche Vorgangsweise in den Spitälern österreichweit sicherzustellen, sei grundsätzlich sinnvoll. Die Umsetzung erfolge allerdings stümperhaft und gefährlich für die Versorgung der Patientinnen und Patienten, warnte Kucher.

Ähnlich die Argumentation von NEOS: Gesundheitspolitik dürfe nie nur einseitig die Sparziele des öffentlichen Gesundheitswesens abbilden, sondern müsse sowohl medizinische Expertise als auch die Interessen der Patientinnen und Patienten angemessen berücksichtigen, so NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler: „Das von der Regierung geplante und von Fachleuten vielkritisierte Bewertungsboard für teure Medikamente vernachlässigt das Patientenwohl aber völlig. Minister Rauch darf dieses Projekt nicht stur durchziehen.“

Am Wochenende hatten bereits die gesundheitspolitische Plattform Praevenire, die Krebshilfe und der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) Kritik an dem Plan geübt.

Gesundheitsministerium beruft sich auf Änderungen

Im Gesundheitsministerium betonte man, zuletzt noch Änderungen vorgenommen zu haben. So müssten auch die Länder- und Kassenvertreter in dem Gremium einen medizinischen oder pharmakologischen Hintergrund aufweisen. Außerdem müssten die Empfehlungen des Gremiums nicht von den Spitalsträgern übernommen werden, die ursprünglich geplante Verpflichtung sei wieder gestrichen worden.

Gesundheitsminister Rauch wehrte sich im Ö1-Mittagsjournal gegen die Kritik. Es werde doch niemand glauben, dass er als ehemaliger Krebspatient den Zugang zu Medikamenten erschweren wolle, sagte er. Das „Board“ werde zum überwiegenden Teil fachlich bzw. wissenschaftlich besetzt und bringe eine objektive Grundlage für die Entscheidung im jeweiligen Krankenhaus. Es sichere Transparenz und den gleichberechtigten Zugang auch zu teuren und sehr seltenen Medikamenten.

„Das ist eine Objektivierung einer Entscheidungsgrundlage, die ich für notwendig halte“, so Rauch, der Kritikerinnen und Kritiker noch zu einem klärenden Gespräch einladen will. Eine Verweigerung eines Medikaments durch das neue Gremium aus Kostengründen sei „zu 100 Prozent ausgeschlossen“. Grundsätzlich gehe es bei der Reform darum, die bestmögliche ärztliche Versorgung unabhängig vom Bundesland und unabhängig vom Einkommen sicherzustellen. Der Gesundheitsausschuss des Nationalrats behandelt das Thema am Dienstag. Der Plenarbeschluss der Gesundheitsreform ist für kommende Woche vorgesehen.