Proteste in Teheran 2022
Reuters/Wana News Agency
Amnesty-Bericht zu Iran

Regimekräfte vergewaltigten Protestierende

Iranische Sicherheitskräfte sollen 2022 während der Demonstrationen mit dem Slogan „Woman, Life, Freedom“ (Frau, Leben, Freiheit) Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt systematisch eingesetzt haben, um Protestierende einzuschüchtern und zu bestrafen. Das geht aus einem Bericht hervor, den Amnesty International am Mittwoch veröffentlichte.

Inhalt ist eine Schilderung des Leidens von 45 Überlebenden, darunter 26 Männer, zwölf Frauen und sieben Minderjährige, die sexueller Gewalt durch den Geheimdienst und Sicherheitskräfte im Iran ausgesetzt gewesen sein sollen. Die Betroffenen seien im Zuge der Demonstrationen für Gleichberechtigung im Iran festgenommen worden. Bis heute haben die iranischen Behörden laut Amnesty niemanden wegen der im Bericht dokumentierten Fälle angeklagt oder strafrechtlich verfolgt.

„Unsere Recherchen zeigen, dass Geheimdienstangehörige und Sicherheitskräfte im Iran Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt eingesetzt haben, um Protestierende, darunter Kinder im Alter von zwölf Jahren, zu bestrafen und ihnen bleibende körperliche und psychische Schäden zuzufügen", schrieb Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, in einer Aussendung.

„Systematischer Einsatz“

„Die erschütternden Zeugenaussagen weisen auf den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt hin. Sie ist eine der wichtigsten Waffen im Arsenal der iranischen Behörden, um Proteste und Kritik zu unterdrücken und so um jeden Preis an der Macht zu bleiben“, so Hashemi weiter.

Frau hält Kopftuch in der Hand bei Protesten in Teheran 2022
IMAGO/ZUMA Wire/Social Media
Im Zuge der Protestwelle im Iran setzten Sicherheitskräfte Amnesty zufolge sexuelle Gewalt als Waffe gegen Demonstrierende ein

Iranische Staatsanwälte und Richter hätten sich nicht nur durch Vertuschung mitschuldig gemacht, sondern sollen sogar durch Folter erpresste Geständnisse verwendet haben, um Anklagen gegen die Überlebenden zu erheben, so Hashemi. So hätten sie Haftstrafen und sogar Todesurteile erwirkt. „Die Betroffenen haben keinen Rechtsbehelf und keine Wiedergutmachung erhalten – nur systematische Straflosigkeit, Schweigen und tiefe körperliche und seelische Narben“, sagte die Amnesty-Geschäftsführerin.

Amnesty: Breite Verantwortlichkeit im Staatsapparat

Laut dem Bericht gehören zu den Verantwortlichen Angehörige der Revolutionsgarde, der paramilitärischen Basidsch-Miliz und des Geheimdienstministeriums sowie verschiedener Abteilungen der Polizei, darunter die Polizei für öffentliche Sicherheit, die Ermittlungseinheit der Polizei und die Spezialeinheiten der Polizei.

Zu den Überlebenden gehörten Amnesty zufolge Frauen und Mädchen, die ihr Kopftuch abgenommen hatten, sowie Männer und Buben, die auf die Straße gingen, um ihre Empörung über jahrzehntelange geschlechtsspezifische Diskriminierung und Unterdrückung zum Ausdruck zu bringen. Amnesty geht von weit mehr Fällen als den von der NGO dokumentierten aus, da Betroffene die ihnen angetane Gewalt meistens nicht öffentlich machen würden. Die von Amnesty interviewten Überlebenden hätten zumeist aus Angst vor weiterer Verfolgung auch keine Anzeige erstattet.

Überlebende berichten von Langzeitfolgen

Der Amnesty-Bericht geht stark ins Detail, so handelt er etwa auch von Gruppenvergewaltigungen an Frauen, Männern und Kindern. Dabei seien Stöcke, Glasflaschen und andere Gegenstände als Folterinstrumente verwendet worden. Darüber hinaus seien die Überlebenden weiteren körperlichen und psychischen Misshandlungen sowie Drohungen durch den Staatsapparat ausgesetzt gewesen.

„Die Vergewaltigungen fanden in Hafteinrichtungen und Polizeiwagen statt sowie in Schulen oder Wohnhäusern, die rechtswidrig zu Hafteinrichtungen umfunktioniert worden waren“, heißt es in dem Bericht. Wie die überlebenden Frauen, Männer und Minderjährigen Amnesty wissen ließen, hätten sie auch weiterhin mit den physischen Folgen und psychischen Traumata von Vergewaltigung und anderen Formen sexualisierter Gewalt zu kämpfen.

„Iranische Justiz von Hindernissen ausgebremst“

Amnesty berichtet außerdem von einem iranischen Dokument vom 13. Oktober 2022, das der Organisation vorliege. Aus diesem gehe hervor, dass die Behörden die Vergewaltigungsvorwürfe zweier junger Frauen gegen zwei Angehörige der Revolutionsgarde während der Proteste vertuscht haben sollen. Der stellvertretende Staatsanwalt der iranischen Hauptstadt Teheran soll in dem Dokument vorgeschlagen haben, den Fall als „absolut geheim“ einzustufen und ihn „mit der Zeit ad acta zu legen“.

Sicherheitskräfte auf Motorrädern bei Protesten in Teheran 2022
AP
Die Dunkelziffer der Überlebenden ist laut Amnesty weitaus höher als die im Bericht zitierten Angaben

„Ohne politischen Willen und grundlegende Verfassungs- und Rechtsreformen wird das iranische Justizsystem, das immer wieder seine Unfähigkeit und seinen Unwillen gezeigt hat, Verbrechen unter dem Völkerrecht wirksam zu untersuchen, weiterhin von strukturellen Hindernissen ausgebremst werden“, so Hashemi im Zuge der Veröffentlichung des Berichts.

Da es im Iran selbst keine Aussicht auf Gerechtigkeit gebe, sei es die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, den Überlebenden beizustehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Amnesty fordert daher die Verlängerung des Mandats der UNO-Ermittlungsmission für den Iran, um weiterhin Beweise für völkerrechtliche Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen sicherzustellen und mit einem unabhängigen Mechanismus zu sichern.

Proteste gegen Unterdrückung von Frauen im Iran

„Wir fordern die Staaten auf, im Rahmen der universellen Gerichtsbarkeit in ihren eigenen Ländern strafrechtliche Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter*innen einzuleiten mit dem Ziel, internationale Haftbefehle auszustellen“, so Hashemi abschließend.

Im vergangenen Jahr war es im Iran zu monatelangen landesweiten Protesten gekommen, nachdem die junge Frau Mahsa Amini in Polizeigewahrsam gestorben war. Die Religionspolizei hatte ihr vorgeworfen, die Kleiderordnung nicht befolgt zu haben. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen. In der Zwischenzeit sind die Bekleidungsgesetze für Frauen weiter verschärft worden. Eine der prominentesten Vertreterinnen der Protestbewegung ist die inhaftierte iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi. Sie erhielt heuer den Friedensnobelpreis.