Eine Person sitzt auf den Trümmern eines Gebäudes in Rafah im südlichen Gazastreifen
APA/AFP/Mohammed Abed
„Noch höllischer“

Warnungen zur Lage in Gaza nehmen zu

Zur humanitären Lage im Gazastreifen schlagen Beobachter zunehmend Alarm. Eine UNO-Vertreterin warnte vor einem „noch höllischeren Szenario“. Israels Armee stieß inzwischen im Süden des Küstenstreifens vor. Sie stellt sich eigenen Worten zufolge auf einen schwierigen weiteren Verlauf ihrer Offensive ein. Angeblich ist auch die Flutung des Tunnelsystems der Terrororganisation Hamas eine Option.

Die Lage im Gazastreifen wird nach den Worten eines ranghohen Vertreters der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „von Stunde zu Stunde schlimmer“. Es werde verstärkt überall bombardiert, auch in den südlichen Gebieten wie der Stadt Chan Junis und dem an Ägypten grenzenden Rafah, sagte der WHO-Gesandte für die palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn.

Die UNO-Koordinatorin für humanitäre Angelegenheiten in den palästinensischen Gebieten, Lynn Hastings, sagte, die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe im Gazastreifen seien „nicht gegeben“. Es sei „nirgendwo sicher in Gaza, und man kann nirgendwo mehr hin“, sagte sie.

Gazastreifen: Kämpfe im Süden

Israel hat seine Angriffe auf den Süden des Gazastreifens ausgeweitet. Außerdem sollen weitere Details zum Verbleib der Geiseln bekanntgeworden sein. Über eine Freilassung will die Hamas aber erst nach einem Ende der Kämpfe verhandeln.

UNICEF: „Herzlos“

Der Sprecher des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF), James Elder, sagte, sichere Zonen für Zivilisten könnten „weder sicher noch humanitär sein, wenn sie einseitig erklärt werden“. Sie seien „nicht wissenschaftlich, sie sind nicht rational, sie sind nicht möglich, und ich glaube, dass die Behörden sich dessen bewusst sind“. Das sei „herzlos und zeigt eine Verstärkung der Gleichgültigkeit gegenüber den Kindern und Frauen“.

„Die Zahl der getöteten Zivilisten nimmt rapide zu“, schrieb indes der Generalkommissar des UNO-Palästinenserhilfswerks (UNRWA), Philippe Lazzarini, in einer Mitteilung. Mit der Ausweitung der Militäroperation im Süden „wiederholen sich die Schrecken der vergangenen Wochen“. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden inzwischen fast 15.900 Menschen getötet. Diese Opferzahl lässt sich nicht unabhängig überprüfen.

Palestinenser auf der Flucht nach Rafah
APA/AFP/Mahmud Hams
Hunderttausende flohen aus dem Norden Gazas in den Süden

Israel: „Zweite Phase wird schwierig“

Die israelische Armee hatte ihre Offensive in Südgaza ausgeweitet und die Zivilbevölkerung aufgerufen, „falls erforderlich“ sichere Bereiche aufzusuchen. Dafür sei eigens eine „humanitäre Zone innerhalb des Gazastreifens“ eingerichtet worden. Dabei handelt es sich um ein kleines Küstengebiet um den Ort al-Mawasi. Dem Militär sei „durchaus bewusst, dass der Platz und der Zugang begrenzt“ seien, sagte der Sprecher Jonathan Conricus.

Das israelische Militär warf am Dienstag Flugblätter über Chan Junis ab, in denen es vor einem in Kürze anstehenden Angriff warnte. „Wir machen jetzt mit der zweiten Phase weiter. Eine zweite Phase, die militärisch schwierig sein wird“, sagte ein Regierungssprecher. Israel sei offen für „konstruktives Feedback“, was die Minderung des Leids für Zivilisten angehe. Die Ratschläge müssten aber im Einklang mit dem Ziel stehen, die Hamas zu zerstören.

Karte zeigt den Gaza-Streifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: CNN/ISW/Warmapper

Nach Armeeangaben vom Dienstag wurden drei Soldaten bei Kämpfen im Gazastreifen getötet. Damit erhöhte sich die Zahl der getöteten Soldaten auf 78. Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA berichtete von „mehreren“ Toten bei einem Angriff auf Gaza-Stadt im Norden des Küstenstreifens.

Hamas-Tunnel könnten geflutet werden

Die größte Herausforderung für Israels Armee ist das weitverzweigte Tunnelnetz der Hamas unter dem Gazastreifen. Einem Medienbericht zufolge wurde ein System aus großen Pumpen zusammengebaut, mit denen die Tunnel mit Meerwasser geflutet werden könnten. Wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf US-Beamte berichtete, sei nicht bekannt, ob Israels Regierung diese Taktik anwenden will.

Israelische Soldaten in Gaza
Reuters/Israel Defense Forces
Israels Armee dringt im Gazastreifen weiter vor

Katar: Israel an Verhandlungstisch zwingen

Katar, das zusammen mit Ägypten als Vermittler zwischen Israel und der Hamas auftritt, rief den UNO-Sicherheitsrat auf, Israel zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. „Es ist beschämend für die internationale Gemeinschaft, es zuzulassen, dass dieses abscheuliche Verbrechen fast zwei Monate lang andauert“, sagte Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani in Doha. In dieser Zeit würden „vorsätzlich unschuldige Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet“.

Bemühungen zur Wiederherstellung einer Feuerpause und zur Freilassung von im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln und von palästinensischen Häftlingen gehen nach katarischen Angaben weiter. „Eine humanitäre Feuerpause und die Freilassung von Geiseln haben Priorität“, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Dienstag in Doha. Das endgültige Ziel sei aber eine nachhaltige Beendigung des Krieges.

Israel will Hamas-Tunnel fluten

ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner spricht über angebliche Pläne Israels, das Tunnelsystem der Hamas zu fluten.

Zusammenstöße im Westjordanland

Im von Israel besetzten Westjordanland rückten Dienstagfrüh israelische Soldaten ein. Bei Zusammenstößen an einem Übergang in der Nähe von Jerusalem wurde ein Palästinenser bei Zusammenstößen getötet, wie das palästinensische Gesundheitsministerium mitteilte.

Außerdem griff die israelische Armee nach eigenen Angaben auch Stellungen der mit der Hamas verbündeten radikalislamischen Hisbollah-Miliz im Libanon und mehrere Ortschaften im Nachbarland an. Es handle sich um eine Reaktion auf Schüsse aus dem Libanon auf den Norden Israels.