Nach einem umstrittenen Referendum über die Grenzziehung zu Guyana rief Venezuelas Präsident Nicolas Maduro am Dienstag dazu auf, das dem südamerikanischen Nachbarland unterstehende Gebiet per Gesetz zu einer venezolanischen Provinz zu erklären und Lizenzen für die Ölförderung auszugeben.
Bei einer Kabinettssitzung schlug Maduro vor, der Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer venezolanischen Provinz in der Region Essequibo vorzulegen. Zudem wies er den staatlichen Ölkonzern an, „sofort“ Lizenzen für die Förderung von Öl und Gas sowie für den Bergbau in Essequibo zu vergeben.
Referendum: Venezolaner unterstrichen Anspruch
Mehr als 10,4 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner hatten sich am Sonntag an dem nicht bindenden Referendum beteiligt. Nach Angaben der venezolanischen Wahlbehörde sprachen sich 95 Prozent der Wähler für den Anspruch Venezuelas auf die an Erdöl und anderen Ressourcen reiche Region Essequibo aus. Zahlreiche Beobachterinnen und Beobachter zweifelten die Zahlen allerdings an.
Guyanas Generalstaatsanwalt Anil Nandlall hatte am Dienstag erklärt, er werde den UNO-Sicherheitsrat um Hilfe bitten, sollte Venezuela nach dem Referendum weitere Schritte unternehmen. Präsident Ali sagte später, Maduros Äußerungen stellten „eine direkte Bedrohung der territorialen Integrität, der Souveränität und der politischen Unabhängigkeit von Guyana dar“.
„Das Ziel der Regierung Maduro ist es, eine Botschaft der Stärke an Guyana zu senden“, sagte Ricardo Sucre, Politikprofessor an der Zentraluniversität von Venezuela, bezüglich des Referendums. Das rund 160.000 Quadratkilometer große Essequibo macht mehr als zwei Drittel der Landesfläche der früheren britischen Kolonie aus. 125.000 der insgesamt 800.000 Einwohnerinnen und Einwohner Guyanas leben dort.
Mehr Öl als in Kuwait und VAE
Venezuela reklamiert die Region seit mehr als einem Jahrhundert für sich. Die derzeitigen Grenzen des Gebiets wurden 1899 in einem Schiedsspruch eines Tribunals in Paris festgelegt, den die USA und Großbritannien veranlasst hatten. Venezuela beruft sich auf ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von 1966 – wenige Monate, bevor die damalige Kolonie Britisch-Guayana unabhängig wurde. Dieses sah eine Verhandlungslösung des Disputs vor.
Die Begehrlichkeiten nahmen in den vergangenen Jahren vor allem zu, nachdem der Ölkonzern ExxonMobil 2015 in dem Gebiet ein Ölvorkommen entdeckt hatte. Im Oktober dieses Jahres wurde in der Region ein weiterer bedeutender Ölfund gemacht, der die Reserven Guyanas auf mindestens zehn Milliarden Barrel – und damit auf mehr als die des ölreichen Kuwait oder der Vereinigten Arabischen Emirate – vergrößert.
Das winzige Guyana – es ist eines der ärmsten Länder Südamerikas – verfügt damit über die größten Pro-Kopf-Ölreserven der Welt, während das Nachbarland Venezuela über die größten nachgewiesenen Ölreserven insgesamt verfügt. Dennoch leidet das Land unter einer anhaltenden Wirtschaftskrise. Die Seegrenze zwischen den beiden Ländern ist ebenfalls umstritten.
China appelliert: Streit beilegen
Venezuelas Verbündeter China rief die beiden Staaten auf, den Streit beizulegen. „China hat immer die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiert“, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Mittwoch in Peking. China habe Venezuela und Guyana „bei der ordnungsgemäßen Lösung von Grenzfragen stets unterstützt“.
Das sei auch wichtig für die Stabilität in der Region. Der brasilianische Außenminister Mauro Vieira sagte am Mittwoch, er sehe keine Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen den Nachbarn Guyana und Venezuela.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen hatte Venezuela am Freitag angewiesen, „jede Handlung zu unterlassen, die die gegenwärtige Lage in dem strittigen Gebiet ändern würde“. Vergangenen April hatte sich der IGH in dem Territorialstreit für zuständig erklärt, ein Urteil aber erst in Jahren in Aussicht gestellt. Mit dem Referendum vom Sonntag haben die Venezolaner nach Angaben der Regierung die Zuständigkeit des IGH jedoch abgelehnt.